1 Informant und 2 Medien, die kooperieren. Im Visier: der Tönnies Konzern

Ein Fallbeispiel, wie Informationen ans Tageslicht gelangen (können)

2002

Die Fa. TÖNNIES Lebensmittel GmbH & Co.KG aus Rheda-Wiedenbrück, zweitgrößter Fleischverabeiter in Deutschland, übernimmt das Unternehmen Disselhoff-Sachsenkrone in Brandenburg an der Havel


August 2004

Michael BEHRENDT kommt über eine Zeitarbeitsfirma einen Tag zu Disselhoff-Sachsenkrone. Dort entdeckt er Fleisch, das braune Stellen und Gefrierbrand hat. Außerdem stinkt es ekelig und das Haltbarkeitsdatum ist wohl seit 2-3 Monaten abgelaufen. Das Fleisch wird trotzdem neu verschweißt. BEHRENDT beschwert sich danach bei seiner Zeitarbeitsfirma


Mitte 2004

Disselhoff-Sachsenkrone hat über 12 Tonnen Fleisch an die Fa. „Uwe Domenz Fleisch Import Export“ geliefert. Der Inhaber, Uwe DOMENZ, führt seine Geschäfte von einem Hotelzimmer des Gelsenkirchner Hotels „Maritim“ aus. Er wird 2007 zu 3 ½ Jahren Gefängnis verurteilt werden: u.a. wegen gewerbsmäßigen Betrugs.
Die hier in Frage stehende Ware ist verdorben und die Haltbarkeitsdaten können nicht mehr nachvollzogen werden. Einige Bestandteile der „Feinen Pfanne“ sind außerdem 1 ½ Jahre älter als der Rest der Zutaten. 
Der Betriebsleiter Wolfgang BALCZYNSKI behauptet, DOMENZ nicht zu kennen


April 2004

REWE Deutschland schickt fast die gesamte Ladung von südamerikanischen Roastbeef zu Disselhoff-Sachsenkrone zurück. Dort wird das graue und unansehnliche Fleisch wieder eingefroren und Monate später (zwischen Januar und Mai 2005) erneut aufgetaut, ausgepackt sowie mariniert und geht mit neuem Haltbarkeitsdatum als Rumpsteak an ALDI England


April 2005

Pakete für Zollbeamte
Beamte der Zollabteilung FKS überprüfen die Firma im Zuge landesweiter Kontrollen. Klaus GRABITZ (Maschinenreiniger) beobachtet, wie der Betriebsleiter mehrere Kartons mit Grillfleisch (4 Kilo/Paket) an die 6 Zollbeamten übergibt. Sie packen die Ware in ihre Dienstautos. Nur eine Beamtin lehnt das Paket ab - sie mag kein Fleisch. 
Josef TILLMANN (Geschäftsführer TÖNNIES) genehmigt dem Betriebsleiter, die Pakete anzubieten, da die Beamten bis in den Abend hinein auf ein Fax aus Polen warten mussten. Von einer Bestechung kann laut TILLMANN keine Rede sein. 
Zu diesem Zeitpunkt ist die Annahme solcher Geschenke unter 25 Euro rechtlich möglich, da es Schwachstellen im Gesetz gab. Inzwischen ist die Lücke geschlossen: Nun dürfen Öffentlich Bedienstete gar keine Geschenke mehr annehmen.
Im konkreten Fall sprechen die Angestellten von einem Supermarktpreis der Ware im Gegenwert von ca. 20 Euro. TÖNNIES gibt den Wert mit 10 Euro pro Paket an . 
Das Verfahren gegen die 6 Staatsbeamten wegen „Annahme einer Vorteilsnahme im Amt“ wird später gegen eine Geldbuße eingestellt. Laut einer Gerichtsmedizinerin handelt es sich pro Person um einen Gegenwert von 10-20 Euro. Fünf Angeklagte müssen je 800 € und der Zollinspektor Peter F. 1.200 € zahlen


15. April 2005

Der Maschinenführer Klaus GRABITZ bei Disselhoff-Sachsenkrone beschwert sich in seiner Frühschicht beim Betriebsleiter über die Zustände in der Firma. Er hat bereits in der Vergangenheit mehrmals bei der Geschäftsführung über die Zustände (Handel mit verdorbenem Fleisch, Umetikettierungen, mangelnde Hygiene und Manipulation von Unterlagen) moniert. Geändert hat sich nichts. 
Seine Beschwerde hat folgen: GRABITZ wird fristlos gekündigt. 
Außerdem hängt ihm Disselhoff-Sachsenkrone eine Anzeige wegen "Verleumdung" an. Des Weiteren darf er die Vorwürfe bzw. seine Kritik nun nicht mehr in der Öffentlichkeit äußern. 
Die Firma begründet den Rauswurf damit, dass GRABITZ den Betrieb mit haltlosen Vorwürfen beleidigt hat. 
Das Amtsgericht in Brandenburg bestätigt die fristlose Kündigung: wegen Beleidigung des Betriebsleiters. 
Klaus GRABITZ wehrt sich gegen die Kündigung und erstattet seinerseits Anzeige gegen Disselhoff-Sachsenkrone wegen des Verdachts des fortgesetzten Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz, der Bestechung und der Steuerhinterziehung. Nun ist die Staatsanwaltschaft in Potsdam alarmiert und das LKA soll den Fall untersuchen


Mai 2005

In den Regalen von Aldi liegen „Tilman’s Paprika Steaks“ mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) vom 20.06.2005. Die Ware ist aber schon im Juli 2004 hergestellt worden. Damals hat Disselhoff-Sachsenkrone die Ware zu Tönnies (Rheda-Wiedenbrück) gebracht. Dort sollte sie für Aldi etikettiert werden, doch fast ein Jahr später schickt Tönnies die Produkte (8 Paletten) wieder zurück zu Disselhoff-Sachsenkrone. Dort wird die Ware dann am 5.06.2005 schließlich mit einem 14-tägigen Mindesthaltbarkeitsdatum etikettiert


Juni 2005

Ein Kühlhausleiter (Herr H.) berichtet einer Amtsärztin, dass es in der Firma seit 2004 Unregelmäßigkeiten gibt und dass gegen das „IFS“ (International Food Standards) verstoßen wird. Er berichtet von wegen Salmonellenfunden gesperrten Chargen, die ohne nachvollziehbarem Grund wieder freigegeben wurden. Auch Rot- und Weißfleisch wurde gleichzeitig in einem Raum verarbeitet, was Salmonellen begünstigt. Damit verstößt die Firma gegen das Gesetz und die Qualitätsstandarts. 
Disselhoff-Sachsenkrone reagiert prompt: Der Kühlhausleiter wird entlassen. Er klagt daraufhin gegen seine Entlassung und bekommt eine Abfindung – die Firma will einen Prozess vermeiden.Die Frau des Kühlhausleiters wird ebenfalls entlassen


Juli 2005

Bei Geflügel ist eine Temperatur von max. 4 Grad Celsius erlaubt, da sich sonst Salmonellen bilden können. In einem konkreten Fall werden an diesem Tag 3 Tonnen Putenschnitzel mit erhöhter Temperatur (5 Grad) herunter gekühlt und verarbeitet, obwohl man die Ware hätte ablehnen müssen. 
In den Unterlagen für die Behörden trägt Disselhoff-Sachsenkrone nicht die tatsächlich gemessene, sondern die erlaubte Temperatur ein und trickst somit das Amt aus. 
Mitarbeiter der Warenannahme führen zu ihrer Absicherung heimlich doppeltes Buch und notieren sich die richtigen Werte. 
Das Politmagazin Report Mainz verfügt über den Lieferschein zu diesem Vorgang.

Ungeachtet dieses Lieferscheins sendet Report Mainz am 18. Juli einen Fernsehbericht Ekelfleisch im Supermarkt: Wie Schlachthöfe aus abgelaufener Ware Frischfleisch machen. Im Blickpunkt der beiden Reporter Adrian PETER und Gottlob SCHOBER: Die niedersächsische Fa. Stöver Produktions GmbH & Co.KG aus Aldrup. Umetikettierungen sind hier offenbar die Regel: Die Staatsanwaltschaft und die Polizei haben 133 gefälschte Bescheinigungen gefunden. Und auf dem Firmencomputer die Vorlagen für solche Fälschungen


August 2005

Knut GROBE (Amtsarzt und seit 1997 für die Firma Disselhoff-Sachsenkrone zuständig) entnimmt nur ganz selten Proben, da er sich auf die Eigenkontrolle und die Papiere der Firma verlässt. Die Zettel prüft er nur auf Plausibilität, obwohl diese - offenbar und zumindest teilweise - gefälscht sind. In den letzten 1 ½ Jahren soll es ca. 500 Kontrollen dieser Art ohne Beanstandung gegeben haben. 
Amtsarzt Knut GROBE wird später anläßlich einer Pressekonferenz von Disselhoff-Sachsenkrone einräumen, dass es solche Unregelmäßigkeiten gegeben hat. Diese Pressekonferenz wird unter dem Motto „Unsere Lebensmittel waren noch nie so sicher wie heute“ stehen.

Informationen landen bei der MAZ:

Ebenfalls zu dieser Zeit wird der Maschinenführer Klaus GRABITZ wieder aktiv: Er schickt die Kopie seiner Anzeige an die Lokalredaktion der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) in Brandenburg.
Dort bearbeitet zunächst ein Volontär, Henning HEINE, diese Information und er macht auch gleich einen Bericht daraus, der am 27. August veröffentlicht wird:

Fleisch für Fahnder - Zollbeamte nahmen Wurst-Geschenke an


Anfang September 2005

Das LKA wird von der Staatsanwaltschaft über die Zustände in der Firma unterrichtet. Die Kriminalbeamten warten jedoch bis Ende November, um in die Berichte des Veterinäramts schauen zu können. Sie sehen davon ab, selber Proben zu entnehmen oder das Material zu beschlagnahmen – sie sind der Meinung, dass es sich um keine strafrechtlich relevanten Vorfälle handele


November 2005

Der entlassene Maschinenführer Klaus GRABITZ wird erst jetzt vom LKA zu einem Gespräch eingeladen, obwohl er schon im Juni Anzeige erstattet und der Staatsanwaltschaft Beweismaterial angeboten hat.
Inzwischen hat der Volontär seine Unterlagen von GRABITZ einem Kollegen, Ulrich WANGEMANN, gezeigt. Der sieht sofort, dass sich damit mehr machen lässt bzw. dass sich hinter dieser Anzeige mehr verbergen muss. 
WANGEMANN lässt sich weitere Informationen besorgen und lädt Klaus GRABITZ zu einem Gespräch in die Redaktion ein. GRABITZ hat (sehr) viel zu erzählen


24. November 2005

Tags drauf veröffentlicht WANGEMANN ebenfalls einen Bericht, in dem er nochmals die Wurstgeschenke für die Fahnder aufgreift und weitere apettitliche Details beschreibt: Die Marinade deckt alles zu.
GRABITZ hatte ihm tags zuvor erklärt: Beispielsweise seien im April 2004 rd. 700 Kilo marinierte Rippchen verarbeitet worden. Trotz aller Hinweise, dass diese mit Knochensägemehl versetzt seien, bestand die Geschäftsführung darauf, die Maschinen weiter laufen zu lassen: die Marinade decke eben alles ab.

Die MAZ schießt jetzt aus vollen Rohren und veröffentlicht am selben Tag zusätzlich 2 weitere Artikel:


danach

Durch WANGEMANN’s Berichte aufmerksam geworden melden sich mehrere Medien bei der Märkischen Allgemeine Zeitung (MAZ)ARD, ZDF, RTL, taz. Die MAZ hat die Wahl – sie sucht nach einem geeigneten Kooperationspartner. 
Einer dieser Kooperationspartner ist Adrian PETER von Report Mainz. Auch er recherchiert über Disselhoff Sachsenkrone. Er hat herausgefunden, dass dieser Betrieb zu TÖNNIES in Rheda-Wiedenbrück gehört. Das bekannte Lebensmittelunternehmen beliefert z.B. Aldi, Lidl und Rewe und McDonald’s. Clemens TÖNNIES, der Chef des Ganzen, stellt sich zudem in der Öffentlichkeit als leuchtendes Vorbild für transparente Produktion und Verbraucherschutz dar.
Die Entscheidung bei der MAZ fällt auf ihn, da sich Adrian PETER bereits seit einigen Jahren für dieses Thema interessiert und somit ein großes Hintergrundwissen einbringen kann.
Beide Kooperationspartner, die MAZ und Report Mainz verabreden sich: Beide beide bringen ihre Ressourcen ein:

  • Report Mainz vermittelt das Hintergrundwissen und die eigenen Rechercheergebnisse
  • die MAZ kümmert sich um Zeugengewinnung und Quellen vor Ort
  • Interviews werden sogar teilweise zusammen geführt, außerdem werden Dokumente gemeinsam ausgewertet und Informantenaussagen bewertet


Ende November 2005

Journalisten werden vom Disselhoff-Sachsenkrone-Betriebsleiter BALCZYSKI durch die Halle geführt. Die Produktion steht still und von Fleisch ist nichts zu sehen. Nur wenige Mitarbeiter sitzen in der Kantine - falls die Reporter Fragen haben. 
Eine Angestellte berichtet der MAZ, dass die Schicht noch gar nicht zu Ende gewesen ist. Laut Anweisung des Chefs mussten sie alles aufräumen und sich saubere Kleidung anziehen. Die ausgefallenen Arbeitsstunden müssten sie am Samstag nachholen. 
Auch andere ehemalige Mitarbeiter melden sich jetzt bei der MAZ:

  • Zum Beispiel Michael B. - er war 2004 bei einer Leiharbeitsfirma angestellt und sollte im August bei Disselhoff anheuern. Michael B. berichtet über das Wiedereinschweißen der Produkte und über den schlechten Zustand der Ursprungsprodukte (Gestank, braune Stellen und Gefrierbrand)
  • das Ehepaar MAKUS (Lutz und Monika) berichten über vergammeltes Fleisch, faustgroße Eiterbeulen, Retourfleisch, Mischen von gutem und schlechtem Fleisch, Maden in den Maschinen und im Fleisch.

Auch der Kühlhausleiter beschwert sich bei der Amtsveterinärin über die Missstände. Er und seine Frau, die auch bei Disselhoff-Sachsenkrone arbeitet, werden daraufhin entlassen. Sie klagen zwar, aber um eine Gerichtsverhandlung zu entgehen, bietet Disselhoff eine Abfindung an, die beide annehmen



16. Dezember 2005

Disselhoff-Sachsenkrone reagiert: Kurz nach Bekanntwerden des Skandals steigen Claus TÖNNIES und Frank DISSELHOFF als Geschäftsführer aus. Der Betrieb wird in BRANDENBURGER FEINKOST umbenannt. 
Noch im selben Monat erklärt die Staatsanwaltschaft, dass die Zeugenaussagen nicht für eine Anklageerhebung ausreichen werden


19. Dezember 2005

Wenig später geht Adrian PETER von Report Mainz auf Sendung: Ekelfleisch: Wie die Kontrollen versagen.

Auch in der MAZ erscheinen weitere Artikel:


16. Januar 2006

Adrian PETER von Report Mainz, der im Dezember zusammen mit dem Redakteur Ulrich WANGEMANN von der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) den Fall Tönnies aufgerollt hatte, geht mit einem 45-Minuten Film auf Sendung (WDR: die Story): Die Fleischmafia

Im September 2006 ist dann dann auch sein Buch "Die Fleischmafia" erschienen.


danach

Für die MAZ und Report Mainz ist diese Geschichte ersteinmal erledigt. Doch Gammelfleischskandale, bei denen nicht nur der Verbraucher getäuscht wird, sondern auch die Gesundheit auf dem Spiel stehen kann, sind ein immerwährendes Problem. Mehr dazu unter www.ansTageslicht.de/Gammelfleisch


(CM/JSCH)