Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 20.02.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Klappe halten

In der ADAC-Zentrale ist die Stimmung äußerst gedrückt. Die Führung hat die Mitarbeiter zum Schweigen vergattert. Wie schwer es der Autoclub derzeit hat, zeigt sich auch an seinem Stand auf der Freizeitmesse Free 

Im Eingang zur Messehalle B6 liegt ein gelber Teppich aus. Am Rande des Teppichs leuchtet es ebenso gelb. Dort steht ein Tresen, darauf vier schwarze Buchstaben: A,D,A,C. Sie stehen für jenen Verein, dessen interne Pannen zuletzt für mehr Schlagzeilen sorgten als die Dienste seiner Pannenhelfer, der Gelben Engel. Die beiden Männer, die an dem Tresen in der kalten Zugluft stehen, haben keinen leichten Job. Sie sollen Besucher der Reise- und Freizeitmesse Free zu ADAC-Mitgliedern machen „ADAC?“, fragen die Männer, die auf selbständiger Basis Mitgliedschaften verkaufen, und strecken den Vorbeilaufenden ihre gelben Ausweise entgegen. „Nein“, dazu abwehrende Handbewegungen, ist die übliche Antwort. Mancher hält kurz an, gibt seine Meinung zum ADAC-Skandal um gefälschte Lieblingsautos und andere Unregelmäßigkeiten zum Besten. Es ist wahrlich kein Vergnügen, auf der Free Fahrsicherheitstrainings und Anderes an den Kunden zu bringen. 
  Ihnen geht es nicht besser als den Kollegen in der ADAC-Zentrale im Westend. Auch hier ist die Stimmung gedämpft bis deprimiert. Es gibt wohl kaum einen Mitarbeiter mit Kundenkontakt mehr, der noch nicht beleidigt oder verbal angegriffen wurde wegen der Betrügereien, der Hubschrauberflüge und all der anderen Vorfälle. 
  Und wie soll man all das auch verteidigen? Alle Mitarbeiter haben schon vor Wochen Mails bekommen, in denen genau stand, wie sie sich zu verhalten hatten: „Wir äußern uns nicht zu den Sachverhalten“ ist eine Ansage, telefonische Anfragen von Mitarbeitern seien „kalt“ an eine bestimmte interne Durchwahl weiterzuleiten, Presseanfragen an eine andere. Und auch semi-privat habe man seine Meinung für sich zu behalten, lautet eine ausdrückliche Anweisung: „Äußerungen in sozialen Netzwerken sind nicht vorzunehmen.“ 
Auf gut deutsch: Klappe halten. Offiziell hält sich der Großteil der Mitarbeiter daran, hinter vorgehaltener Hand erzählen sie aber, was vor sich geht in dem riesigen ADAC-Bau im Westend. Wie die Führungsspitze durchs Haus schleicht und den Leuten die Hände gibt, wie alle wie unter Schock weiterarbeiten seit Wochen, immer ein Auge auf den Nachrichtenseiten im Internet, ob es wieder Neues zu berichten gibt über den ADAC, ob wieder jemand zurücktritt. 
  Generell scheint es zwei Lager zu geben: Die meisten sind vor allem entsetzt. Darüber, was alles geschehen ist, wie das passieren und wie die Führung so lange leugnen konnte. Sie sehen die Medienberichte als notwendigen und rechtzeitigen Schuss vor den Bug. Manche sagen sogar: Recht geschieht ihnen. Ein kleinerer Teil findet die Vorfälle nicht wirklich tragisch, betrogen werde überall, jetzt sei es dann auch mal wieder gut. Und dann gibt es noch solche, die sagen: Das alles war nur die Spitze des Eisbergs. Sie schicken Mails mit weiteren Einzelheiten und bitten um Anonymität. 
  In Halle B6 auf dem Münchner Messegelände wollen jene, die für den ADAC Flagge zeigen, auch nicht offen sprechen. Vor dem großen Stand des Automobilclubs in der Reisehalle versuchen Mitgliedschafts-Werber um neue Kunden zu buhlen. Vor dem Skandal, sagt einer dann doch, da sei das ein lukrativer Job gewesen – in den letzten Wochen aber verdammt hart. „Dumm angeredet hat man uns, dabei stehen wir ja nur an vorderster Front. Das ging bis hin zu Bedrohungen“, sagt der Mann. Die Messe mache ihm jedoch Hoffnung, es sei jetzt schon viel besser als vor vier Wochen. Und er habe schon „einige“ Mitglieder gewonnen an diesem Vormittag. Dann ist er nicht mehr zu hören. Eine Männergruppe vom türkischen Nachbarstand tanzt zu Fiedelmusik auf den ADAC zu. Die Männer werfen ihre Beine und Arme in die Luft, sie klatschen und applaudieren. Die ADAC-Verkäufer versuchen noch, weiterzusprechen, doch es ist zu laut. Sie lachen und klatschen einfach mit.