Die Berichte des Hamburger Abendblatt, 15.04.2006

Warum wir hinsehen müssen...

Warum interessiert sich das Hamburger Abendblatt mit seiner Berichterstattung so sehr für den Fall der alten Dame Thea Schädlich? Aufmerksam geworden sind wir durch den Verkauf eines ihr gehörenden Filetgrundstückes in der Gemeinde Kummerfeld durch einen ihrer Betreuer. Einen Verkauf, gegen den sich Frau Schädlich als staatlich Betreute vehement gewehrt hat. Tatsächlich steckt hinter der Sache aber eine ganz andere Dimension, die uns und, wie wir feststellen, unsere Leser nicht losläßt.

Es geht darum, ob Menschen, die psychiatrisch nach sachverständiger Beurteilung als krank gelten - und deswegen betreut werden -, einen letzten Rest von Individualität, einen letzten Rest von Würde behalten dürfen oder nicht.

Zwar mögen sie rechtsgeschäftlich unzurechnungsfähig sein, aber muß dann nicht trotzdem ihrem geäußerten Willen, soweit das für ihre Umgebung zumutbar ist, Rechnung getragen werden? So hat es jedenfalls der Gesetzgeber gewollt.

Der Fall der alten Dame Thea Schädlich scheint uns aufzuzeigen, daß es in der täglichen Praxis zuweilen anders läuft. Oft werden Betreute in ihrem Willen nicht ernst genommen. Sie werden eingepaßt und eingepreßt wie in eine DIN-Norm. Dabei scheinen nicht nur die Betreuer, sondern auch die gerichtlichen Institutionen manchmal die Routine über die Umstände des Einzelfalls obsiegen zu lassen.

Wenn man sich zum Beispiel ansieht, daß, wie im Fall Thea Schädlich, als Verfahrenspfleger für die Betreute eine Anwältin aus dem Büro des Betreuers eingesetzt wurde, obwohl es die Aufgabe des Verfahrenspflegers sein soll, den Betreuer zu überwachen, dann kann es einem schon die Sprache verschlagen.

Wir wollen mit unserer Berichterstattung uns dafür einsetzen, daß noch mehr dem wirklichen Geist unserer Gesetze entsprochen wird. Und daß die Öffentlichkeit ein Auge darauf haben kann.