Süddeutschen Zeitung 2014/2015, 18.02.2014

von Bastian OBERMAYER, Uwe RITZER

Muntere Autoschiebereien

Der ADAC trickste nicht nur 2014, sondern seit Jahren beim „Gelben Engel“. So kam jeder große deutsche Hersteller zum Zug

München – Die Hauptperson ist untergetaucht. Michael Ramstetter, 60, ehedem Kommunikationschef des ADAC und als solcher verantwortlich für die Manipulationen beim Automobilpreis Gelber Engel, ist unerreichbar. Dabei würde man gerne erfahren, was er zu den Vorwürfen zu sagen hat. Ob er Mitwisser hatte oder tatsächlich im Alleingang die Ergebnisse bei der Abstimmung über das „Lieblingsauto der Deutschen“ derart fälschte, dass der ADAC darüber in die größte Krise seines fast 111-jährigen Bestehens stürzte. 
  Die Wirtschaftsprüfer von Deloitte scheinen von der Alleintäter-Theorie überzeugt zu sein. In ihrem neuesten Prüfbericht, der nun nicht nur das laufende Jahre untersucht, sondern die Zeit davor, zitieren sie eine nicht näher bezeichnete Person, zu der Ramstetter kurz vor seinem erzwungenen Abgang vor vier Wochen gesagt haben soll: „Ich war’s allein.“ Sowohl die Stimmenzahl, als auch die Reihenfolge der Fahrzeugtypen habe er manipuliert. Und zwar „von Anfang an“ – also seit es den Preis gibt. Den Autopreis „Gelber Engel“ mit seiner imageträchtigsten Kategorie „Lieblingsauto der Deutschen“ wird seit 2005 verliehen. 
  Die Deloitte-Experten konnten beweisen, dass die Zahlen mindestens seit 2009 willkürlich verändert wurden. Was in den Jahren 2005 bis 2008 geschah, lässt sich hingegen nicht zweifelsfrei rekonstruieren; die Daten sind weitgehend vernichtet. 
  Ramstetter ging es offenkundig darum, beim „Gelben Engel“ alle großen deutschen Automarken einigermaßen gleichmäßig zu ehren. Zu groß war wohl die Furcht, die jeweils unterlegenen Hersteller ansonsten zu verärgern, wenn man sich an die tatsächlichen Abstimmungsergebnisse gehalten hätte. 
  So hatten zum Beispiel im Jahr 2009 die teilnehmenden ADAC-Mitglieder gleich drei VW-Fahrzeuge nach vorne gewählt: den Golf, den Passat CC und den Scirocco. Um den totalen Volkswagen-Triumph zu verhindern, wurden der Opel Insignia und der Mercedes SLK auf die offiziellen Plätze zwei und drei gesetzt. Wofür der Insignia um vier und der SLK sogar um sechs Plätze nach oben geschoben wurden. Mercedes war auch Profiteur der Manipulation 2010. Da wurde die E-Klasse zum Lieblingsauto der Deutschen gekürt, obwohl in Wirklichkeit das A-5-Cabrio von Audi die Abstimmung gewonnen hatte. In der offiziellen ADAC-Liste landete es aber nur auf Rang vier. 2012 setzte der VW Up zu einem außergewöhnlichen Sprung an. Obwohl in Wirklichkeit mit ganzen 2021 Stimmen abgeschlagen auf Platz 12, fand sich das Volkswagen-Modell im offiziellen ADAC-Ergebnis auf Rang fünf wieder – mit angeblich 22 363 Stimmen. 
  All dies lasse vermuten, dass „einzelne Personen“ jahrelang „die Hersteller und die Öffentlichkeit bewusst getäuscht haben“, sagte ADAC-Geschäftsführer Karl Obermair. Einzelne Personen? Das lässt Spielraum für Interpretationen: Ist damit nur Ramstetter gemeint oder wussten am Ende doch mehrere im ADAC Bescheid? Was Obermair aber wohl vor allem sagen will: Wer immer es war oder etwas wusste – ich hatte von alledem keine Ahnung. 
  Ferdinand Dudenhöfer, Autoexperte an der Universität Duisburg-Essen, sieht den Geschäftsführer in der Mitverantwortung. Wenn Obermair im Amt bleibe, stelle sich „schon die Frage, wie neu tatsächlich die Neuausrichtung des ADAC ist“, sagte er. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt rät dem ADAC „jetzt wirklich klar Schiff zu machen.“ Und darüber nachzudenken, „ob man weiterhin einen großen Konzern mit dem Mäntelchen eines Vereins umgeben kann.“ 
  Wie immer der Neuanfang aussehen wird – der Ruf ist erst einmal dahin. Große Automobilhersteller geben insgesamt 40 ihnen verliehene Gelbe Engel an den ADAC zurück. Gegen Michael Ramstetter wetzt der ADAC bereits die Messer. Dass rechtliche Schritte gegen den Ex-Kommunikationschef eingeleitet werden gilt intern als ausgemacht. Nur wie diese aussehen ist noch offen. Zuvor will der ADAC noch abwarten, was Deloitte bei der Prüfung aller anderen Gelber-Engel-Kategorien noch alles herausbekommt.