Die Berichte des Hamburger Abendblatt, 22.04.2006

von Marion GIRKE

Alte Dame: Psycho-Gutachten am Abfall-Container?

Der Fall der alten Dame, deren Grundstück in Kummerfeld (Kreis Pinneberg) von den Betreuern gegen ihren Willen verkauft worden war: Ein Fall, der deutschlandweit Aufsehen erregt. Der "Spiegel" oder der NDR haben etwa über die Betreuungsaffäre, die das Abendblatt aufdeckte, berichtet. Jetzt gibt es neue Einzelheiten: Auch der Vorgang, wie Thea Schädlich im Sommer 2004 unter die Obhut ihrer Betreuer kam, erscheint demnach sehr fragwürdig - und ebenso umstritten wie der Grundstücksverkauf Ende vergangenen Jahres an die Gemeinde Kummerfeld.

Die alte Dame hatte sich schon über den Mann gewundert. Mehrfach war er in seinem Auto hin- und hergefahren auf der Bundesstraße in Kummerfeld, und hatte sich offensichtlich für sie interessiert, die im Sommer 2004 gerade dabei war, die Hecke ihres Grundstücks zu schneiden.

Angesprochen wurde die damals 66jährige aber erst Tage später. An einem Abfallcontainer in Pinneberg, erinnert sich die 68jährige. Erst stellte der Mann sich selbst kurz als Dr. M.-B. vor, dann hatte er einige Fragen. Unter anderem zum Gesundheitszustand. Ein wenig pampig antwortete ihm Thea Schädlich. Und stieg dann an einer nahen Haltestelle in einen Bus. Warum auch sollte sie einem ihr nicht bekannten Herrn etwas zu ihrer Gesundheit sagen?

Heute weiß die alte Dame, was der Mann damals mit dem letzten Satz meinte, den sie gehört hatte, bevor der Bus seine Türen schloß: "Ich glaube, ich muß Ihnen eine Betreuung zuordnen. Entmündigung gibt's ja nicht mehr. Mal sehen, wie ich das mache." Denn keine drei Monate später war es so weit: Thea Schädlich wurde vom Amtsgericht Pinneberg unter Betreuung gestellt. Ausschlaggebend dafür war ein Gutachten von jenem Sachverständigen, der sie nur einmal am Abfallcontainer traf.

Elfmal soll er vergeblich versucht haben sie zu kontaktieren. Auch das geht aus der Betreuungsakte hervor. Dann, so heißt es, telefonierte der Gutachter noch mit dem Hausarzt von Thea Schädlich. Braucht es nicht mehr für ein Gutachten?

Zur Erinnerung: Angeregt hatte diese Betreuung das Amt Pinneberg-Land, die "Schreibstube" der Gemeinde Kummerfeld, die später das Grundstück kaufte. Weil das Grundstück so vermüllt, oder, wie es offziell heißt, "verwahrlost" gewesen sei. In dem dann anlaufenden Verfahren gab es auch eine sogenannte Verfahrenspflegerin. Ihre Aufgabe ist es, als eine Art Anwältin oder weitere Kontrollinstanz der Betroffenen vor dem Vormundschaftsgericht die Interessen von Thea Schädlich zu vertreten. Zufall oder nicht? In diesem Fall arbeitet die Verfahrenspflegerin in Bürogemeinschaft mit jenem Betreuer, der später das Grundstück verkaufen wird.

Zufall oder nicht? Die Betreuer leiteten den Verkauf des Grundstücks von Thea Schädlich ein, als ihre Betreute über Monate im Klinikum Elmshorn war. Dorthin hatte sich Thea Schädlich im November 2005 freiwillig begeben, auf Anraten ihrer Ärztin. Zehn bis zwölf Tage, in denen die alte Dame zur Ruhe kommen sollte. Auf Veranlassung ihrer Betreuer wurden daraus mehr als sechs Monate. Zeitweise in geschlossener Unterbringung. Mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, die mehrfach verlängert wurde. Der Oberarzt, so erinnert sie sich, sagte der alten Dame damals: "Wir hätten sie gern nach einigen Tagen entlassen, müssen uns aber der gerichtlichen Anweisung beugen."

Nicht nur Thea Schädlich hat den Verdacht, daß man sie aus dem Weg haben wollte, während der Grundstücksverkauf angegangen wurde. Ein Verdacht, den die Betreuer selbstredend zurückweisen. Am 8. Februar besichtigte ein Gutachter aus Elmshorn mit dem Ergänzungsbetreuer das Filetgrundstück in Kummerfeld, um ein 27seitiges Wertgutachten anzufertigen. Am 26. März erschien ein Immobilien-Angebot im Abendblatt, aufgegeben vom Ehemann der damaligen, inzwischen abgelösten Betreuerin: "Kummerfeld, 7.409 qm Grdst., davon ca. 3550 qm Baulandfläche, ca. 3859 qm Bauerwartungsland nach F-Plan...".

Und noch während Thea Schädlich gegen ihren Willen in der Klinik bleiben mußte, räumten die Betreuer ihr Haus in Kummerfeld aus. Alles wurde in Kisten verpackt und zu einer Spedition gefahren. Auch das zweite Haus der alten Dame in Halstenbek ist bis auf die Küche und die Hälfte des Wohnzimmers mit den weit mehr als 100 Kartons vollgepackt. In die Küche stellten die Betreuer einen Herd und einen Kühlschrank, in das Wohnzimmer kam ein leerer Schrank mit zwei Sesseln und einer Liege. Mehr nicht. Kein Bettzeug, kein Handtuch, keine Seife, berichten Abendblatt-Mitarbeiter, die vor Ort waren.


Was sonst noch läuft
Der Fall der alten Dame - wie geht es weiter? Und welche Verfahren laufen vor Gericht?

Ein Überblick:

  • In zwei Verfahren vor dem Landgericht Itzehoe geht es um den Grundstücksverkauf an die Gemeinde Kummerfeld und die Räumung des Geländes. Thea Schädlichs Pinneberger Rechtsanwalt Gunther Giese versucht, die Genehmigung des Grundstückskaufs durch das Pinneberger Vormundschaftsgericht aufheben zu lassen. Erreicht hat er bereits, daß der Gemeinde vorläufig untersagt ist, das Haus abzureißen.
  • Die Staatsanwaltschaft Kiel prüft derzeit, ob es Anhaltspunkte gibt für ein Ermittlungsverfahren gegen die Betreuer. Ein Verfahren, wie am Freitag irrtümlich berichtet, ist noch nicht eingeleitet.
  • Die alten Betreuer versuchen, per Gericht insgesamt 85 000 Euro wiederzubekommen, die zwei Banken Thea Schädlich von ihren Konten ausgezahlt haben, als sie bereits unter Betreuung stand.
  • Rache? Die Gemeinde Kummerfeld hat Strafanzeige gegen Thea Schädlich gestellt, weil auf dem an sie verkauften Grundstück Verkehrsschilder gefunden wurden, die die Gemeinde als ihr Eigentum ansieht.