Die Berichte des Hamburger Abendblatt, 24.03.2006

von Marion GIRKE

Im Namen des Gesetzes - wie eine alte Dame ihr Haus verlor

Ist, wer in Deutschland im Alter unter die Kuratel eines gerichtlich bestellten Betreuers kommt, diesem hilflos ausgeliefert? Ein tragischer Fall aus Norddeutschland. Er zeigt, wie wichtig es ist, dass jeder vorsorglich Menschen seines Vertrauens für seine Rechtsgeschäfte bestimmt. 

Hamburg - Dies ist eine Geschichte, die mitten in Deutschland spielt. In einer kleinen Gemeinde bei Hamburg. Es geht um Geld, Macht und Menschenwürde. Um eine alte Frau mit einem sehr ausgeprägten Sammlertick, die aus ihrem Haus verdrängt wird - gegen ihren Willen. Um Betreuer, die eigentlich für sie sorgen sollen, aber ihr Filetgrundstück in der Mitte der Gemeinde verkaufen. Einen Bürgermeister, der jetzt Baugrund für hübsche Einfamilienhäuser hat.

Und es geht um die Frage, wie hilflose alte Menschen in Deutschland betreut werden. Um ein Gesetz, das mit der guten Absicht geändert wurde, den Betroffenen die größtmögliche Eigenverantwortung für sich zu überlassen - und sich jetzt, in diesem Fall, gegen sie wendet. Früher nannte man das Vormundschaft, heute heißt das gerichtlich angeordnete Betreuung. Es geht um den Fall ████. Den Namen darf das Abendblatt nicht nennen, weil ein Gericht auf Antrag des Betreuers der Frau dies verboten hat. Die Geschichte, die das Abendblatt erzählt, beruht auf Gesprächen mit ████, Nachbarn, Bekannten und Behörden.

Ein paar Minuten bleiben ihr noch, dann wird die alte Dame ihr Haus, ihr ehemaliges Grundstück in für immer verlassen müssen. Die Arbeiter nageln schon eine der letzten Türen zu. Gestützt auf ihren blauen Krückstock, beugt sie sich über eine halbhohe, gelb gestrichene Mülltonne am Rand des Grundstücks zur ████-straße. Es wird endlich Frühling, daran lassen die warmen Sonnenstrahlen vom fast makellos blauen norddeutschen Himmel keinen Zweifel. Doch die Stimme der Frau, die erst Ende 60 ist, klingt brüchig und resigniert, als sie auf die Mülltonne deutet. "Das war mein Briefkasten", sagt sie und zieht mit zittriger Hand alte Zeitungen und verschimmelte Werbeprospekte aus dem halbhohen Plastikbehälter. Möbelpacker legen die Tonne, die einmal ein Briefkasten war, in den blauen Kleintransporter, auf die Ladefläche zu den vier Dutzend Einmachgläsern voller Pflaumen und Kirschen, den Plastiktragen mit den Wandkacheln und den eingestaubten Kakteen. Mühsam zieht sich die gebrechliche kleine Frau auf den Beifahrersitz.

Als gestern um 11.43 Uhr der blaue Kleintransporter anfährt, dreht sich ████ nicht um. Sie will nicht noch einmal auf das Haus schauen, in dem sie mehr als ein Vierteljahrhundert gelebt hat, dazu geht ihr die Sache viel zu nah. Schon in den nächsten Tagen soll der Klinkerbau abgerissen werden.
1977, als der damalige Eigentümer K. starb, hatte den Rotklinkerbau mitten in dem Straßendorf geerbt. K. war ihr ein guter Freund. Einer, den sie nach einem Schlaganfall gepflegt hatte. Der sie, als er nach einem erneuten Schlaganfall schon auf seinem Totenbett im Krankenhaus lag, zu sich rief. Und im Beisein eines eilig herbeigeholten Rechtsanwaltes ihr das Haus, Baujahr 1863, samt Grundstück vermachte. "Herr K.", nennt die Rentnerin ihren Freund noch heute respektvoll, und ihre schwachblauen Augen leuchten.

████ ist eine Frau, die zumindest auf den ersten Blick geistig klar zu sein scheint. So antwortet sie auf Fragen und schweift nur wenig ab. Dass sie gleichwohl psychisch krank sein könnte, scheint ebenso schnell klar. ████ hat offensichtlich eine übersteigerte Sammelleidenschaft. Alles, was der ehemaligen Feinmechanikerin zwischen die Finger kommt, hebt sie auf. "Messie" werden solche Menschen von Experten genannt. Menschen, die ihre Behausungen meterhoch mit Dingen voll stopfen, die für andere schlicht Müll sind. Ihr Nachbar sagt: "Sie hat zwar einen Sammeltick, aber wenn sie nicht vermögend wäre, hätte sich da keiner drum gekümmert."

Mehr als 20 Container-Ladungen haben die Entrümpler von ihrem Grundstück gefahren, erzählt der Bürgermeister, und man spürt förmlich seinen Abscheu. Alte Reifen, Unmengen von Holz, alte Möbel. Der Bürgermeister beobachtet fast täglich die Abbrucharbeiten und nickt, als jemand sagt, das Areal sei der Schandfleck des sonst so aufgeräumten Dorfes. Dutzende Bäume wurden gestutzt, ein neuer Maschendrahtzaun liegt bereit. Einen Bebauungsplan wollen sie jetzt aufstellen, Grünflächen und einen Kinderspielplatz anlegen, dort wo in der Wellblechhütte ihre acht Katzen hielt. Und Einfamilienhäuser, solche, wie sie bereits rechts und links vom Grundstück stehen. Schmucke Eigenheime mit akkuraten Vorgärten.

"Wir haben uns wirklich nicht um das Grundstück gerissen." Der Satz ist dem Bürgermeister, ein Jahr älter als und seit vielen Jahren in seinem Amt, mindestens ebenso wichtig wie ein anderer: "Sie können sich darauf verlassen: Was wir hier machen, ist alles abgesegnet von Gesetzen, Verordnungen oder sonst welchen Beschlüssen." Mit der Betreuung von ████ habe seine Gemeinde nichts zu tun.

Vor knapp zwei Jahren hat das Amtsgericht auf Anregung des Amtes ████-Land unter rechtliche Betreuung gestellt. M. aus ████, dazu als Ergänzungspfleger P. aus ████, vertreten die alte Dame seitdem gegenüber Ämtern und in Vermögensangelegenheiten. Weder die Betreuer noch die Gemeinde haben jemals das Grundstück oder das Haus von entrümpelt, als es ihr noch gehörte. Dann tauchten Erbschaftssteuern auf, die zu bezahlen waren, eine Summe von etwa 40 000 Euro. Die Betreuer haben das Grundstück in ████ verkauft – (die hier fehlende Textpassage wurde gerichtlich beanstandet) obwohl die alte Dame sich vehement gegen diesen Verkauf wehrte.

"Das Haus bedeutet sehr viel für mich", sagt sie noch gestern. Und erzählt von Delfter Kacheln, mit denen sie die Zimmer renovieren will, von dunkelbraun lasierten Schindeln, die auf das altersschwache Dach sollen. Ihr selbst ist wohl nicht klar, dass sie diese Renovierung nie umsetzen würde, dass Haus und Grundstück in dem gepflegten Dorf immer weiter verfallen würden. Aber darf man deswegen ihr Eigentum verkaufen, einfach so?

Die Betreuer von ████ äußern sich nicht zu dem Fall. Ein schwebendes Verfahren, heißt es. Und im Übrigen sei der Datenschutz hier unbedingt zu beachten. Mit Hilfe eines berühmt-berüchtigten Medienanwaltes aus Berlin gehen die Betreuer derzeit gegen das Abendblatt vor, das über den Fall berichtet. Die Betreuer versuchen zudem, die Redefreiheit der alten Dame weiter einzuschränken, und haben erwirkt, dass nur sie gegenüber Medien vertreten dürfen. Redeverbot für eine alte Dame. Mehr noch: Als sich einen Anwalt nahm, um die Räumung des Grundstücks zu verhindern, wurden dessen Anträge bei Gericht "aus formalen Gründen" abgelehnt. Nur ihre Betreuer, gegen deren Pläne sie ja vorgehen wollte, hätten das Recht dazu gehabt, für die alte Dame einen Anwalt zu beauftragen. Das ist die Rechtslage in Deutschland. Inhaltlich gab die Richterin zu verstehen, dass der Verkauf des Grundstücks doch Fragen aufwerfe.

337 500 Euro haben die Betreuer für das Grundstück bekommen, immerhin gut 30 000 Euro weniger als den Verkehrswert, den ein Gutachter ermittelt.

████████████████████████████████████████ "Nach Abzug unserer Erschließungskosten werden wir nicht mehr als 50 000 Euro verdienen", versichert das Gemeindeoberhaupt. Es sei eine Legende, dass der Ort sich auf Kosten einer alten Frau bereichere.

Die ehemalige Eigentümerin sieht das anders und spricht von "Terror", der sie zur Aufgabe bewegen sollte: "Die haben mir das Haus nicht gegönnt, seit ich es geerbt habe." Solche Sätze, solche Berichte - nur Wahnvorstellungen einer kranken Frau? (der hier fehlende letzte Absatz wurde gerichtlich beanstandet)

Vormundschaft und Betreuung

Wenn ein volljähriger Bürger seine eigenen Angelegenheiten nicht mehr selbständig regeln kann, bestellt das Vormundschaftsgericht einen Betreuer für ihn. Voraussetzung für eine gesetzliche Betreuung ist in der Regel eine psychische oder auch körperliche Erkrankung. Einzelheiten regelt der Paragraph 1896 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die größte Gruppe der Betroffenen sind an Alzheimer erkrankte, ältere Menschen. Bis 1992 wurden sie von Amts wegen oft entmündigt. Doch dann wurde das "Entmündigungsgesetz" im Zuge einer Reform in "Betreuungsrecht" umbenannt. Für eine "geschäftsunfähige" Person werden nun hauptberufliche oder auch ehrenamtliche Betreuer eingesetzt. Die Folge der Reform: Die Zahl der immer noch faktisch Entmündigten in Deutschland explodierte von etwa 400 000 auf derzeit etwa eine Million. Offensichtlich fiel mit dem Wechsel von "Entmündigung" auf "Betreuung" eine Hemmschwelle in der Frage, ob ein Mensch noch selbständig leben kann - oder nicht. Im Juli 2005 kam es zu einer weiteren Reform. Das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen soll damit verbessert werden. Mehr Mitsprache statt Fremdbestimmung ist das Ziel. Gleichzeitig sollen Kosten für die öffentliche Hand gespart werden.

Weil es zu vielen Unregelmäßigkeiten gekommen war und alte Leute bisweilen um Hab und Gut gebracht wurden, sollen neue Berufsbetreuer nun beispielsweise genauer überprüft werden.
Als Honorare für die Betreuer gelten nun pauschale Stundensätze. Berufsbetreuer erhalten je nach Qualifikation zwischen 27 und 44 Euro pro Stunde. Ehrenamtliche Betreuer bekommen eine Aufwandspauschale von 323 Euro im Jahr. Der Einspareffekt könnte jedoch gegen Null gehen. So gibt es laut Paritätischem Wohlfahrtsverband bereits Befürchtungen, dass rechtliche Betreuer und Betreuungsvereine ihre Betreuungszahlen erhöhen müssen, um die eigene Existenz zu sichern.