Karriere eines falschen Urteils

Wie ein Fehler des Gerichts weitergetragen wird und was dies für Andrea FUCHS bedeutet.

Die Vorgeschichte

Im Rahmen von Bauarbeiten and der Klimaanlage des so genannten Flachbaus der DZ Bank infiziert sich Andrea FUCHS mit "Chlamydia pneumoniae", einem Keim, der eine starke, unheilbare Lungenerkrankung auslöst. Folgerichtig stellt FUCHS 1997 einen Antrag auf Anerkennung ihrer Schwerbehinderung beim Versorgungsamt Frankfurt. Da schwerbehinderte Arbeitnehmer einen besonderen Kündigungsschutz genießen, muss der Arbeitgeber zuerst eine Zustimmung zur fristlosen Kündigung beim Landeswohlfahrtsamt einholen. Dies tat auch die DZ Bank und sprach nur zehn Tage später die erste fristlose Kündigung gegen FUCHS aus. Doch die Kündigung ist ungültig, da die formalen Vorgaben zu einer fristlosen Kündigung nicht gewahrt werden:

  • Bei fristloser Kündigung muss die Kündigung dem Betroffenen innerhalb von 14 Tagen nach Bekanntwerden des Kündigungsgrundes mitgeteilt worden sein. 
  • Und nach Anhörung des Betriebsrates dürfen nicht mehr als 3 Tage vergangen sein. 

Da besagte Kündigung jedoch einen Tag zu spät bei FUCHS eingeht, legt ihr Anwalt Kündigungsschutzklage ein, während die DZ Bank auf einer fristgerechten Zustellung beharrt. Auch der Antrag auf Zustimmung zur fristlosen Kündigung beim Integrationsamt wird von der DZ Bank zu spät gestellt und folglich abgelehnt. Die DZ Bank geht in ein Widerspruchsverfahren.

Mangelnde Sorgfalt bei den Behörden

Die Entscheidung muss also vor Gericht fallen, doch erstinstanzlich verliert FUCHS den Prozess. Im Tenor wird darauf verwiesen, dass beim Integrationsamt kein Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung vorliegt. Ein Fehler, denn der Antrag liegt dem Amt sehr wohl vor, allerdings wurden die Anfragen des Gerichts stets mit einem falschen Geburtsdatum von FUCHS gestellt und blieben daher ohne Ergebnis.

Auch das Widerspruchsverfahren gegen diese Entscheidung verliert FUCHS. Zwar ist die Schwerstbehinderung inzwischen amtlich anerkannt, doch das Integrationsamt erteilt nachträglich seine Zustimmung zur fristlosen Kündigung. Die Begründung: Kündigungsgrund und Behinderung stehen in keinem Zusammenhang zueinander! Als FUCHS gegen diese Entscheidung Widerspruch einlegt, nimmt die Geschichte ihren Lauf...

Das nun aktiv gewordenen Verwaltungsgericht Frankfurt entscheidet ebenfalls gegen FUCHS und stützt sich bei seinem Urteil auf die gängige Rechtssprechung. Der zu Folge muss die Hauptfürsorgestelle der Kündigung nicht zustimmen, damit ein Arbeitgeber einen schwerbehinderten Mitarbeiter kündigen kann.Glück für die DZ Bank, denn so lässt sich FUCHS trotz ihrer Schwerbehinderung einfach und unkompliziert "entsorgen". FUCHS jedoch will dies nicht auf sich beruhen lassen und studiert in den folgenden 1 1/2 Jahren sämtliche relevante Literatur der Rechtsbibliothek Frankfurt, kopiert Dokumente und kämpft sich durch unzählige Urteile und Rechtskommentare. Die Arbeit zahlt sich aus, denn schließlich stößt sie auf das der Entscheidung zu grundeliegende Urteil aus dem Jahr 1989.

Hier findet sich die damalige Rechtsprechung schwarz auf weiß in einem einschlägigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 12. Juli 1989:

In einschlägigen Lehrbüchern und Rechtskommentaren indes stand es falsch: Dass der Antrag eines Arbeitegebers, unabhängig von seinem Kündigungsbegehren, bei seinem zusätzlichen Antrag vor dem Arbeitsgericht, nicht der Zustimmung des Integrationsamtes (damals : Hauptfürsorgestelle) bedürfe.

Kein Richter und Rechtswissenschaftler hat dies jahrelang bemerkt. Erst als Andrea FUCHS aktiv geworden war, zeigt sich der verhängnisvolle Irrtum. Hier berichtet sie davon (26:32 min):

Teil 1 (14:11 min)

Teil 2 (12:21 min)


Interview: Martin WEISSENFELD (MaW)