Die Berichte des Hamburger Abendblatt, 15.04.2006

von Marion GIRKE

Der Fall der alten Dame - Sieg vor Gericht

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Kann man es einem Menschen verwehren, sich an die Presse zu wenden? Die Antwort der Richter einer Berliner Zivilkammer ist ein klares Nein. Dem Urteil ging eine knapp zweistündige Verhandlung voraus, die zeitweise Züge des Grotesken annahm - und in der sich einer der Anwälte in seinen wiederholten verbalen Entgleisungen selbst vom Vorsitzenden Richter nicht bremsen ließ.

Berlin - "Haben Sie der Verhandlung bisher folgen können?" - "Ja." "Sind Sie damit einverstanden, daß auch über Ihre Krankheit berichtet wurde?" - "Ich bin gar nicht krank."

Die Zeiger der Uhr an der Stirnwand des Saales 143 zeigen 13.06 Uhr, als sich die Richter der Zivilkammer 27 des Landgerichts Berlin nach knapp zwei Stunden Verhandlung zum ersten Mal persönlich an Thea Schädlich wenden. Zwei Fragen, mehr nicht.

Vorne im Saal, da hatten sie sich bis dahin die Köpfe heiß geredet. Am Tisch der drei Richter gab ein Wort das andere. Auf grünem Filzteppich an ihren Holzpulten stehend, duellierten sich in freier Rede und schwarzen Roben Rolf Schultz-Süchting, Rechtsbeistand des Hamburger Abendblatts, und Johannes Eisenberg, Anwalt des Betreuers. Keine zwei Meter auseinander, unter schwachem Leuchtstoffröhrenlicht, wälzten die Anwälte ihre Akten und zitierten aus Beschlüssen. Drei einstweilige Verfügungen und eine Gegendarstellung waren zu verhandeln.

Doch die Frau, um die es eigentlich geht, saß derweil ganz hinten in dem vielleicht 60 Quadratmeter großen Raum auf einer harten Holzbank. Es ist ihr Verfahren: Thea Schädlich, 68 Jahre alt, aus dem Kreis Pinneberg, gegen den Axel Springer Verlag. Und doch durfte sie fast kein Wort sagen.

Es war eine Verhandlung mit grotesken Zügen, die sich da am Gründonnerstag in Berlin abspielte. Ihr Betreuer hatte im Namen der alten Dame erreicht, daß das Abendblatt nicht mehr identifizierend über die Betreuungsaffäre berichten durfte. Obwohl sie selbst sich an die Redaktion gewandt hatte. Mit der Bitte, ihr zu helfen. Im Kampf um ihr Haus, ihre Betreuung, ihr Recht.

Das Geschehen in Saal 143 hatte teilweise Züge einer Wirtshauspöbelei. Allerdings mit nur einem, der zu provozieren suchte. So beschimpfte Anwalt Eisenberg, noch bevor die Richter den Saal betreten hatten, bereits den Abendblatt-Anwalt als "rechtsblind" und "kollegenschweinisch". Der Berliner Anwalt, offensichtlich erregt, weil ihn ein TV-Team des NDR beim Gang in den Gerichtssaal gefilmt hatte, unterstellte Schultz-Süchting, das Team bestellt zu haben. Eisenberg: "Wenn ich so eine Fratze hätte und so scheiße aussehen würde wie Sie, würde ich auch lieber ein Bild von mir in die Zeitung setzen lassen." Abendblatt-Anwalt Schultz-Süchting reagierte auf die Beleidigungen nicht - um das Verfahren nicht auf persönlicher Ebene eskalieren zu lassen.

Das Auftreten Eisenbergs - die Berliner Pressekammer hat sich offensichtlich bereits, wenn auch zähneknirschend, daran gewöhnt: Während der Verhandlung ermahnte der Vorsitzende Richter den berühmt-berüchtigen Medienanwalt zwar immer wieder, jedoch vergeblich. Einen Artikel des "Spiegels" über die Betreuungsaffäre nannte Eisenberg "alles Kotze", die Abendblatt-Reporter "Schmierer". Als Eisenberg sich von Schultz-Süchting in einem Vortrag unterbrochen fühlte, herrschte er den Kollegen an: "Jetzt sind Sie mal ruhig. Gehen Sie in Ihre Ecke und schweigen Sie!" Und die Richter schritten auch nicht ein, als der Berliner Anwalt Thea Schädlich mit einer Sechsjährigen verglich, deren Erzählungen die Presse ja auch nicht einfach so abdrucken dürfe. Wohlgemerkt: der Anwalt, der ja angeblich im Namen der alten Dame auftrat.

In ihrer Pelzjacke, rotem Rollkragenpullover und dunkelblauer Jeans hatte sich Thea Schädlich am Morgen auf den Weg in die Hauptstadt gemacht. Weil sie zeigen wollte, daß sie nicht verwirrt ist. Daß sie kein Fall für eine Betreuung ist. Konzentriert studierte die 68jährige im ICE noch einen Vermerk des Abendblatt-Anwalts - und korrigierte: "Kummerfeld ist keine Stadt, sondern nur eine Gemeinde."

Bereits nach einer halben Stunde im Gerichtssaal flüsterte Thea Schädlich ihrer neuen Betreuerin Nanija Kroemer zu: "Warum darf ich hier nichts sagen?" Kroemer legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.

Später erhob sich die Betreuerin, die das Vertrauen von Thea Schädlich hat, und erklärte, daß sie im Gegensatz zum anderen Betreuer, diesen Prozeß nicht wolle: "Und auch Frau Schädlich hat niemanden beauftragt, denn sie wollte, daß die Presse das alles öffentlich macht." Wenn zwei Betreuer unterschiedlicher Meinung sind - ein Konflikt, den die Berliner Richter nur vorläufig lösten. Sie wiesen darauf hin, daß der andere Betreuer laut Vormundschaftsgericht im Gegensatz zu Nanija Kroemer Thea Schädlich gegenüber der Presse vertreten solle.

Am Ende nützte alle Provokation des Medienanwalts Eisenberg wenig. Nicht nur, daß die Richter sich viel mehr Zeit als die vorgesehene Stunde nahmen. Deutlich lag in der stickigen Luft von Saal 143 auch die Einsicht, hier gehe es um weit mehr als eine alte Dame, die von ihrem laut Anwalt Eisenberg "bescheidenen und arbeitsamen" Betreuer "mit Engelsgeduld" vor der "geballten Medienmacht" des "übermächtigen Springer-Konzerns" zu bewahren sei.

Ein wenig ironisch hatte der Vorsitzende bereits in seiner Einleitung von einem "Wespennest" gesprochen, in das gestochen worden sei, später von "einer Frage von allgemeinem öffentlichen Interesse": "Kann man es einem Menschen verwehren, sich an die Presse zu wenden?"

Anderthalb Stunden zogen sich die Richter zur Beratung zurück, dann war ihre Antwort auf diese Frage ein deutliches Nein! Der Maulkorb für das Abendblatt, er ist aufgehoben. Die Redaktion darf Namen und Orte nennen. "Wir werden natürlich weiter berichten", kündigte Abendblatt-Anwalt Schultz-Süchting an. Das Auftreten seines Berliner Anwaltskollegen nannte er "stillos".

Doch es war ein Tag, an dem Thea Schädlich Ohnmacht verspürte. Auch wenn die Entscheidung ein neuer großer Erfolg für die 68jährige ist. Dieses Gefühl, gegen eine Wand aus Betreuern, Gerichten und Behörden zu kämpfen - es war wieder da. Als sie am Ende, gestützt auf ihren Gehstock, die Treppen zum Ausgang des Gerichts nahm, sagte sie leise: "Was wirklich mit mir ist, wollte hier keiner hören. Statt dessen haben sie mich mit einer Sechsjährigen verglichen."