Die Berichte des Hamburger Abendblatt, 05.04.2006

von Marion GIRKE

Fall der Alten Dame:Ihr Müll so teuer wie ein Haus in Hamburg?

Wer 174 000 Euro hat, kann sich ein ganzes Haus kaufen. Für diesen Betrag gibt es etwa ein Einfamilienheim in Langenhorn. Vier Zimmer, 114 Quadratmeter, ein ordentliches Grundstück dazu. So wird es derzeit von einem Makler angeboten. Wahrscheinlich kann man sogar noch handeln. Im Fall der alten Dame, deren Grundstück und Haus gegen ihren Willen von ihren gerichtlich bestellten Betreuern verkauft wurde, ist das anders: Für 174 000 Euro, soll gerade mal der Abfall von dem Grundstück in der norddeutschen Gemeinde geräumt werden. Eine Geschichte über viel Müll, erstaunlich hohe Räumungskosten und einen Grundstücksverkauf - und wie das alles zusammenhängen könnte.

Namen und Orte dürfen auch in diesem Bericht nicht genannt werden. Das Berliner Landgericht hat dem Abendblatt, wie berichtet, auf Antrag einer der beiden Betreuer der alten Dame bis auf weiteres verboten, identifizierend über die Betreuungsaffäre zu berichten. In dieser Affäre spielen die angeblichen Räumungskosten von 174 000 Euro eine zentrale Rolle: Erst sollte die alte Dame gut 40 000 Euro Erbschaftssteuer zahlen. Dazu hätte der Verkauf eines anderen Hauses (Schätzwert 135 000 Euro) ausgereicht. Doch dann kamen behördliche Auflagen zur Müllräumung auf ihrem 7500-Quadratmeter-Grundstück dazu. Ein Kostenvoranschlag für die Entmüllung belief sich auf diese 174 000 Euro. Und jetzt war der Verkauf des größeren Grundstücks nötig, das so gut in die Zukunftsplanung der Gemeinde passte. Zufall oder nicht? Die Gemeinde erhielt auch den Zuschlag, zehn Prozent unter dem Schätzwert eines Gutachters.

Die erstaunliche Summe haben die Betreuer der alten Dame selbst ins Spiel gebracht - und niemand hat nachgefragt. Eine Betreuerin, die mittlerweile vom Vormundschaftsgericht ausgetauscht wurde (wir berichteten), hatte sich bei einer Firma einen Kostenvoranschlag eingeholt. Eine Schätzung inklusive vieler Eventualitäten wie etwa Sondermüll, der möglicherweise unter den mit Planen abgedeckten Habseligkeiten der alten Dame auf dem Grundstück lagerte. "Eventuell erhebliche Einsparungsmöglichkeiten" von bis zu 70 000 Euro sah denn auch der Gutachter, der das Grundstück für den Verkauf unter die Lupe genommen hatte. Ein anderer, privater Entsorger schätzte die Gesamt-Entmüllungskosten gar nur auf gut 40 000 Euro - berücksichtig wurde er nicht.

Insgesamt fünf Arbeiter der Gemeinde sind seit mehr als einem Monat damit beschäftigt, den laut Bürgermeister "gemischten Siedlungsabfall" in Container des mehrheitlich kommunalen Entsorgungsbetriebes zu packen. Dabei wird nach guter deutscher Sitte der Müll getrennt. Gefährlicher Sondermüll wurde bislang bis auf einige Farb- und Lackeimer nicht gefunden. Sollte die Gesamträumung weniger als den Preis eines Einfamilienhauses kosten, bekäme die alte Dame die Hälfte des Ersparten zurück.

Würde der Müll, darunter diverse Baumaterialien, Grünabfälle und Holz in einer Menge von etwa 1100 Kubikmetern, jedoch zum Beispiel als "Bau-Abfall" deklariert, wäre die Entsorgung wohl erheblich preiswerter: Denn dann dürfte ein privates Unternehmen den Auftrag ausführen. So aber stellt das kommunale Unternehmen (der Verwaltungssitz ist ebenfalls in der Gemeinde) die Container vor das Grundstück.

Abfall-Experten, bei denen das Abendblatt angefragt hat, wundern sich indes über das 174 000-Euro-Angebot: Denn jeder Kubikmeter Müll würde demnach umgerechnet mit weit mehr als 100 Euro veranschlagt. "Das kostet normalerweise höchstens ein Viertel davon", heißt es. Und: Möglicherweise habe man sich nicht ausreichend beraten lassen, bestimmte Teile anders und preiswerter entsorgen zu lassen.

Zufall oder nicht? Der Entsorgungsexperte des Kreises, der Leiter des Fachdienstes Abfall, hatte sich das Grundstück mehrfach angeschaut. Er ist gleichzeitig der SPD-Fraktionsvorsitzende in der Gemeinde, die jetzt das schöne Grundstück zum guten Preis erstand - und dessen Arbeitgeber zumindest mittelbar einen tollen Auftrag für das kommunale Entsorgungsunternehmen gleich dazu bekam . . .
Weil die Entmüllung so teuer sein soll, musste das Grundstück verkauft werden.

Muss Rentnerin alles selbst bezahlen?

Der Fall der alten Dame - eine Affäre mit absurden Aspekten: So muss die Betroffene womöglich sogar von ihrem Geld den Rechtsanwalt zahlen, mit dem einer ihrer Betreuer ihr Redeverbot gegenüber der Öffentlichkeit erteilen will.

Fakt ist: Der sogenannte Ergänzungsbetreuer der alten Dame hat einen berühmt-berüchtigten Medienanwalt aus Berlin engagiert, der mit Hilfe von einstweiligen Verfügungen und Gegendarstellungen gegen Redaktionen vorgeht - neben dem Abendblatt etwa auch gegen den NDR, der über die Affäre berichtet hat. Formell klagt darin die alte Dame etwa gegen das Abendblatt - obwohl sie selbst die Redaktion immer wieder ermuntert, über ihren Fall zu berichten. Sollte der Anwalt mit seinen Bemühungen vor Gericht scheitern, wird ihn der Ergänzungsbetreuer nicht aus seiner eigenen Kasse bezahlen - sondern aus dem Portemonnaie der Rentnerin, deren gesetzlich bestimmter Betreuer er ist. Denn vorgeblich, so zumindest die Argumentation des Ergänzungsbetreuers, selbst Rechtsanwalt und Notar, hat er den Medienanwalt ja eingeschaltet, um die alte Dame zu schützen - vor den Medien, die über ihren Fall berichten wollen, und vor sich selbst. In ähnlich gelagerten Fällen stellen Rechtsanwälte ihren Mandanten leicht mehrere tausend Euro in Rechnung. (cd/mg)