Dossier des Hamburger Abendblatts, 24.09.2012

von Volker ter HASEBORG, H-L Mikuteit

Hamburgs Ver.di-Chef kritisiert Arbeitsbedingungen

Ver.di-Chef Wolfgang Abel spricht mit dem Abendblatt über Lohndumping bei der Stadt und was die Gewerkschaften dagegen tun können.

Hamburg. Schon jeder Fünfte arbeitet für einen Niedriglohn. Fast jeder zweite neue Arbeitsvertrag ist befristet. Und die Zahl derjenigen, deren Gehalt nicht für eine auskömmliche Rente reicht, wächst. Experten warnen vor dem "gesellschaftlichen Sprengstoff" dieser Entwicklung. In Hamburg gibt es 35 500 Menschen, die nicht von dem leben können, was sie verdienen. Zusätzlich zu ihrem Gehalt sind sie auf Hartz IV angewiesen. Ein Abendblatt-Dossier am Wochenende dokumentierte, dass auch die Stadt Hamburg direkt oder indirekt für Tausende prekäre Beschäftigungsverhältnisse sorgt. Zugleich plant der Senat, einen Mindestlohn von 8,50 Euro in Hamburg einzuführen. Ein Abendblatt-Gespräch mit dem neuen Ver.di-Landesbezirksleiter Wolfgang Abel, 55, über die Stadt als Arbeitgeber, den Kampf gegen die Spaltung der Arbeitswelt und die Rolle der Gewerkschaften.

Hamburger Abendblatt: Herr Abel, ist die Stadt Hamburg ein guter Arbeitgeber? Wolfgang Abel: Die Stadt hält sich bei ihren eigenen Beschäftigten und im Kerngeschäft ihrer Töchterfirmen an die Tarifverträge. Bei den Töchterfirmen gibt es jedoch auch mehrere Bereiche, wo prekäre Bedingungen zur Anwendung gelangen. In diesen Fällen kann von fairen Arbeitsbedingungen keine Rede sein.

Welche Bereiche meinen Sie? Abel: Bei der Hamburg Messe zum Beispiel wird Arbeit verstärkt ausgelagert. Obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten wie die festangestellten Mitarbeiter der Messe, erhalten sie nicht das gleiche Gehalt. Wir haben die Nichteinhaltung des Equal-Pay-Grundsatzes (gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, die Red.) bei der Politik mehrfach angemahnt.

Wie hat Olaf Scholz denn reagiert, wenn Sie diese Missstände angemahnt haben? Abel: Zuletzt haben wir vor vier Wochen mit dem Bürgermeister darüber gesprochen. Er hat zugesagt, dass daran mit Priorität gearbeitet wird. Noch in diesem Jahr soll die notwendige Richtlinie auch für den Töchterbereich kommen, für den Bereich der Stadt gibt es bereits eine. Das Thema ist schon länger in der politischen Pipeline. Glaubwürdigkeit erlangt man nicht durch Erklärungen, sondern nur durch praktisches Handeln.

Die SPD regiert im Rathaus alleine. Inwiefern hat der Senat die Anliegen der Gewerkschaften durchgesetzt? Abel: Der Senat ist 2011 gestartet und hat angekündigt, die Anliegen der Bürger - also auch der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen - in den Mittelpunkt zu stellen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch noch auseinander. Ein Beispiel ist der Haushalt: Der Senat hat beschlossen, dass alle Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst oberhalb von 1,5 Prozent durch Stellenstreichungen ergänzend finanziert werden müssen. Das heißt: Für gerechte Lohnerhöhungen werden die Beschäftigten bestraft - und die Bürger, weil die Leistungen des öffentlichen Dienstes eingeschränkt werden.

Gibt es noch Unterschiede zwischen Arbeitsbedingungen im öffentlichen Bereich und der Privatwirtschaft? Abel: Öffentliche Unternehmen, die nach Wettbewerbsbedingungen geführt werden, sind im Kern den gleichen Bedingungen unterworfen wie die Privatwirtschaft. Im klassischen öffentlichen Dienst wird die Arbeitsbelastung spürbar höher, aber die prägenden Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel das Drohen mit Entlassungen, sind insgesamt noch anders als in der Privatwirtschaft.

Die Zahl der Menschen, die arbeiten und trotzdem als Aufstocker zum Sozialamt gehen müssen, steigt. Betroffen sind auch viele Menschen, die im Auftrag der Stadt arbeiten. Ist das nicht auch eine Bankrotterklärung der Gewerkschaften? Abel: Bankrotterklärung ist der falsche Begriff. Aber die Entwicklung zeigt, dass die Gewerkschaften allein nicht mehr stark genug sind, um die Deregulierungsmaßnahmen, die von den Arbeitgebern und den Regierungen am Arbeitsmarkt vollzogen wurden, aufzuhalten. Wenn wir die Stärke hätten wie in den 70er-Jahren, hätten wir diese Probleme nicht.

Wenn Ihre Kraft alleine nicht reicht - was können Sie noch tun? Abel: Die eigene Kraft durch politische Unterstützungsarbeit zu ergänzen. Das machen wir. Die Diskussion über einen gesetzlichen Mindestlohn und Equal Pay sind gute Beispiele. Sogar Teile der CDU bekennen sich mittlerweile zum Mindestlohn - das ist ein Ergebnis unserer jahrelangen Beharrlichkeit.

Was bringt ein Landesmindestlohngesetz für Hamburg? Abel: Ein Landesmindestlohngesetz würde dazu führen, dass - vereinfacht formuliert - Firmen, die Aufträge von der öffentlichen Hand erhalten, ihren Beschäftigten mindestens 8,50 Euro pro Stunde bezahlen müssen. Dies wäre ein konkreter Beitrag zur Bekämpfung von Lohndumping in Hamburg.

8,50 Euro reichen aber kaum für ein auskömmliches Leben im Alter. Abel: Unsere Position zum gesetzlichen Mindestlohn ist: 8,50 Euro sofort - und eine schnelle Erhöhung auf 10 Euro. Es geht jetzt nicht um die höchste Forderung, sondern darum, den Mindestlohn möglichst schnell zu etablieren.

Seit April gibt es eine Leiharbeitsrichtlinie für Hamburg, die in diesem Bereich prekäre Beschäftigung begrenzen soll. Reicht die aus? Abel: Nein, denn in den Firmen, an denen die Stadt beteiligt ist, kommt diese Richtlinie derzeit noch nicht zum Tragen. Eine entsprechende Ausweitung der Richtlinie haben wir eingefordert, sie soll noch in diesem Jahr kommen. Wenn sie kommt, müssen wir sehen, wo wir noch nachbessern müssen. Wir werden hier den Bürgermeister mit seiner Zusage in die Pflicht nehmen, dass er Lohndumping als Mittel des Wettbewerbs auf dem Arbeitsmarkt nicht will.

Jeder zweite neue Arbeitsvertrag ist mittlerweile befristet. Muss man sich abfinden? Oder gibt es einen Weg zurück? Abel: Im Jahr 2013 sind Bundestagswahlen. Wir werden im Wahlkampf die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, dazu gehört auch das Teilzeit- und Befristungsgesetz, thematisieren und unsere Mitglieder aufrufen, dies bei ihrer Wahlentscheidung auch mit zu berücksichtigen.