Frontal21, 10.12.2002

von Herbert KLAR

Globudent-Skandal: "Geheimcode" entschlüsselt

Neue Recherchen zum Zahnersatz-Betrug

Experten der AOK ist es gelungen, die Rechnungen der Skandalfirma Globudent zu entschlüsseln.

Seit Frontal21 vor drei Wochen den Skandal um die Zahnfirma Globudent aufgedeckt hat, fragen sich viele Patienten, was sie denn eigentlich im Mund haben.

Der Zahnarzt Dr. Reiner Zajitschek aus Döhlau bei Hof im Fränkischen arbeitet nur mit Laboren aus der Umgebung zusammen, doch als Kreisobmann der Zahnärzte wenden sich verunsicherte Patienten an ihn.

Reiner Zajitschek: "Im Extremfall hatten wir einen Patienten, der hat eine Brücke, die er zum Probetragen im Mund hatte, dann gewogen, um das Gewicht der Brücke abzugleichen mit der Laborrechnung, weil er wirklich von Misstrauen erfüllt war gegenüber seinem Zahnarzt und seinem Zahntechniker."

Globudent wirbt weiter

Noch immer wirbt die Zahnimportfirma Globudent im Internet. Die Geschäftsführer sitzen in Untersuchungshaft. Täglich melden sich bei den Fahndern Zahnärzte, die mit Globudent zusammengearbeitet haben. Viele haben bereits freiwillig begonnen, Patienten und Kassen das ergaunerte Geld zurückzuzahlen.

Den Experten der AOK Niedersachsen ist es gelungen, die Rechnungen der Mühlheimer Zahnfirma zu entschlüsseln. Patienten können jetzt selbst kontrollieren, ob sie mit Billigzähnen aus China betrogen wurden. Ein Sternchen als Geheimcode.

Klaus Altmann, AOK Niedersachsen: "Wir wissen seit kurzem, dass die Firma Globudent und die mit ihr zusammenarbeitenden Zahnärzte so eine Art Geheimcode entwickelt haben. Und zwar, wenn auf der Rechnung für den Zahnersatz vor dem Namen des Patienten ein Sternchen auftaucht, dann ist das schon ein recht guter Hinweis darauf, dass hier der Zahnarzt und die Firma gemeinsame Sache gemacht haben, dass da Geld geflossen ist an den Zahnarzt und dann kann der Patient also daran gehen, jetzt Schadensersatz zu fordern."

Die Politik reagiert

Seit der Durchsuchung der Zahnfirma Globudent vor knapp drei Wochen ist die Branche in heller Aufregung. Und auch die Bundesgesundheitsministerin fordert jetzt Konsequenzen von den Kassen.

Ulla Schmidt, Bundesgesundheitsministerin: "Es ist Sache der Krankenkassen auch dafür zu sorgen, dass das, was abgerechnet wird, tatsächlich an Leistung erbracht wurde. Das Problem ist ja, dass man Billigzahnersatz eingeführt hat und trotzdem die deutschen Höchstpreise abgerechnet hat. Und da muss das Vertragsrecht so transparent gestaltet werden, dass das nicht mehr möglich ist."

Das noch größere Problem: Wie gefährlich sind die asiatischen Billigzähne? Im thailändischen Labor K-Lab in Bangkok haben wir mit versteckter Kamera gedreht. Welche Materialien hier verwendet werden, kann niemand kontrollieren. Auch in den Rechnungen für deutsche Patienten finden sich keine Hinweise auf die Zusammensetzung, obwohl dies in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist.

Zähne aus Türklinken

Für uns hat Gutachter Wilfried Eimbeck die Rechnungen aus Thailand geprüft.
Wilfried Eimbeck: "Mir liegt hier gerade eine Rechnung vom K-Dental-Labor aus Bangkok vor. Hier sehen Sie eigentlich nur Buchstaben und ein paar Zahlen, da geht gar nichts draus hervor. Da stehen Hieroglyphen drauf, die man gar nicht richtig erkennen kann, von denen man nicht weiß, was es heißt und das war`s."

Gutachter Eimbeck ist alarmiert: "Ich kann einen Schlüssel von einer Tür oder die Türklinke einschmelzen, kann die vergießen und wenn ich das poliere, dann können Sie nicht mehr erkennen, ist das eine vernünftige Legierung oder war`s die alte Türklinke. Das ist nicht erkennbar."

Weil eine Kontrolle fehlt, geraten auch Ersatzkassen wie die DAK immer mehr unter Druck. Im Internet preisen sie immer noch Billigzähne aus dem Ausland an, ködern Patienten mit Preisnachlässen bis zu 40 Prozent.

Weil sie nicht für Billigzähne werben dürfen, heißt die Werbung offiziell Information.

Wir fragen beim Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) nach: "Sie können derzeit nicht kontrollieren - keine Qualitätskontrolle durchführen, werben aber für ausländischen Zahnersatz?"

Martin Schneider, VdAK: "Wir können derzeit keine hundertprozentige Qualitätskontrolle durchführen, das ist aufgrund der Anzahl der Fälle nicht möglich. Ich wiederhole noch mal, wir betreiben keine Werbung, sondern wir schaffen ein alternatives Versorgungsangebot für unsere Krankenkassen, die sich daran freiwillig beteiligen können. Wir betreiben aber keine Werbung im klassischen Sinne."
Wortklauberei.

Qualitätsprüfung wie bei Lebensmitteln

Die bayerische Sozialministerin Christa Stewens ist verärgert. Unmittelbar nach der Aufdeckung des Skandals durch Frontal21 forderte sie schriftlich von den Kassen, diese Praxis zu ändern. Sie schreibt: "Ich bitte Sie, geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der in der Sendung Frontal21 geschilderten Missstände zu entwickeln und mir bis spätestens 20. Dezember 2002 über das Veranlasste zu berichten."

Christa Stewens, Sozialministerin Bayern: "Wenn die Kassen für ausländische Zahntechnik Reklame machen, dann sind die Kassen auch verpflichtet, hier für die Qualitäten, die sie aus dem Ausland haben wollen, gerade zu stehen. Und deswegen halte ich es für sehr wichtig, dass die Kassen auch Stichproben machen im Bereich der Zahnprothetik. Und wenn sie sagen, das sei nicht möglich, dann muss ich sagen: Das kann's nicht sein. In jedem Lebensmittelgeschäft, in jeder Gaststätte werden Stichproben gemacht - über die Lebensmittelqualitäten, dann muss letztlich auch über das was dem Mensch als künstliches Gebiss im Mund eingesetzt wird oder Brücken Stichproben in den Zahnarztpraxen möglich sein."

Druck auf die Zahnärzte

In der Praxis von Zahnarzt Reiner Zajitschek aus dem fränkischen Döhlau gibt es keine Billigzähne aus dem Ausland. Doch die Ersatzkassen wollen Kosten sparen und üben schon mal gerne Druck aus. Eine Kollegin wurde sogar am Telefon bedrängt, Billigzähne aus dem Ausland zu beziehen.

Reiner Zajitschek: "Der Fall ist dann an mich in meiner Eigenschaft als Obmann herangetragen worden, da setzte dann Stufe zwei des Drucks ein. Ich hatte eine Veröffentlichung in der lokalen Tagespresse, wo ich diese Vorgänge anprangerte. Ich erhielt aufgrund dieses Artikels einen Anruf vom VdAK, vom Verband der Angestelltenkrankenkassen. Hier wurde ich aufgefordert, den Artikel zurückzuziehen bzw. zu widerrufen und ansonsten würde mir eine Geldstrafe von 250.000 Euro oder alternativ sechs Monate Haft in Aussicht gestellt."

Ersatzkassen-Patienten in Zukunft schon am Lachen erkennbar? Mit dieser polemischen Anzeige haben 202 Zahnärzte in der Oberpfalz vor der Billig-Medizin der Ersatzkassen gewarnt. Die schlagen mit aller Macht zurück: Sie versuchen allen 202 Zahnärzten die Kassenzulassung zu entziehen.

Der Patient bleibt der Dumme

Wir konfrontieren Martin Schneider vom VdAK mit diesem Vorwurf: "Dies ist ein massives Mittel gegen Leute vorzugehen, die Kritik üben." Martin Schneider, VdAK: "Wir haben bis jetzt von derartigen Anzeigen Abstand genommen. Und hier wird versucht, einen Budgetstreit dazu zu verwenden, um im Wettbewerb einseitige Empfehlungen auszusprechen, dagegen müssen wir einfach vorgehen."

Reiner Zajitschek: "Die Geschichte ist für die betroffenen Kollegen überhaupt nicht lächerlich, sondern nimmt existenzvernichtende Züge an. In meinen Augen gibt es aber für diese bösartige und völlig überzogene Attacke der Ersatzkassen überhaupt keine Rechtfertigung."

Einschüchterungsversuche statt Qualitätskontrollen. Bei dieser Methode bleibt der Patient der Dumme.