Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 26.04.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Das Doppelspiel der ADAC-Anwälte

München – Der Titel „ADAC-Vertragsanwalt“ ist ein seltenes Privileg – und mit dem Begriff „Mandantenschaufel“ ganz gut beschrieben. Setzt man das Werkzeug richtig an, lädt es Hunderte oder Tausende Mandanten in der eigenen Kanzlei ab, ohne dass man dafür den Finger rühren müsste. Ein Geschäft, bei dem es schnell um Hunderttausende Euro geht. Und es wird noch einträglicher, wenn man in einer Stadt arbeitet, in der zwar ein paar Millionen Menschen wohnen – aber nur sehr wenige andere Anwälte diese Schaufel in der Kanzlei stehen haben. Etwa in Berlin. 

  Wer auf der ADAC-Homepage im Raum Berlin, mit einem Radius von 50 Kilometern, nach ADAC-Vertragsanwälten sucht, erhält eine Trefferliste von gerade fünf Anwälten. Vier davon arbeiten bei derselben Kanzlei: Wegener & Wittkowski, die auch als AWW-Group firmiert. Die beiden Namensgeber sind zwei der höchstrangigen ADAC-Funktionäre, die Berlin in den letzten 30 Jahren gesehen hat. Ein Zufall? 
  Nur zum Vergleich: Die gleiche Suche erbrachte für den Großraum München zwölf Treffer, für den Großraum Köln 25, für den Großraum Frankfurt 17 – und zwar fast alles eigenständige Kanzleien, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. 
  Was also hat es mit der Kanzlei Wegener & Wittkowski auf sich, die ein Quasimonopol auf dem Berliner Markt der ADAC-Mitglieder besitzt? Der erstgenannte Partner ist Wolf Wegener, er ist so etwas wie der Grandseigneur des Berliner ADAC: Wegener war 30 Jahre Vorstandsvorsitzender des ADAC Berlin (später Berlin-Brandenburg) und 17 Jahre Generalsyndikus des ADAC Deutschland – und damit für die Vertragsanwälte auf Bundesebene zuständig. Er wurde 2004 zum 14. ADAC-Ehrenmitglied ernannt, „eine sehr seltene, fast einmalige Auszeichnung für lebende Repräsentanten des ADAC“, sagte zu diesem Anlass der damalige ADAC-Präsident Peter Meyer. Wolf Wegener steht damit in einer Reihe mit Eugen Diesel, Carl Benz und Ferdinand Porsche. Eine ADAC-Legende. 
  Über Wegener gibt es viele Geschichten. Angeblich bestand er in den Neunzigerjahren darauf – damals war er schon ein einflussreicher Mann im ADAC –, dass der Motorwelt -Chefredakteur Alfons Kifmann ein Interview mit Prinz Albert II. mache. Wegener war damals Honorarkonsul von Monaco. Während des Interviews, erinnert sich Kifmann, habe Wegener den Prinzen darüber aufgeklärt, dass er seinem Land gerade einen geldwerten Vorteil in sechsstelliger Höhe verschafft hatte – so viel hätte der Platz des Interviews in der auflagenstarken Motorwelt gekostet, wenn man eine Anzeige geschaltet hätte. Wegener erklärt dazu, er habe zwar den Interviewtermin „vereinbaren können“, bestreitet aber die Einflussnahme und auch, dass er vor Albert II. mit dem teuren Platz in der Motorwelt angegeben habe. 
  Der zweitgenannte Partner, Ralf Wittkowski, ist aktuell einer der wichtigsten ADAC-Funktionäre Berlins: Er sitzt im Vorstand des ADAC Berlin-Brandenburg und damit in jenem Gremium, das entscheidet, wer ADAC-Vertragsanwalt wird. Obendrein ist Wittkowski seit 2001 Berliner Club-Syndikus, eine Art oberster ADAC-Anwalt Berlins, der unter anderem für die Organisation der Berliner ADAC-Vertragsanwälte zuständig ist. Also für Fragen wie: Reicht die Anzahl der Vertragsanwälte? Oder: Geht alles mit rechten Dingen zu? Denn Wittkowski ist, so lässt es der ADAC Berlin erklären, als Syndikus „aufgrund seiner Fachexpertise“ auch mit der Kontrolle der ADAC-Vertragsanwälte betraut. Im Berliner Stadtgebiet kontrolliert er damit also vor allem: die eigene Kanzlei. Das eigene Geschäft. 
  „Das Spiel, das hier gespielt wird, ist offenkundig“, sagt der Compliance-Experte und ehemalige Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner, „es ist eindeutig ein Verstoß gegen die Ethikrichtlinien des ADAC, wenn hier jemand im entscheidenden Gremium sitzt und die eigene Kanzlei bedient wird. Ehrenamt und private Wirtschaftsinteressen dürfen nicht verschwimmen, aber genau das ist hier offenbar der Fall. Klarer kann eine Interessenkollision kaum sein.“ Zumal laut Ethikrichtlinien des ADAC schon der „Eindruck“ einer Interessenskollision vermieden werden soll. 
  Das alles klingt sehr nach altem, sehr altem ADAC. Doch der neue, angeblich transparenzwillige ADAC mag nichts dazu sagen, ob die Berliner Situation nicht ein wenig problematisch sei, und verweist stattdessen an den Berliner Verband. Der wiederum lässt ausrichten, eine Interessenskollision aus seiner Sicht „nicht zu erkennen“, auch weil Wittkowski erst Vertragsanwalt geworden sei – und dann Funktionär. Dass Wittkowski Vertragsanwalt wurde, als er schon Partner von Wegener war und dieser wiederum im Vorstand des ADAC Berlin? Scheint kein Problem zu sein. 
  Vielleicht ist der Gesamt-ADAC auch deswegen so einsilbig, weil Wegener und Wittkowski bei Weitem nicht die einzigen derzeitigen oder ehemaligen Top-Funktionäre unter den 650 ADAC-Vertragsanwälten sind. Nicht nur in Berlin spült der Titel „ADAC-Vertragsanwalt“ die Mandanten in die Kanzleien von ehrenamtlichen Vereinsvertretern. Etliche sitzen sogar, wie Wittkowski heute und Wegener früher, in genau den Gremien, die darüber entscheiden, wer Vertragsanwalt werden darf: in den Vorständen der Landesverbände. 
  Eine kleine Auswahl: Wolfgang Becker, der Vorsitzende des ADAC Weser-Ems; Matthias Feltz, der Vorsitzende des ADAC Hessen-Thüringen; Dieter W. Rosskopf, der Vorsitzende des ADAC Württemberg, oder auch Ulrich Klaus Becker, stellvertretender Vorsitzender des ADAC Schleswig-Holstein und ADAC-Vizepräsident für Verkehr. Nikolaus Köhler-Trotzki, Vorsitzender des ADAC Sachsen, ist erst seit Ende 2013 kein Vertragsanwalt mehr. 
  Fragt man den ADAC, nach welchen Kriterien die Anwälte ausgesucht werden, hat man den Eindruck, die Maßgaben seien nicht allzu streng: Kriterium dafür sei die Länge der Anfahrtswege zu den Kanzleien, wird ADAC-Sprecher Klaus Reindl im ZDF zitiert. „Solch weiche Kriterien öffnen Willkür und Einflussnahme natürlich die Tore“, sagt Compliance-Experte Schaupensteiner. Was den Anfahrtsweg angeht, hat es Werner Kaessmann besonders günstig erwischt: Der Notar und Anwalt ist heute der Generalsyndikus des Vereins, eine Art oberster ADAC-Anwalt, er ist zuständig für die Organisation aller ADAC-Vertragsanwälte. Kaessmann ist selbst ADAC-Vertragsanwalt, und seine Kanzlei hat ein Büro direkt im ADAC-Haus Dortmund. Man komme am besten in die Räumlichkeiten, heißt es auf der Internetseite der Kanzlei: „über den Haupteingang des ADAC“. 
  Die Berliner Kanzlei Wegener & Wittkowski kann auf ähnliche Lagevorteile verweisen: Zwei ihrer Filialen liegen laut Eigenbeschreibung in direkter Nähe zu ADAC-Geschäftsstellen, eine dritte in Potsdam befand sich bis Januar 2014 im selben Haus wie die ADAC-Geschäftsstelle. 
  Die bemerkenswerte Kombination aus Funktionären und Nutznießern zog schon Anfang des Jahres Aufmerksamkeit auf sich, damals erschien im Berliner Tagesspiegel ein kritischer Text über die Kanzlei. Darin bestritt Wittkowski, dass man als Vertragsanwalt so gute Geschäfte mache. Er habe „vom ADAC Berlin-Brandenburg im vergangenen Jahr drei Mandate erhalten“ und seine Kanzlei gerade mal vier, erklärte er. Alles also halb so wild? 
  Nun: Wittkowskis Antwort ist nicht falsch. Aber extrem spitzfindig. Denn der ADAC-Funktionär nannte dem Tagesspiegel nur die Anzahl der Mandate, die er und seine Kanzlei direkt vom ADAC Berlin-Brandenburg erhalten hat, wie Wittkowski auf Nachfrage der SZ zugibt. Tatsächlich vertritt die Kanzlei sehr viel mehr Mandanten, die über die ADAC-Schiene kommen: Ralf Wittkowski räumt ein, dass jedes Jahr eine vierstellige Anzahl von ADAC-Mitgliedern vertreten wird. Kenner der Kanzlei behaupten sogar, mehr als drei Viertel seiner Mandanten kämen auf diese Art und Weise – was Wittkowski bestreitet.Womöglich genießt die AWW-Group noch mehr ungewöhnliche Vorteile: Eine interne Gebührenauflistung deutet darauf hin, dass Wegener und seine Kanzlei bei der ADAC-Rechtsschutzversicherung teilweise nicht nur höhere Gebühren abrechnen können als andere Anwälte, sondern auch als andere ADAC-Vertragsanwälte. Danach muss die Kanzlei eine bestimmte Gebührenschwelle nicht beachten. 
  Damit konfrontiert, erklären sowohl der ADAC wie auch die Kanzlei, die AWW rechne gegenüber der ADAC-Rechtsschutzversicherung ab „wie alle anderen ADAC- Vertragsanwälte“. Die SZ legte die AWW-Gebührentabelle daraufhin mehreren ADAC-Vertragsanwälten vor, die dem widersprechen. Wenn Wegener & Wittkowski wirklich so abrechnen, erklärt ein Vertragsanwalt aus Bayern, „ist das eine Schweinerei. Eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung, denn schließlich leisten wir Vertragsanwälte die gleiche Arbeit. Also müssen die Vereinbarungen mit dem ADAC auch gleich gelten“. Vor allem aber ginge die Abrechnung zulasten der ADAC-Mitglieder. Sie sind es, auf die der ADAC-Rechtsschutz höhere Ausgaben umlegt. 
  Das Kernproblem ist so oder so die Grundkonstellation: Hochrangige ADAC-Funktionäre ziehen offenbar erhebliche finanzielle Vorteile aus einem vom ADAC vergebenen Privileg. Man darf den Reformwillen des ADAC an der Frage messen, ob diese Problematik weiterbestehen wird. Ob zum Beispiel die Situation in Berlin so bleibt, wie ein Anwaltskollege sie beschreibt: „Der dicke Junge bewacht den Kuchen.“ 
  Auf wiederholte Nachfrage erklärt der ADAC nun, der Klub werde diese Frage „unter dem Stichwort ,Compliance’ noch mal genau analysieren und bewerten“. Wenn es nach Compliance-Fachmann Schaupensteiner geht, kann man dabei nur zu einem Ergebnis kommen: „Das muss sich ändern. Der einzige andere Weg wäre, die Ethikrichtlinien des ADAC aufzuweichen. Aber das wäre keine gute Entscheidung.“