Klagen für den Mindestlohn?

Mindestlohn? Damit mussten sich die Arbeitsgerichte noch nicht oft befassen. Die logische Schlussfolgerung könnte sein, dass Arbeitgeber die seit 2015 geltende Untergrenze einhalten – doch das ist nicht der Fall. Vors Gericht kommen nur Fälle, in denen Arbeitnehmer den finanziellen Aufwand einer Klage tatsächlich in Kauf nehmen. Aber die wenigsten Beschäftigten trauen sich, einen Rechtsschutz zu Rate zu ziehen. Zu hoch sind die Kosten, zu enorm das Risiko eines Verfahrens.

Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid SCHMIDT, sagt zur Vorstellung ihres Jahresberichts des Bundesarbeitsgerichts aus dem vergangenen Jahr 2015, nur siebenmal hätten sich die Landesarbeitsgerichte mit dem Mindestlohn befasst. Sieben Klagen, bei denen es um Spitzfindigkeiten ging, und nicht der Zahlung des Mindestlohns als solchem, sondern um Sonderzahlungen, die per Änderungskündigung eingereicht, vom Landesarbeitsgericht aber für unwirksam erklärt wurden. Hier reichten mehrere Arbeitgeber nach Einführung des Mindestlohns eine Änderungskündigung ein, um Sonderzuschläge und zusätzliche Urlaubsgelder auf den Mindestlohn anzurechnen. Eine Arbeitnehmerin bekam vor Einführung des Mindestlohns eine Vergütung von 6,44 Euro die Stunde, zusätzlich Leistungszulagen, Schichtzuschläge und Urlaubsgeld. Der Arbeitgeber kündigte ihr, bot aber an, das Arbeitsverhältnis für den gesetzlichen Mindestlohn fortzuführen – allerdings ohne Zulagen.

In drei weiteren Fällen befassten sich Landesarbeitsgerichte mit der Anrechnung von Sonderzahlungen auf den Mindestlohn auch ohne Änderungskündigung sowie der Frage, was bei Bereitschaftsdienst gilt. Schließlich ist der Mindestlohn pro geleistete Arbeitsstunde zu zahlen – das ist bei Rufbereitschaft nicht der Fall. Der Arbeitnehmer ist hierbei frei in seiner Zeitgestaltung und auch nicht an einen festen Ort gebunden. Es werden also nur die Stunden vergütet, in der die Arbeit tatsächlich aufgenommen wurde.

In diesem Fall klagte eine Arbeitnehmerin einer Pflegediensteinrichtung, die das Arbeitsgericht Stuttgart zunächst abwies, aber vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg im Nachhinein stattgegeben wurde. Die Klägerin arbeitete in zweiwöchigen 22-Stunden-Schichten, bei denen sie rund um die Uhr bei der Pflegestelle anwesend sein musste. Zu ihren Patienten gehörten zwei Schwestern der Katholischen Schwesternschaft, die täglich zwei Stunden am Mittagessen der Schwesternschaft und einem Gottesdienst teilnahmen. Ein Bereitschaftsdienst, der der Klägerin als Pausenzeit abgezogen wurde.

Arbeitgeber tricksen, um den Mindestlohn zu umgehen, und das, ohne gegen Gesetze und Vorgaben zu verstoßen, was eine erfolgreiche Klage für Arbeitnehmer erschwert. Rund die Hälfte der in 2015 erbrachten 2457 Verfahren wurden als Nichtzulassungsbeschwerden deklariert. Zwei weitere Beschwerden wiesen die Richter ab (1 BvR 20/15, 1 BvR 37/15, 1 BvR 555/15). In einem Fall hatte sich ein 17-Jähriger aus der Gastronomie darüber beschwert, dass der Mindestlohn nur für volljährige Beschäftigte gilt. Eine Frau klagte über die schrittweise Anhebung des Mindestlohns bei Zeitungsausträgern, die den vollen Lohn erst ab 2017 bekommen sollen.

Auch Beschwerden von ausländischen Transportunternehmen wurden aus formalen Gründen abgewiesen. Selbst die Richter machten deutlich, dass sie Schwachpunkte im Gesetz sehen. So sei in diesem Fall nicht klar, wie „eine Beschäftigung im Inland“ genau definiert sei und ob die Mindestlohnpflicht auch für ausländische Spediteure gälte. In diesem Fall seien Fachgerichte zuständig.

Gerade in solchen Fällen muss das Gesetz klarer greifbar sein, um Missverständnisse zu vermeiden. Einen Mindestlohn festzulegen macht nur Sinn, wenn er für alle Arbeitnehmer gilt und auf Gerechtigkeit und Fairness basiert. Betroffene dürfen nicht scheuen, ihre Ansprüche geltend zu machen, denn nur so kann die Politik eingreifen und die Rahmen des Gesetzes neu abstecken. Der Mindestlohn sollte Gerechtigkeit schaffen und sorgt bis dato nur für noch mehr Ungerechtigkeit. Arbeitgeber müssen sozial auf die Gesetzesänderung reagieren, anstatt krampfhaft nach Wegen und Mitteln zu suchen, den Mindestlohn und Sozialabgaben zu umgehen.

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