Die vielen Berichte der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) 2005 bis 2007, 23.11.2006

Wie man zum Vegetarier wird

Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) , 23.11.2006

Vegetarier kennen das: „Wie, du isst kein Fleisch, warum denn nicht?“ Dabei müsste die Frage doch angesichts immer neuer Gammelfleischfunde umgekehrt lauten: „Warum isst du Fleisch?“ Wer schon einmal gesehen hat, wie eine industriell hergestellte Billigwurst vom Stall bis zum fertig eingeschweißten Produkt entsteht, könnte schnell den Appetit verlieren. Spätestens jedoch mit den Erkenntnissen über das Gebaren der Fleischverarbeiter müsste einem die Lust auf Hacksteak und Schweinebraten vergehen.

Der Autor und stellvertretende Chefredakteur des ARD-Politmagazins Report Mainz, Adrian Peter, deckt in seinem Buch „Die Fleischmafia“ ekelerregende und menschenverachtende Machenschaften in der deutschen Lebensmittelindustrie auf. Bevor er über „kriminelle Geschäfte mit Fleisch und Mensch“ berichtet, macht Peter allen Fleischliebhabern Hoffnung: „Ja, ich esse noch Fleisch, sogar ausgesprochen gerne“, schreibt er in der ersten Zeile. Der Mensch sei ein Fleischfresser – von dieser Erkenntnis brachte ihn auch sein Wissen über die Wege des Gammelfleischs auf die Teller der Verbraucher nicht ab.

Seit 2003 recherchiert Adrian Peter über Fleischskandale. Was er dabei zu Tage förderte, lässt manchmal vergessen, dass es eigentlich um Nahrung und nicht um die Vergiftung der Verbraucher geht. Und pünktlich zum Erscheinen des Buches bekam Deutschland in diesem Herbst einen neuen Gammelfleischskandal auf den Tisch.

Als die MAZ im vergangenen Jahr über die Verarbeitung von Ekelfleisch bei der Firma Disselhoff-Sachsenkrone in Brandenburg/Havel berichtete, machte auch Peter einen Beitrag fürs Fernsehen. Im Buch listet er detailliert auf, wie in der Firma des nordrhein-westfälischen Tönnies-Konzerns Gammelfleisch in neue Verpackungen wanderte. Mitarbeiter hatten damals gegenüber der MAZ ausgepackt. Keiner von ihnen arbeitet heute mehr in dem Fleischbetrieb, der sich inzwischen „Brandenburger Feinkost“ nennt.

Adrian Peter lässt sich nicht blenden – weder von feinen Namen für altes Fleisch, noch von den für Fernsehkameras herausgeputzten Produktionsstätten oder von beschwichtigenden Politikern. Er macht klar, dass das Auftauchen von Ekelfleisch keine Ursache von Einzelfällen ist, sondern dass eine „kulturlose“ Branche am Kundenbetrug verdient. Die Strukturen würden kriminelle Geschäfte begünstigen, sagt Peter. Die Skandale hätten daran rein gar nichts geändert.

Verschnarchte Behörden, korrupte Zöllner und skrupellose Produzenten hat Peter im Geschäft mit dem Fleischhunger ausgemacht. In ganz Deutschland hat Peter recherchiert. Überall ist er fündig geworden. Wir dürfen uns ärgern über mafiose Strukturen und ekeln davor, was einem „mündigen Verbraucher“ zugemutet wird. So abscheulich wie die Eiterbeulen am marinierten Fleisch erscheint die Hilf- und Sorglosigkeit der Verantwortlichen. Gestorben ist an einem Schimmelschnitzel schließlich noch niemand.

Dem Leser bleibt die Erkenntnis, dass er selbst sein bester Verbraucherschützer ist. Auf Kontrollen und Gesetze, auf Politiker und Produzenten kann er sich nicht verlassen. Glücklich dürfen sich all diejenigen schätzen, die einen „Fleischer des Vertrauens“ kennen. Allen anderen bleibt das Dasein als enthaltsamer Vegetarier. Wem der Autor beim Steakkauf vertraut, verrät er leider nicht.

Adrian Peter: Die Fleischmafia. Kriminelle Geschäfte mit Fleisch und Menschen. Econ Verlag. Berlin 2006. 210 Seiten. 16,95 Euro.