Die vielen Berichte der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) 2005 bis 2007, 22.09.2007

Dankbare Zöllner vor Gericht

Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) , 22.09.2007

Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem Strafverfahren, das am Montag im Saal I des Brandenburger Amtsgerichtes über die Bühne gehen wird, um eine Bagatelle zu handeln: Laut Schreiben der Neuruppiner Staatsanwaltschaft soll Wolfgang B. „einem Amtsträger für die Dienstausübung einen Vorteil angeboten und gewährt haben“ während die sechs Angeschuldigten „als Amtsträger für die Dienstausübung einen Vorteil für sich angenommen haben“. Dieser Vorteil wird insgesamt mit 120 Euro beziffert, was bei sechs Beschuldigten gerade einen Wert von 20 Euro ausmachen würde. Peanuts, wie Deutsch-Bank-Chef Josef Ackermann sagen würde.

Über zwei Jahre Vorarbeit

Doch auf den zweiten Blick wird klar: In diesem Prozess geht es um viel mehr. Nämlich um Gammelfleisch, Schwarzarbeit und Korruption. Zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis der Prozess jetzt endlich beginnt. Der Vorwurf: Am 13. April 2005 sollen mehrere Zollfahnder nach der Kontrolle der Geschäftsräume der Firma Disselhoff-Sachsenkrone in Brandenburg von der Betriebsleitung mehrere Pakete Grillfleisch als Geschenk angenommen haben.

An diesem Tag überprüften die Beamten der Zollabteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS) das Schmerzker Foodcenter im Zuge einer bundesweiten Kontrolle bei Fleischunternehmen. Der damalige Betriebsleiter soll seinen Produktionsleiter angewiesen haben, mehrere Kartons mit Grillfleisch bereitzustellen, die nach der Schlussbesprechung an die Beamte übergeben wurden. Nur eine Fahnderin soll die für sie bestimmt vier Kilo schwere Leckerei abgelehnt haben.

Josef Tillmann, der Produktionschef des Disselhoff-Mutterkonzern Tönnies im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück hatte seinerzeit bestätigt, dass man die Zöllner, die auf der Suche nach Schwarzarbeitern waren, beschenkt habe. Das sei „offen und nicht unter dem Tisch“ erfolgt. Und die Beamten hätten dankbar zugegriffen. Von Vorteilsnahme oder Bestechung könne keine Rede sein, meinte Tillmann damals.

Nur wenige Monate nach der erfolglosen Schwarzarbeiterjagd der beschenkten Zöllner hatten Angehörige des Betriebes einer Strafanzeige gegen den Betriebsleiter Wolfgang B. wegen gravierender Verstöße gegen Hygienevorschriften, der Beschäftigung polnischer Mitarbeiter als so genannte Schein-Selbständige und wegen des Verdachts der Korruption erhoben. Der „Brandenburger Gammel-Fleischskandal“ war geboren, in der Folgezeit berichteten mehr und mehr Mitarbeiter des Unternehmens über zum Teil Ekel erregende Zustände und unhygienischen Umgang mit Fleisch.

Alle Vorwürfe wurden seinerzeit von Tillmann und dem Inhaber Clemens Tönnies zurückgewiesen. Und in der Tat fanden sich keine Beweise: Das Fleisch war weg und auch illegale Mitarbeiter fanden sich nicht. Rückendeckung erhielt die Fleischfabrik auch vom Brandenburger Gesundheitsamt. Und dies, obwohl verschiedene Lebensmittelexperten wie Heidrun Franke, Leiterin der Lebensmittelberatung bei der Verbraucherzentrale Potsdam, beklagten, dass im Fall der Schmerzker Fleischfabrik die Selbstkontrolle vollständig versagt habe. In der Folge verloren jene, die die Anzeige erstattet hatten, ihren Job.

Unter Druck geraten

Am 11. September 2007 ist der Fleischfabrikant Clemens Tönnies, der auch als Aufsichtsratschef beim Fußballbundesligisten „Schalke 04“ die Fäden zieht, erneut ins Visier der Fahnder geraten. Der Muttersitz in Rheda-Wiedenbrück wurde durchsucht, in der Folge wurde gegen zwei Tönnies-Mitarbeiter Haftbefehl erlassen.

Die neuen Vorwürfe sind die, wegen denen seinerzeit die Zöllner auch in der inzwischen verkauften Schmerzker Fabrik anrückten. Mitarbeiter sollen in Scheinselbstständigkeit beschäftigt worden sein, wodurch letztlich Steuer- und Sozialversicherungsbetrug begangen worden wäre.

Davon, dass die Fahnder auch im Haupthaus mit Fleischpaketen verabschiedet wurden, ist nicht auszugehen.