Der Wahlbetrug in Stendal: die Chronologie

Die CDU hat im Jahr 2014 große Geschütze aufgefahren, um für eine siegreiche Stadtrats- und Kommunalwahl im Landkreis Stendal zu sorgen. Allen voran Holger GEBHARDT, ehemaliger CDU-Stadtrat, dem auch die Fälschung von Wahlunterlagen und damit ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip der Bundesrepublik Deutschland nicht im Weg stand, um möglichst viele Stimmen zu sammeln. Ein Rückblick in das Jahr 2014.

Und eine Rekonstruktion bis zum Sommer 2016, als es neue Erkenntnisse gibt: 2014 wurde nicht nur bei der Wahl gefingert. Es gab auch eine konzertierte Vertuschungsaktion. Mit dabei: der neue Präsident des Landtags von Sachsen-Anhalt, Hardy Peter GÜSSAU (CDU). Er musste - obwohl er nicht wollte - zurücktreten.

25. Mai 2014

Im Kreis Stendal finden parallel die Kreistagswahl, die Stadtratswahl und die Europawahl statt. Die CDU erhält bei der Stadtratswahl 16 von 40 Sitzen, wobei Christdemokrat GEBHARDT mit seinen 837 Stimmen das viertbeste Wahlergebnis seiner Partei erreicht. Bemerkenswert erscheint hier der vergleichsweise hohe Anteil durch Briefwahlstimmen, die für GEBHARDTs gutes Ergebnis sorgten. Allein 689 von insgesamt 6100 Briefwahlstimmen konnte der CDU-Politiker für sich gewinnen, also 11,3 Prozent. In den 37 Wahllokalen kam er dagegen nur auf 148 von insgesamt 28.907 Stimmen - nur 0,494 Prozent.

Dieses krasse Missverhältnis fällt im Vergleich mit der Konkurrenz noch deutlicher aus. So holte Katrin KUNERT (Die Linke) insgesamt 4014 Stimmen, jedoch nur 633 durch die Briefwahl und somit weniger als GEBHARDT.

Auch die CDU-Zugpferde Hardy Peter GÜSSAU und Jörg BÖHME konnten mit ihren 339 und 344 Stimmen nicht mit Holger GEBHARDTs Briefwahlergebnis mithalten, landeten insgesamt aber mit 2826 und 2010 Stimmen in der Gesamtauswertung deutlich vor ihm.

GEBHARDT säße ohne die vielen Briefwahlstimmen nicht im neuen Stadtrat. Der FDP-Kreisvorsitzende Marcus FABER, Professor der Politikwissenschaften, findet das kurios: „Eine solche Häufung der Stimmen ist […] kein Zufall.“, sagt er im Gespräch mit der Volksstimme.

Bizarr ist zudem die Tatsache, dass zehn Stendalern, die im Wahllokal ihrer Wahlfreiheit nachkommen wollten, erzählt wurde, sie hätten ihre Stimmen bereits über die Briefwahl abgegeben. Diese reagierten verblüfft. Und verneinten, bereits gewählt zu haben. Ihre Unterlagen wurden nach ihrem Erscheinen und ihrer Beschwerde aussortiert und sie durften anschließend wählen. Unter ihnen befand sich auch ein Bürger Stendals, "Winfried S.". Er erkannte deutlich, dass seine Unterschrift gefälscht worden war.


3. Juni 2014

Der Wahlausschuss der Stadt tagt am Nachmittag, um über das Ergebnis der Stadtratswahl zu diskutieren. Der Stadtwahlleiter Axel KLEEFELDT verteidigt das Wahlergebnis, spricht von einer formal korrekt durchgeführten Wahl. Eine Manipulation des Wahlergebnisses komme für ihn nicht infrage. Holger GEBHARDT selbst erklärt sein überragendes Briefwahlergebnis mit seinem Wahlkampf. „Meine Strategie war die aktive Bewerbung und Konzentration auf die Briefwahl“, so der CDU-Politiker gegenüber der Volksstimme. Er könne sich nicht vorstellen, dass gegen Grundsätze der Briefwahl verstoßen worden sei.


26. Juni 2014

Axel KLEEFELDT muss auf einer Pressekonferenz einräumen, dass zwölf Bürger Stendals Vollmachten für 179 Briefwahlunterlagen beantragt und ausgehändigt bekommen haben. Jedoch trat in Sachsen-Anhalt Ende 2013 eine Regelung in Kraft, die besagt, dass eine Person maximal vier Vollmachten abholen darf.

KLEEFELDT muss zugeben, dass 131 Wahlscheine formal gegen die Wahlbestimmungen verstoßen. Bei Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt dürfen pro Wahlschein drei Stimmen abgegeben werden. Damit sind 393 Stimmen ungültig. KLEEFELDT beantragt deshalb eine Wiederholung der Briefwahl, bei der auch Nichtwähler einbezogen werden sollen. Fraglich ist, ob diese Wiederholung nur für die 2.325 Nichtwähler gelten solle, die Briefwahlunterlagen beantragt hatten oder auch für die fast 22.000 Nichtwähler der Wahllokale.

Das Kommunalwahlgesetz des Bundeslandes Sachsen-Anhalt sieht einen wesentlichen Einfluss auf das Wahlergebnis und damit eine (Teil-)Ungültigkeit der Wahl nur dann als gegeben, „wenn die Sitzverteilung in der neu gewählten Vertretung ohne die vorgekommenen Wahlverstöße anders ausgefallen wäre oder hätte können.

Der Pressesprecher der GRÜNEN, Mathias FANGOHR, spricht sich gegen eine teilweise Wahlwiederholung aus. Er äußert verfassungsrechtliche Bedenken, da ein Teil der Wähler den größten Teil des Wahlergebnisses bereits kenne. Seiner Ansicht nach „sollte zur verfassungsrechtlichen Wahrung der Grundrechte die Wahl in Gänze wiederholt werden.“

Joachim RÖXE, Fraktionsvorsitzender der Linken, fasst es passend zusammen: „So ein Chaos trägt nicht zur Vertrauensbildung der Bürger gegenüber Politik und Verwaltung bei. Da hat jemand ordentlich Schaden verursacht.“


1. Juli 2014

"Winfried S.", Bürger der Stadt Stendal, schreibt dem Stadtwahlleiter Axel KLEEFELDT eine E-Mail mit der Information, dass seine Unterschrift bei der Vollmachtverteilung gefälscht worden war. Er versichere es an Eides statt.  


3. Juli 2014

Auf der Kreistagssitzung erklärt Kreiswahlleiter und Landrat Carsten WULFÄNGER (CDU) das Wahlergebnis für gültig. Er sagt, man habe durch eine Unterschriftenprüfung keine nennenswerten Abweichungen feststellen können und somit den Wählerwillen gewahrt. Es bedürfe deshalb keiner Wahlwiederholung. Die oberste Kommunalaufsicht im Landesverwaltungsamt legt keinen Widerspruch ein.

Die Sitzung endet.

Wenige Minuten später erfährt Oberbürgermeister Klaus SCHMOTZ (CDU) von der E-Mail von "Winfried S.". Noch am Abend dieses dritten Juli bekommt "Winfried S." unerwarteten Besuch zweier Frauen, die ihn inständig bitten, von seiner Aussage zurückzutreten. 

Weitere 19 Wahlberechtigte, deren Unterlagen durch falsche Vollmachten abgeholt wurden, werden von der Polizei verhört. Christine T., die von ihrer Arbeit als Friseuse allein nicht leben kann und deshalb als Aufstockerin beim Jobcenter registriert ist, bekommt eine Vorladung der Polizei. „Auf den ersten Blick konnte man sehen, dass meine Unterschrift gefälscht war. Ich schreibe ganz anders.“ Unter Anwesenheit der Polizei darf sie den Wahlbrief mit den Stimmzetteln öffnen und kommentiert: „Ganz viele Stimmen für die CDU. So wähle ich aber nie.“ Bei etlichen dieser 19 Personen gibt es einen gemeinsamen Nenner: Das Stendaler Jobcenter - GEBHARDTs Arbeitsplatz.

Schon das Erlangen dieses Arbeitsplatzes wirft Fragen auf. So war die Stelle, die Holger GEBHARDT im Herbst 2011 bekommen hat, entgegen der üblichen Vorgehensweise, vom Jobcenter nicht ausgeschrieben worden. Es bestand zwar keine gesetzliche Pflicht zur Ausschreibung, doch das Bundesverfassungsgericht gab in einem Urteil des Jahres 2010 die Vorgabe, dass sich eine Ausschreibungspflicht dann ergebe, wenn eine entsprechende Praxis in der Dienststelle bestehe, wonach regelmäßig ausgeschrieben werde. Eine Mitarbeiterin des Rathauses schied altersbedingt aus, woraufhin sich GEBHARDT diese Stelle mit einer Initiativbewerbung sicherte. Das Jobcenter bezeichnete ihn als „die Person mit der für diese Stelle am besten geeigneten Ausbildung“.


7. Juli 2014

Auf einer Stadtratssitzung beschließt die Mitte (SPD, FDP, Piraten) zusammen mit den Linken mit 20 zu 15 Stimmen gegen CDU, Grüne und Landgemeinden – unter ihnen auch Axel KLEEFELDT (CDU) und Klaus SCHMOTZ (CDU) – die Wiederholung der Briefwahl. Es soll zudem ein Sonderausschuss zur Analyse der Verfahrensfehler gebildet werden.

KLEEFELDT macht eine Kehrtwende in seiner Haltung dem Wahlbetrug gegenüber und behauptet, keinen Manipulationsversuch erkennen zu können. Seiner Meinung nach sei die Wahl „nur unwesentlich beeinflusst worden“. Demgegenüber sieht Joachim RÖXE die Briefwahl allein schon deshalb als ungültig an, „weil die theoretische Möglichkeit der Manipulation bestand.“

Hardy Peter GÜSSAU muss einräumen: „Wir haben bei der Wahl an alles gedacht, nur nicht an die Verwaltung“, verlangt aber auch Rücksicht Holger GEBHARDT gegenüber. Er werde „öffentlich-medial hingerichtet“. Rainer INSTENBERG, Fraktionsvorsitzender der Mitte, spricht von einer deutschlandweiten Blamage. „Wahlen sind das höchste demokratische Gut, das wir haben. Wahlmanipulation darf es nicht wieder geben.“ KLEEFELDT verteidigt sich: „Wenn Sie mit meiner Arbeit nicht zufrieden sind, können Sie mich gerne abwählen.“

Der Landeswahlleiter nahm auf sieben Seiten zu der Angelegenheit Stellung und sieht in der Herausgabe der 19 Briefwahlunterlagen durch das Rathaus einen eindeutigen Verstoß gegen die Kommunalwahlordnung. Die Briefwahl muss wiederholt werden. 


7. Juli 2014

Am Abend dieses 7. Juli berichtet KLEEFELDT von einem ersten Fall, bei dem eine Vollmacht gefälscht worden sei. „Ich prüfe derzeit, ob ich Strafanzeige erstatte“.


9. Juli 2014

Zur Analyse der Verfahrensfehler wird ein Sonderausschuss gebildet. Es geht um insgesamt 537 Stimmen, die fraglich scheinen. Es wird festgestellt, dass erhebliche Verfahrensfehler vorliegen, was zur erstmaligen (teilweisen) Wiederholung einer Stadtratswahl in Sachsen-Anhalt führt. Diese Nachwahl sei geboten, wenn ohne den Wahlfehler allein rechnerisch die Sitzverteilung anders hätte ausfallen können. 


10. Juli 2014

Axel KLEEFELDT stellt Strafanzeige gegen Unbekannt auf Grundlage der eidesstattlichen Erklärung von "Winfried S.". Eine Prüfung des Landeswahlleiters ergibt, dass KLEEFELDT dem Stadtrat die Namen der zwölf Stendaler, die im großen Stil Vollmachten sammelten, nicht nennen kann. Dies verstoße gegen das Wahl- und das Datenschutzrecht. Nur im Falle einer strafrechtlichen Ermittlung sei dies möglich. Er durfte jedoch sagen, dass es sich bei einem der zwölf Stendaler um eine „in der Öffentlichkeit stehende Person“ handle. 


16. Juli 2014

Hardy Peter GÜSSAU sagt gegenüber der Volksstimme, dass „10 bis 15 Personen, die es am 25. Mai geschafft haben“, nur durch die Manipulation genügend Stimmen erhalten haben könnten.


18. Juli 2014

Joachim RÖXE kündigt einen zusätzlichen Antrag an, um dem Ausschuss das Recht auf Akteneinsicht zu gewährleisten.

Journalist und Herausgeber eines Wirtschaftsmagazins, André WANNEWITZ, erstattet Strafanzeige gegen Axel KLEEFELDT und erwägt, vor dem Verwaltungsgericht die gesamte Wahl anzufechten.


30. Juli 2014

Die eindeutige Verbindung der CDU zu den Wahlpannen kann nicht länger geleugnet werden. Joachim RÖXE sagt dazu: „Es gibt offensichtlich mit der CDU eine starke politische Kraft in der Stadt, die kein Interesse an einer Aufklärung der Wahl hat“. Rainer INSTENBERG geht sogar einen Schritt weiter und behauptet: „Die Verwaltung und die CDU stecken unter einer Decke“.


16. August 2014

Es wird beschlossen, dass 2315 Stendaler Bürgerinnen und Bürger noch einmal wählen dürfen. Rathaussprecherin Sandra SLUSAREK verkündet: „Jeder Wahlberechtigte erhält eine Wahlbenachrichtigungskarte und kann dann die Briefwahlunterlagen anfordern oder am Wahltag ins Wahllokal gehen.“

Rainer INSTENBERG kündigt an, zu diesem Zweck über seine Fraktion ein Infoblatt zu verschicken, auf dem „sachlich und für jeden nachvollziehbar erläutert wird“, warum die Wahlwiederholung erforderlich ist. Auch jene 174 Personen, deren Wahlscheine aus Formfehlern nicht gültig waren, dürfen erneut wählen. Ebenso jene 104, die Unterlagen zwar beantragt aber nicht zurückgesandt hatten. Dagegen dürfen zehn Wahlberechtigte nicht abstimmen, die am 25. Mai im Wahllokal gewählt hatten, obwohl bei ihnen verzeichnet worden war, dass sie bereits Briefwahlunterlagen erhalten hatten.

Ab diesem Zeitpunkt startet der Journalist Marc RATH Aufrufe über Facebook und Twitter, fragt bei Parteien, Bekannten und Informanten an, um Licht ins Dunkel dieser Wahlpanne zu bringen. 


16. Oktober 2014

Auch die Versendung der Wahlbenachrichtigungen für die Wiederholung der Briefwahl verläuft nicht fehlerfrei: 16 Bürger erhalten eine Wahlbenachrichtigung, obwohl sie nicht wahlberechtigt sind. Eine junge Stendalerin erhält eine Wahlbenachrichtigung, hatte aber schon am 25. Mai gewählt. Sie kann demnach theoretisch doppelt wählen. 


22. Oktober 2014

Christian LOTSCH, angeblich Politiker der Grünen, besucht Erna S., eine Stendalerin, und möchte ihre Wahlbenachrichtigung haben. Er würde sich dann um ihre Briefwahlunterlagen kümmern und erneut vorbeikommen. Erna S. unterschreibt blanko. Die Person, die angeblich Christian LOTSCH heißt, taucht danach nie wieder bei ihr auf.


23. Oktober 2014

Die Polizei stattet Erna S. einen Besuch ab und erkundigt sich nach dem Mann, den sie ihnen so beschreibt, wie sie ihn in Erinnerung hat. 


27. Oktober 2014

Marc RATH wird von einer Frau kontaktiert, deren Unterschrift gefälscht worden sei. Und erstmals wird ein Name öffentlich. Bei der Person, die für sie als Bevollmächtigter eingetragen ist, handelt es sich um Wolfgang KÜHNEL, CDU-Kreischef seit 1990, Vorsitzender der CDU-Kreistagsfraktion und Mitarbeiter des regionalen Bundestagsabgeordneten.

„Ich bin sprachlos. Das geht gar nicht“, sagt Grünen-Pressesprecher Mathias FANGOHR, „Wir prüfen mögliche rechtliche Schritte.“


30. Oktober 2014

Die Nachwahl für die Briefwahl soll am 09.11.2014 stattfinden. Doch die Pannenkette reißt nicht ab. Auf der eidesstattlichen Erklärung zur Briefwahl, die den Stendaler Wahlberechtigten verteilt worden war, steht „Hinweise auf der Rückseite beachten“ – doch die Rückseite weist keinerlei Text auf.

Ein ehemaliger Gerichtsvollzieher der Stadt Stendal präsentiert den Wahlschein der Redaktion der Volksstimme und sagt: „Das werde ich nicht akzeptieren. Ich unterschreibe, dass ich die Rückseite zur Kenntnis genommen habe, und das geht gar nicht.“ Er werde der Stadt eine Frist bis zum dritten November 2014 setzen, um den Wahlschein zu korrigieren. Sollte das nicht passieren, werde er die Wahl anfechten.

Die Kommunalaufsicht entschied, einen Ausschuss zur Untersuchung der Wiederholungswahl nicht zuzulassen. Deshalb solle jetzt ein Sonderstadtrat tagen, der diese Aufgabe übernimmt und die Wahl notfalls anfechten könne.

Die Belegschaft eines kleinen Betriebes hat während der Arbeitszeit nachgewählt, wurde von einem Fahrdienst, den CDU-Politiker GEBHARDT finanzierte, zum Rathaus gefahren und bekam eine Aufwandsentschädigung. „Andere veranstalten Wahlpartys für ihre Wähler“, rechtfertigt sich GEBHARDT.

Die Grünen erstatten Anzeige gegen Unbekannt. Pressesprecher FANGOHR erklärt: „Mit der Anzeige wollen wir ermittlerisch aufklären lassen, inwiefern es sich bei der Angelegenheit um eine missbräuchliche Verwendung und Täuschung sowie Rufmord, Verleumdung und üble Nachrede gegenüber Bündnis 90/Die Grünen handelt.“


2. November 2014

Gegenüber der Volksstimme gibt Stendals Stadtrat Reinhard WEIS (SPD) seine Meinung kund: „Wie bescheuert muss man sein oder mit welchem Vorsatz muss man arbeiten, wenn bei der zu erwartenden erhöhten Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und von Polizei und Justiz die gleiche Masche wieder durchgezogen wird? Da sind Personen ohne jedes Unrechtsbewusstsein am Werk“. Joachim RÖXE (Die Linke) fragt sich, wie es um die Demokratie bestellt ist, „wenn Arbeitgeber ihre Mitarbeiter auffordern, eine bestimmte Person zu wählen und dies auch noch während der Arbeitszeit geschehen lassen. Für alle, die 1989 unter anderem für freie und geheime Wahlen auf die Straße gingen, muss dies wie ein Schlag ins Gesicht wirken.“


5. November 2014

Die Staatsanwaltschaft leitet eine Durchsuchungsaktion wegen des Verdachts der Wahlfälschung im Kreisbüro der CDU ein. Dabei liegt der Fokus auf fünf Verdächtigen – unter ihnen Holger GEBHARDT. Die Polizei fährt morgens um acht Uhr zum Kreisbüro und führt eine 90-minütige Durchsuchung durch. Anschließend werden auch die Privatwohnungen von CDU-Kreischef KÜHNEL und einer Mitarbeiterin durchsucht, sowie die Dienst- und Privaträume von Holger GEBHARDT. Das Ergebnis bestätigt den Verdacht: Etliche Vollmachtgeber sind beim Arbeitsort von GEBHARDT registriert – dem Jobcenter. 


6. November 2014

Als Reaktion auf die hervorgebrachten Ergebnisse ist Wolfgang KÜHNEL erschüttert. "Wir sind davon ausgegangen, dass diese Unterschriften echt sind. Unser Vertrauen ist missbraucht worden“.  Holger GEBHARDT werde als Konsequenz alle Parteifunktionen niederlegen und aus der CDU austreten. Er lege sein Stadtratsmandat ab und kündige seinen Nebenjob als Sekretär der Kreistagsfraktion. Im Jobcenter erhalte er Hausverbot und das Rathaus habe ihm fristlos gekündigt. Auch GEBHARDTs Lebensgefährtin, die eine der zwölf Bevollmächtigten ist, werde von der Stadt gekündigt. Trotz der Durchsuchungsaktion steht Holger GEBHARDT noch als Kandidat auf den versandten Briefwahlunterlagen.


9. November 2014

Die Briefwahl wird wiederholt. Für diese Nachwahl gibt es etwa 2100 Wahlberechtigte, von denen nur 844 erneut von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Die Wahl steht jedoch insgesamt auf der Kippe. Es wurden nicht nur zu viele Unterlagen herausgegeben, sondern ein größerer Teil davon war auch gefälscht. Dies für den neuen Wahlgang sauber zu trennen, stellt eine große Schwierigkeit dar.

Axel KLEEFELDT sieht das Ganze jedoch noch optimistisch und spricht von einem „historischen Tag“, an dem es nicht um den Mauerfall, sondern um die Briefwahl gehe, „und um die Früchte der Ereignisse von vor 25 Jahren zu sichern.“

Im Verlauf des Tages wird er jedoch von der Polizei kontaktiert und muss den Wahlausschuss zu einer Sondersitzung einberufen.

Ich kann noch nicht sagen, ob die Wahl hält. Wir wissen inzwischen, dass bei den 179 zu viel ausgegebenen Briefwahlunterlagen im Mai etliche Vollmachten gefälscht worden sind.“ KLEEFELDT lässt deshalb diejenigen Briefwahlumschläge aussortieren, die bei der ursprünglichen Wahl zu den 179 Fällen unberechtigter Vollmachten gehörten. Er will diese mit der Polizei abgleichen, um einschätzen zu können, inwieweit von Fälschungen auszugehen sei. Sie sollen nachträglich berücksichtigt werden, sollte sich der Verdacht der Fälschung nicht bestätigen. „Es geht jetzt darum, die Wahl rechtssicher durchzuführen.“

Er selbst habe „Bauchschmerzen. Wir versuchen ein Verfahren zu gestalten, damit es funktioniert. Wenn das nicht reicht, muss die komplette Wahl wiederholt werden. Das muss strafrechtliche und politische Konsequenzen haben, denn das ist kein Kavaliersdelikt.“

Die Ergebnisse fallen für die CDU entsprechend ernüchternd aus. Sie verliert 1800 Stimmen. Holger GEBHARDT holt statt ursprünglich 689 Briefwahlstimmen nur noch 97. Es ergibt sich jedoch keine Veränderung in der Verteilung der Sitze. Doch nicht nur die CDU hat verloren. Auch die Bürger. Und zwar das Vertrauen in die Politik. Nur 37 Prozent derer, die im Mai Briefwahlunterlagen beantragt hatten, machten von ihrem Wahlrecht erneut Gebrauch.

Innenminister Holger STAHLKNECHT (CDU) muss bei der Aufarbeitung der Affäre feststellen, dass der stellvertretende Leiter des ermittelnden Stendaler Polizeireviers ein CDU-Kreistags- und Kreisvorstandsmitglied ist. Die Ermittlungen werden mit sofortiger Wirkung auf die Polizeidirektion Magdeburg übertragen. Ein ranghoher CDU-Landespolitiker kommentiert die Affäre: „Was ist denn das für eine Scheiße da bei euch in Stendal“.


10. November 2014

Holger GEBHARDT legt sein Stadtrats-Amt ab. 


13. November 2014

Axel KLEEFELDT kündigt an, selbst Einspruch gegen das Ergebnis einzulegen, sollte es nicht auf rechtssicheren Füßen stehen. Die ursprüngliche Angabe von 179 unberechtigten Vollmachten wird auf 189 korrigiert. In einem Fall holte eine Person 33 Briefwahlunterlagen ab. 


17. November 2014

Eine einstündige Sondersitzung des Stadtrates findet statt, auf der nur Beschuldigungen ausgetauscht werden. Linke-Fraktionschef Joachim RÖXE argwöhnt, ob „es ein oder mehrere Gespräche oder Telefonate mit maßgeblichen Leuten aus der CDU“ gewesen seien und ob dort Druck auf Wahlleiter Axel KLEEFELDT ausgeübt worden sei. Hardy GÜSSAU (CDU) kontert „Das ist Ihre große Stunde, Mutmaßungen und Verschwörungstheorien zu äußern. Das passt alles in Ihr Konzept.“ Oberbürgermeister Klaus SCHMOTZ kommentiert: „Diese Diskussion schadet unserer Stadt und ist entstanden durch das unrechtmäßige Handeln Einzelner“


25. November 2014

Axel KLEEFELDT muss nachträglich gestehen: „Ja, es hat eine Rücksprache beim Landkreis gegeben. Dort hieß es, dies kann gemacht werden.“ Zunächst wurde behauptet, die fünf städtischen Mitarbeiter hätten die neue Regelung übersehen, dass eine Person maximal vier Vollmachten beantragen könne. Diese fragten jedoch beim Kreiswahlbüro nach. Und ihnen wurde die Erlaubnis erteilt, die Vollmachten auszugeben – was zu einer Doppelpanne führte.

Holger GEBHARDT verliert seine Arbeitsstelle beim Jobcenter, da er sie zur Unterschriftenfälschung ausnutzte. Nun sieht er sich dem Vorwurf der Wahl- und Urkundenfälschung gegenüber, ihm drohen bis zu fünf Jahren Haft. 


26. November 2014

KLEEFELDT verkündet, dass die Wahl zum Stendaler Stadtrat vom 25. Mai 2014 ungültig sei und wiederholt werden müsse. Die Wiederholung der Briefwahl am neunten November sei gescheitert. Zu stark sei sie von Wahlmanipulationen überschattet worden. Sie kann nicht gewertet werden. Die Kreistagswahl jedoch, die auch von Fälschungsvorwürfen betroffen ist, werde nicht wiederholt werden. Sie wurde – bei etlichen Gegenstimmen – für gültig erklärt. Alle Einspruchsfristen sind hier bereits abgelaufen. 


6. Dezember 2014

Ein anonymer Informant, der die inneren Strukturen der CDU gut kennt, sagt, Holger GEBHARDT sei für einen Qualifizierungslehrgang vorgesehen gewesen, der für Führungspositionen in Ämtern ausbildet. „Holger GEBHARDT sollte für Höheres aufgebaut werden“. Daher auch sein Begehren, ein möglichst hohes Wahlergebnis zu bekommen, das nur für den Sitz im Stadtrat gar nicht so hoch hätte ausfallen müssen. „Es sollte nach außen hin klar werden, dass er mehr als nur ein Kofferträger ist.“

Auch das Einschleichen in seine Stelle im Jobcenter stellt sich spätestens jetzt als schlechte Idee heraus, denn eine Person stellt Anzeige gegen Oberbürgermeister Klaus SCHMOTZ. Er möchte anonym bleiben, „da ich im Angestelltenverhältnis der oben genannten Arbeitgeber stehe und mit persönlichen Konsequenzen rechnen muss.“ Die Begründung der Anklage gegen SCHMOTZ lautet: „Der Oberbürgermeister hat auf Anraten von CDU-Vorstandsmitgliedern Herrn Holger GEBHARDT ohne öffentliche beziehungsweise interne Stellenausschreibung rechtswidrig ohne Nachweis von Qualifikation in der Stadtverwaltung angestellt und an das ARGE-Jobcenter abgeordnet.“


12. Dezember 2014

Es findet eine Sitzung des Landtags statt. Auf dieser wird eine der Säulen, auf die sich die gesamte Wahlpanne stützt, von erst jetzt an die Öffentlichkeit gelangenden Details näher erleuchtet: Die veränderte Verordnung über die erlaubte Anzahl an herauszugebenden Vollmachten.

Für die Wahlen am 25. Mai 2014 gab es für die Kommunalwahlen und die Europawahl jeweils eine Wahlbenachrichtigungskarte. Auf der Europawahl-Vollmacht wurde die neue Vierer-Regelung ausdrücklich erwähnt und musste unterschrieben werden – auf der Wahlbenachrichtigungskarte für die Kommunalwahl fehlte dieser Abschnitt.

Diese Vierer-Regelung, also dass eine Person maximal vier Vollmachten beantragen kann, sei nun aber bekannt gewesen und mehrfach im Detail auch gegenüber denjenigen, die in der Stendaler Verwaltung sitzen, erläutert worden. Staatsminister Rainer ROBRA (CDU) sagt dazu auf der Sitzung des Landtages: „Sie haben Verordnungen nachzuvollziehen.“ Es sei Routine für Mitarbeiter der Verwaltung, sich neue Verordnungen und deren Inhalte anzueignen. Im Falle der Briefwahl-Vollmachten sei das im ganzen Land gelungen, nur nicht in Stendal. „So kompliziert ist das nicht“, umschrieb der Minister sein fehlendes Verständnis für die Panne.

Axel KLEEFELDT nimmt die fünf Personen, die mit der Briefwahl vertraut waren, in Schutz und verneint die Frage, ob diese ausdrücklich auf das neue Kommunalwahlgesetz hingewiesen worden seien. „Dafür habe ich die politische Verantwortung übernommen.“

Oberbürgermeister SCHMOTZ kommentiert diesen Fehler etwas nachsichtiger: „Das war ein menschlicher Fehler. Dies kann schon mal passieren.“

Die Neuerungen, die das überarbeitete Kommunalwahlgesetz mit sich brachte, wurden jedoch nicht nur über das Verordnungsblatt verkündet. Aus der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters heißt es, die „Vierer-Regelung“, die schon bei Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen galt, „wurde bereits in der Dienstberatung mit den Kreiswahlleitern am 03. Dezember 2013 besprochen.“ Das Protokoll dieser Beratung wurde im Januar 2014 an alle Kreiswahlleiter versandt. Zudem wurde im März 2014 ein 88-seitiger Durchführungserlass für die Europa- und Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 veröffentlicht. In diesem findet sich auch die Regelung zu den Vollmachten für die Briefwähler.

Am 19. März 2014 wurden die Vertreter der Gemeinden von Kreiswahlleiter Carsten WULFÄNGER zu einer Beratung geladen. „Es wurde neben vielen anderen Themen auch die Briefwahl erörtert. An dieser Beratung nahmen auch zwei Vertreter der Stadt Stendal teil“, heißt es aus dem Landratsamt. Auch „das Thema der Herausgabe der vier Vollmachten“ sei „auf Nachfrage erörtert worden“.

Aus Sicht des Landeswahlleiters sei diese Regelung „unmissverständlich und eindeutig“ und stelle keine Fehlerquelle dar. „Die Bevollmächtigten haben die Entgegennahme von Wahlunterlagen für maximal vier Personen der Gemeinde vor Empfangnahme der Unterlagen schriftlich zu versichern.“ Dies könne vor Ort auch formlos geschehen. „Die Umsetzung dieser Rechtsnorm ist – bis auf Stendal – landesweit ordnungsgemäß geschehen.“


14. Januar 2015

Nicht erst im Juli, sondern schon am Tag der Wahl, war im Rathaus bekannt geworden, dass es zumindest eine Fälschung bei der Briefwahl gegeben hatte.

"Winfried S." hatte am Wahltag seine Wahlbenachrichtigungskarte vorgelegt. Die Wahlhelfer waren erstaunt und sagten, es sei registriert, dass er bereits Briefwahlunterlagen erhalten hatte. Was "Winfried S." wiederum verneinte. Nach kurzer Rücksprache des Wahlvorstehers mit der Briefwahlleitung im Stadthaus wurde "Winfried S." gebeten, sich im Briefwahllokal am Markt vorzustellen. Dort wurde ihm seine angebliche Vollmacht vorgelegt. Ihm war der als Bevollmächtigter eingetragene Mann, Herr M., unbekannt. „Darunter sah ich eine Unterschrift, die meiner ähnlich war, aber niemals von mir gezeichnet worden war. Das habe ich dort auch deutlich zu verstehen gegeben.“

Axel KLEEFELDT nimmt jetzt dazu Stellung: „Diese Information ist am Wahltag nicht zu mir gelangt.“ Wäre sie es, hätte er umgehend reagiert, sagt er heute. Wieso diese Information ihn nicht erreicht hatte, konnte er nicht sagen.

Neben "Winfried S." hatten neun weitere Stendaler am 25. Mai erst nach Klärung mit der Briefwahlleitung wählen dürfen. Diese Fälle waren vom Stadtwahlleiter bei seiner ersten Prüfung nicht den Vollmachten zugeordnet worden. Deshalb musste die Zahl von 179 gefälschten Vollmachten auf 189 nach oben korrigiert werden. Axel KLEEFELDT muss zugeben: „Aufgrund des zu erwartenden negativen Presseechos haben wir die Zahl in der Folgezeit nicht kommuniziert.“


16. Januar 2015

Die Dimension des Wahlbetrugs vergrößert sich mit jedem neuen aufgedeckten Detail.

„Das Verfahren richtet sich derzeit gegen 13 Beschuldigte“, so Brigitte STRULLMEIER, stellvertretende Pressesprecherin der Stendaler Staatsanwaltschaft. Es handle sich dabei neben CDU-Stadtrat Holger GEBHARDT um die 12 Personen, die für die Wahl am 25. Mai 2014 insgesamt 189 Briefwahlvollmachten abgeholt hatten.

Das vorläufige Ergebnis der Staatsanwaltschaft ist erschreckend. Von den 189 eingereichten Briefwahlvollmachten seien 120 gefälscht. Tatbestand: Urkundenfälschung.

Doch damit nicht genug. Die eigentliche Zahl der Wahlfälschungen ist noch höher. Nach derzeitigem Stand ist die Unterschrift auf dem Wahlschein in rund 160 Fällen gefälscht. Grund dafür: Die Kommunalwahl in Stendal war eine verbundene Wahl. Gegen Vorlage der Vollmacht erhielt man sowohl die Stimmzettel für die Stadtrats- als auch für die Kreistagswahl. Es musste für beide Wahlen nur ein Wahlschein unterschrieben werden. Auf beiden Stimmzetteln konnten jeweils drei Stimmen abgegeben werden. 160 gefälschte Wahlscheine, sechs falsche Stimmen: Somit dürften fast 1000 Stimmen gefälscht worden sein.

Zur Differenz der 120 gefälschten Vollmachten zu den 160 gefälschten Wahlscheinen sagt die Staatsanwaltschaft derzeit nichts. Der Umfang der Ermittlungen werde stetig größer. Bis zur Wahlwiederholung der Stadtratswahl am 21. Juni 2015 wird die Fälschung nicht aufgeklärt sein.


26. Mai 2015

Für die Oberbürgermeister-Wahl in Stendal bleibt es bei den drei schon bekannten Kandidaten: Amtsinhaber Klaus SCHMOTZ (CDU) tritt gegen Katrin KUNERT (Die Linke) und Reiner Instenberg (SPD) an. Für sie und die 124 Stadtratskandidaten geht es jetzt in die heiße Phase des Wahlkampfs.


6. Juni 2015

Seit 1990 gab es nicht mehr solch eine Auswahl auf dem Stimmzettel. 124 Stendalerinnen und Stendaler bewerben sich um die 40 Sitze im Stadtrat. Das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Der größte Zuwachs liegt dabei auf Seiten der Linken. Mit 37 Kandidaten stellen sie die meisten. Die CDU stellt entgegen ihrer 35 Kandidaten von 2014 nunmehr noch 31 Kandidaten. SPD und Grüne legen leicht zu, die FDP stellt einen Kandidaten weniger.

Auch der Anteil der weiblichen Kandidaten hat sich im Vergleich zum Vorjahr von 26,9 auf 36,7 Prozent gesteigert.

Die jüngste Kandidatin stellt mit gerade einmal 18 Jahren die FDP. Auffallend demgegenüber die CDU, die nur noch drei Kandidaten stellt, die jünger als 35 Jahre sind. Dies waren vor einem Jahr noch doppelt so viele. Der älteste Bewerber, Wilfried WOLLENBERG, kommt mit 78 Jahren von der SPD. 


21. Juni 2015

Der neue Wahltag bringt wenig Veränderung: geringe Wahlbeteiligung, der alte Bürgermeister ist zugleich der neue:

"Bei der Stadtratswahl fuhr die CDU 36,4 Prozent ein, was einen Verlust von 4,3 Prozentpunkten bedeutet. Die Linke kam auf 26,6 Prozent, die SPD auf 20,5 Prozent. Die FDP büßte mit 3,2 Prozent einen Sitz ein. Ferner sind die Grünen (2,2 Prozent), die AfD (2,0 Prozent), die Piraten (1,9 Prozent) sowie die drei Einzelbewerberinnen Anette Lenkeit, Carola Radtke und Harriet Tüngler mit (gesamt 7,2 Prozent) im neuen Rat vertreten. Die Wahlbeteiligung lag bei 31,5 Prozent, im Mai 2014 waren es noch 36,4 Prozent. SPD-Spitzenkandidat Reiner Instenberg hofft, mit Einzelbewerbern und den Parteien, die nur ein Mandat errungen haben, wieder eine starke Fraktion bilden zu können", rapportiert die Volksstimme die Eregbnisse.

Kurz gesagt: Bürgermeister SCHMOTZ (CDU) bleibt mit 50% SCHMOTZ, seine (ernstzunehmende) Konkurrentin Karin KUNERT von den LINKEN bleibt mit 34% abgeschlagen weit zurück.

Wirklich alles beim Alten?

Marc RATH, der die ganze Sache ins Rollen gebracht hat, sieht das in seinem Kommentar so:

"Der größte Angriff auf die Demokratie ist die Manipulation einer Wahl. In Stendal sind im vorigen Jahr Briefwahl-Vollmachten gefälscht worden. Das brachte die größte Stadt der Altmark in die Negativ-Schlagzeilen. Die deswegen nötig gewordene komplette Wiederholung der Stadtratswahl sorgte am Sonntag für einen Negativ-Rekord: Nur 31,5 Prozent gingen zur Wahl - das ist noch nicht einmal jeder Dritte. Keine andere Stadt in Sachsen-Anhalt verzeichnete zuletzt eine so geringe Beteiligung.
Die Minderheit der Stendaler, die im Wahllokal war, stimmte fast so ähnlich ab wie ein Jahr zuvor. Das wird bedauern, wer sich anderes erhofft hat. Rund 2000, die damals gewählt haben, verweigerten sich dieser Wahlwiederholung. Keine der politischen Kräfte konnte sie mehr erreichen, obwohl die Wahl-Fälschung in der Stadt das Thema Nummer eins ist.

Am Sonntag haben daher alle verloren - die Demokratie, die Parteien und die Stadt Stendal."


2016

Jetzt treten in Sachsen-Anhalt zwei Änderungen der kommunalen Wahlverordnung in Kraft - Folge des Wahlbetrugs aus dem Jahr 2014. Die Gemeinden können nun ein Bevollmächtigten-Verzeichnis anlegen. Und es gibt ein einheitliches Formular für Bevollmächtigungen. Niemand soll künftig mehrfach - bzw. 30 Mal wie seinerzeit geschehen - für andere Briefwahlunterlagen abgeben können.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft indes dauern immer noch an.


Juni + Juli 2016

Nach mehr als 2 (in Worten: zwei) Jahren ist die Staatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen fertig. Fast. Jetzt steht die Anklageerhebung aus. Die Fakten sind eindeutig: CDU-Politiker aus Stadt, Kreis und Land hatten 2014 versucht, die Wahlmanipulation zu vertuschen. Mitbeteiligt an der Vertuschungsaktion: der heutige Landtagspräsident in Magdeburg Hardy Peter GÜSSAU. In Sachsen-Anhalt regiert eine schwarz-rot-grüne Koalition.

Dies sind die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft zum Ablauf der Vertuschungsaktion:

  • Bereits bei der Wahl 2009 wurde gefingert. Und die Betroffenen hatten daraus gelernt: Sie haben ihr Vorgehen dann bei der Wahl 2014 optimiert.
  • Bei der neuen Wahl 2014 wurden 189 Vollmachten vorsätzlich gefälscht, um damit per Briefwahl weitere Stimmen zu generieren. Konkret: die Unterschriften wurden getürkt, mit denen die "Bevollmächtigten" sich dann Briefwahlunterlagen abholen konnten. Ohne Wissen derer, in deren Namen dann gewählt wurde.
  • In einem Fall ging das allerdings schief. Der Betroffene, Florian M. ("Winfried S."), erklärte eidesstattlich auf dem Rathaus, dass die Unterschrift auf der Vollmacht gefälscht sei; er habe keine Vollmacht vergeben.
  • Jetzt war Panik in der Stendaler CDU angesagt. In der Ausgabe der Volksstimme vom 23. Juli des aktuellen Jahres 2016 liest sich das so: "So mailt CDU-Stadtchef Güssau bereits am 21. Juni an CDU-Kreischef Wolfgang Kühnel, er habe „gestern einen machbaren Weg mit Klaus (Staatssekretär beim Verkehrsminister) besprochen und Kleefeldt (Wahlkreisleiter) hat mitgemacht“.
    Am 24. Juni 2014 teilt ihm Güssau mit: „Dr. Klang (Staatssekretär beim Verkehrsminister) hat eine mögliche Lösung gestern Carsten vorgeschlagen. Hoffentlich macht Axel mit!“
    „Axel“ ist der Stadtwahlleiter, „Carsten“ – das ist Stendals Landrat Carsten Wulfänger (CDU). Er hat ebenfalls Widerspruch eingelegt, denn die Wahlunterlagen galten für die Stadtrats- und die Kreistagswahl.

    Was der „Carsten“, der „Axel“ und der „Klaus“ da besprochen haben, führt lediglich zu einem Abgleich der 179 Unterschriften auf den Wahlvollmachten mit denen aus dem Melderegister der Stadt Stendal. Dabei werden keine Graphologen eingesetzt, sondern ein kleines Team aus der Stendaler Stadtverwaltung.
  • Und so geschah es auch. Und nur bei 3 Vollmachten "habe es Bedenken gegeben", lässt die CDU verlauten. Von einer Verfälschung des Wählerwillens könne daher keine Rede sein. Daher wollten Wahlleiter KLEEFELD sowie die CDU-Fraktion nebst ihrem Koalitionspartner DIE GRÜNEN die Wahl nicht wiederholen lassen
  • Woher die Namen und Adressen der angeblichen Vollmachtgeber stammen, konnte die Staatsanwaltschaft jetzt auch klären. Jener, der von dieser manipulierten Wahlaktion profitiert hatte, Holger GEBHARDT (CDU) hatte Namen und Adressen im Computer seiner Lebensgefährtin Conny B. abspeichern lassen. Es sind die Namen von Arbeitslosen bzw. Hartz IV-Empfängern, die GEBHARDT in seiner Funktion als Mitarbeiter des Jobcenter betreut hatte.

Hier lässt sich der Bericht der Stendaler Volksstimme im Original lesen.

Natürlich wurde auch der neue Landtagspräsident Hardy Peter GÜSSAU (CDU) dazu befragt:

Eine Antwort auf die Frage, warum sich GÜSSAU im Jahr 2014 so aktiv in die Lösungssuche für das Manipulationsproblem eingebracht habe, hat Redakteur Marc RATH von der Stendaler Volksstimme nicht erhalten


August 2016

Nachdem klar wurde, dass der inzwischen zum Landtagspräsidenten aufgestiegene Hardy Peter GÜSSAU (CDU) bei der Vertuschungsaktion mitgefingert hatte, wurde der Druck immer größer. Seine CDU-Parteikollegen stehen fest zu ihm - sie können keine Verfehlungen erkennen. Aber die SPD droht mit dem Bruch der Koalition. 

GÜSSAU bedients sich weiter seines flotten Mundwerks. Bereits bei der Wahl zum Landtagspräsidenten im April 2016 beantwortete er Fragen nach seiner Rolle so: "Das ist ein Thema zum Gähnen, das ist durch.

Und auch im August sagt er klar: "Ich trete nicht zurück!" Und wenn es eine Abwahl geben sollte: "Das müssen diejenigen machen, die mir nicht mehr vertrauen." 

Einsicht in sein (Fehl)Verhalten? Alle Vorwürfe sind "unsubstantiiert und boshaft!"

Nichtsdestotrotz tagt am 16.8. der Ältestenrat des Parlaments. Er will eine Lösung. Noch bevor das Votum verkündet wird, rafft sich GÜSSAU auf. GÜSSAU tritt zurück. In seiner Presseerklärung bringt er seine Rolle auf die Kurzformel: "Ich habe nicht vertuscht, nicht getarnt und auch nicht getrickst."


(TobSp / JL)