Das Problem

 

Was genau der Auslöser für die Razzia bei der Dresdner Bank in Frankfurt/Main im Juni 2000 gewesen ist, bei der über 200.000 Informationen über türkische Sparkonten und ihre Besitzer erfasst wurden, wissen wir nicht genau. Es existieren dazu unterschiedliche Informationen.

Sicher scheint zu sein, dass sich auf politischer Ebene in Berlin Informationen verdichtet hatten, dass türkische Mitbewohner in Deutschland über 10 Milliarden € auf Konten der türkischen Zentralbank überwiesen hatten, und zwar über die Filialen der Dresdner Bank in Deutschland – sie fungierte sozusagen als ‚Geldstaubsauger’ für die Zentralbank in Ankara. Sicher scheint ebenso zu sein, dass bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt eine anonyme Anzeige eingegangen war und sie deshalb aktiv werden musste. Sie durchsuchte die Zentrale der Desdner Bank in Frankfurt/Main wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung – insofern nichts Ungewöhnliches, weil Steuerfahnder schon des öfteren bei Bankenrazzien Steuerhinterziehern hinterher waren. Bisher betraf es vor allem deutsche Großverdiener, die über Luxemburg und andere Steuerparadiese heimlich Kapital ins Ausland transferierten, um sich dadurch vor der Steuer in Deutschland drücken zu können.

Diesesmal gerieten in Deutschland wohnende Türken ins Visier - Menschen also, die hier leben, aber vielfach ausgeprägte familiäre Beziehungen in ihr angestammtes Heimatland haben. Und deswegen war es nicht allzu ungewöhnlich, dass in dem einen Fall das in die Türkei transferierte Geld dem Aufbau einer späteren selbstständigen Existenz dienen sollte, im anderen Fall als finanzielle Reserve für in der Türkei verbliebene Familienmitglieder gedacht war. Die Motive hier lagen völlig anders. Zudem ist es legal, Geld ins Ausland zu überweisen, wenn es nicht gerade zum Zweck der Kapitalflucht bzw. der damit bezweckten Steuerhinterziehung geschieht.

Die offizielle Werbung der staatlichen türkischen Zentralbank Türkiye Cumhurieyet Merkez Bankasi (TCMB) damals lautete: „Einnahmen, die das Geld auf diesen Konten einbringt, sind nicht zu versteuern.“ Darauf haben sich ganz offenbar alle verlassen, und es gab auch keinen Grund, an einer solchen Aussage einer türkischen staatlichen Einrichtung zu zweifeln, schon gar nicht, wenn sie vom Chef der Nationalbank stammte.

Dass die Dinge juristisch letztlich anders lagen, weil Steuerangelegenheiten reichlich kompliziert liegen und Dinge, die steuerlich zwei verschiedene Länder aus völlig unterschiedlichen Kulturkreisen betreffen, noch komplizierter sein können, kann man kaum steuerlichen Laien anlasten - wenn der Normalbürger, egal welcher Herkunft, ordnungsgemäß seine Steuern zahlt, hat er seine Pflicht in dieser Hinsicht erfüllt. Die vielen unübersichtlichen Feinheiten im Detail, mögliche Fallstricke oder Steuerschlupflöcher im finanztechnischen Wirrwarr internationaler Doppelbesteuerungsabkommen kann er nicht kennen, geschweige verstehen. Denn dies ist das ureigene Metier von eingefleischten Steuerbeamten, die ihr ganzes Leben nichts anderes machen und deswegen auch in dem steuertechnischen Kauderwelsch regelrecht ‚beheimatet’ sind. Oder es betrifft ausgefuchste Steuerberater, die gegen auskömmliche Honorare Groß- und Spitzenverdienern Optionen verschaffen, wie sie sich den Pflichten der staatlichen Gemeinschaftskasse entziehen können.

Wer sich einmal informieren möchte, wie verständlich sich das „Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 16. April 1985“ für jeden Steuerpflichtigen liest, der kann dies hier mit diesem Link tun – wir haben an dieser Stelle auf der Homepage des Bundesministeriums der Finanzen (BdF) einmal recherchiert (Stand 22.4.2006), was es alles zu diesem Thema (eigentlich zu Lesen) gibt.

Klar ist: die betroffenen Menschen, die sich auf klare Aussagen glaubwürdiger Vertreter verlassen haben, aber jetzt in die strafrechtlichen Maschen der Verfolgung wegen Steuerhinterziehung geraten, sind Opfer. So auch der Tenor einer Story in der Illustrierten stern: „Arme Sünder. Bis zu 100.000 Türken schulden dem deutschen Staat Steuern. Jetzt wollen sie sich freikaufen – mit 500 Millionen Euro“, wie am 26.8.2004 zu lesen war.

Anders liegen die Fälle, die die Stuttgarter Zeitung im Sommer 2005, also fünf Jahre nach der Bankenrazzia, aufgegriffen hatte. Hier geht es glasklar um Leistungsmissbrauch: jene, die arbeitslos geworden waren und seinerzeit Arbeitslosenhilfe beantragt hatten, waren verpflichtet, eigenes Vermögen zu deklarieren. In den auszufüllenden Antragsunterlagen gibt es dazu entsprechende Fragen und Rubriken.

Dies hat folgenden Hintergrund:

Das soziale Netz in Deutschland ist – aus verständlichen Gründen - eng geknüpft, kostet aber Geld, das größtenteils jene aufbringen müssen, die dieses Netz nicht in Anspruch nehmen (müssen). Wer z.B. arbeitslos wird (und vorher Arbeitslosenbeiträge eingezahlt hatte), hat Anspruch auf – zunächst – „Arbeitslosengeld“; dies ist eine Art Versicherung, deren Leistungsdauer sich vor allem nach dem individuellen Alter bemisst: wer älter ist, erhält länger eine ‚Versicherungsleistung’, weil es bekanntermaßen mit zunehmendem Alter immer schwieriger wird, einen neuen Job zu finden.

Wenn diese Leistung zu Ende geht, weil sie befristet ist, setzt die „Arbeitslosenhilfe“ ein, die seit einiger Zeit – zusammen mit der früheren „Sozialhilfe“ – zum „Arbeitslosengeld II“ zusammengelegt worden ist.

Diese Leistung allerdings entstammt dem Sozialen Netz und hat nichts mehr mit einer Arbeitslosenversicherung zu tun. Aus diesem Grund müssen jene, die sie in Anspruch nehmen, Angaben zum eigenen Vermögen, z.B. auch zu Sparkonten machen, weil es so geregelt ist, dass so genannte Leistungsempfänger ihre eigenen Ersparnisse fürs finanzielle Überleben mit einsetzen müssen – nach Abzug entsprechender, allerdings nicht eben hoher Freibeträge. Wer sich einmal informieren möchte, wie solche Anträge aussehen und wie detailliert Antragsteller inzwischen Angaben über ihre ureigensten persönlichen Verhältnisse machen müssen, kann dies hier tun – die beiden Anträge sind als pdf-file dokumentiert:

Egal, ob man dies gerecht oder ungerecht empfindet, grundsätzlich oder im Detail: es ist nun einmal so geregelt, zumindest solange, wie es nicht anders geregelt wird. Und hier sind die Vorschriften dann klar: Vermögenswerte, Sparkonten usw. müssen angegeben werden. So ist das im § 60 des Sozialgesetzbuches, Teil II geregelt (SGB II). Wer das nicht macht, betrügt. Und das ist strafbar. Aus diesem Grund kam und kommt es noch immer zu entsprechenden Verfahren: diesesmal stehen “Täter“ vor Gericht.

(ssch, lm, sn)