Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 01.03.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Auf der Jagd nach Jugendlichen

Die Drückerkolonnen des Vereins werben vor allem in Fahrschulen um neue Mitglieder

Ein kleines Wortspiel: „Sicher im Verkehr“ steht auf den Packungen, die der ADAC an Tausende Fahrschülern verschenkte. Darin fanden die Jugendliche gelb verschweißte Kondome. Die ADAC-Kondome sind einer der kleineren Posten, die der ADAC für die Mitgliederwerbung in Fahrschulen verwendet: 2009 war für „Streuartikel für Fahrschüler“, namentlich „Kugelschreiber – Kondom – etc.“, die Summe von 80 000 Euro angesetzt. 
  Der Hauptposten mit rund 2,8 Millionen Euro allerdings waren die Provisionen für die Werber. 
  Und da wird es schwierig. Seit Jahren touren ADAC-Werber – man könnte auch sagen: Drückerkolonnen – durch Fahrschulen, Discotheken und Universitäten. Mit Erfolg: Der ADAC hat rund eine Million Mitglieder, die nicht volljährig sind, 300 000 Jungmitglieder wurden 2013 geworben. Die beitragsfreien Mitgliedschaften, mit denen der ADAC lockt, gehen automatisch über in kostenpflichtige – und das ist ein Problem für einen Verein, der als Verbraucherschützer auftritt. Normalerweise gehen bei Verbraucherschützern alle Warnleuchten an, wenn Drückerkolonnen und Minderjährige aufeinandertreffen. 
  Der ADAC erklärt, die Jungmitglieder würden wiederholt brieflich auf die Kosten hingewiesen und könnten selbst nach der ersten Beitragsrechnung noch kündigen. Andere Verbraucherschützer sind kritischer: „Dieses Vorgehen ist schwierig und intransparent“, sagt Tatjana Halm von der Verbraucherzentrale Bayern. 
  Dieses Beispiel sagt einiges darüber, wie der ADAC zu seinen Mitgliedern steht. Vor allem seit der Spediteur Peter Meyer 2001 das Präsidentenamt übernahm, lautete die Devise: Wachstum um jeden Preis. Auch die nicht zahlenden Mitglieder wurden gezählt – und rückten den Großverein an die 20-Millionen-Marke. Gleichzeitig ergibt sich aus internen Dokumenten, dass der Verein vor allem um die Beiträge besorgt war: Man solle bei Mitgliedern mehr auf Bankeinzug dringen – da habe man am Ende weniger Kündigungen. 
  Der Leitspruch des ADAC lautet: „Im Mittelpunkt das Mitglied.“ In Wahrheit scheinen es eher die Mitgliederbeiträge zu sein. Dafür spricht auch, dass diese gerade erhöht wurden, obwohl der Verein in den vergangenen fünf Jahren mehr als 300 Millionen Euro aus Beiträgen auf die Seite legen konnte. 
  Es ist dieser Umgang mit den eigenen Mitgliedern, der jetzt immer mehr Kritiker auf den Plan ruft. Ein weiteres Beispiel: Irgendwo in den Weiten des ADAC gibt es eine mit nur 29 Euro besonders günstige „ADAC-Treue-Mitgliedschaft“. Sie ist für langjährige Mitglieder, die älter als 60 Jahre sind, weniger als 6000 Kilometer im Jahr fahren und nur einen PKW angemeldet haben. Man könnte meinen: Das betrifft angesichts von über fünf Millionen Mitgliedern über 60 eine Menge Menschen. Nur: Von der Existenz des Tarifs wissen die Wenigsten, denn er taucht weder in den üblichen Broschüren auf, noch auf den ADAC-Internetseiten. „Der ADAC darf das verschweigen. Besonders nett ist es aber nicht gegenüber seinen Mitgliedern“, sagt Tatjana Halm von der bayerischen Verbraucherzentrale. Von der „Treue-Mitgliedschaft“ erfährt nur, wer auf Seniorenseiten recherchiert, einen netten ADAC-Berater trifft, oder aber kündigt. Dann nämlich wird dieser Tarif gerne angeboten – um das Mitglied umzustimmen. 
  Der ADAC erklärt, der Tarif werde individuell angewandt. Klar: Wenn alle, für die er in Frage käme, ihn nützten – es würde den ADAC eine Menge Geld kosten. Aber wäre das nicht eine Konsequenz, die ein Verbraucherverein nicht scheuen dürfte? 
  Wer den ADAC jetzt verlassen möchte, muss offenbar nicht unbedingt mit den üblichen Kündigungsfristen rechnen: Ein Kölner Rechtsanwalt kündigte „wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses“ durch die Manipulationen fristlos und war elf Tage später schon aus seinem Vertrag entlassen. Ein ADAC-Sprecher erklärte dazu, es gehe um einzelne Kulanzfälle.