PFT - Berichte der WamS, 26.11.2015

Giftige Chemikalie fließt in die Ruhr

Welt am Sonntag (WamS) , 29.07.2007 von David SCHRAVEN

Auch ein Jahr nach Beginn des Skandals um die krebserregende Chemikalie PFT belasten immer noch erhebliche Mengen des Stoffes die Ruhr. Aus Unterlagen, die der "Welt am Sonntag" vorliegen, geht hervor, dass zudem in allen Proben an den Wasserwerken vom Oberlauf der Ruhr bei Meschede bis nach Essen PFT nachgewiesen werden konnte. An einigen Punkten stieg die Konzentration der Chemikalie im Trinkwasser zudem wieder an. Aus dem NRW-Umweltministerium heißt es dazu, "es besteht keine gesundheitliche Gefahr". An etlichen Messpunkten lag der Wert aber über dem vom Bundesumweltamt festgelegten Grenzwert von 100 Nanogramm je Liter, der als unbedenklich gilt.
Die Chemikalie PFT wird in der Papierverwertung und Textilindustrie, aber auch in der Metallverarbeitung eingesetzt. Ausgelöst wurde der PFT-Skandal von einem Düngemittelhändler, der PFT-verseuchte Schlämme an Bauern weitergab. Die wiederum spritzten das Giftmaterial auf ihre Felder.
Aus Unterlagen, die aus dem NRW-Umweltministerium stammen, geht hervor, dass heute eine PFT-Grundbelastung der Ruhr festgestellt werden kann. Die Konzentration liegt bei 200 Nanogramm je Liter im Oberlauf. Auch im Unterlauf der Ruhr, am Messpunkt Echthausen, konnte ein Jahr nach den ersten Datenerhebungen nur eine geringfügige Verbesserung der Lage erreicht werden. Obwohl der Fluss dort wesentlich mehr Wasser führt, liegt die Konzentration nahezu unverändert bei rund 150 Nanogramm je Liter. Das bedeutet: Aus den Zuflüssen der Ruhr wird nach wie vor PFT in hohen Konzentrationen in den wichtigsten Trinkwasserfluss des Ruhrgebietes gespült. Die Nanogramm je Liter summieren sich auf mehrere Kilogramm, die über das Ruhrtrinkwasser in hunderttausende Haushalte gepumpt werden.
Für diese Verschmutzung kann nicht allein eine Ackerfläche bei Brilon-Scharfenberg verantwortlich gemacht werden. Bislang gab das Umweltministerium allerdings diese Fläche als Hauptquelle der PFT-Verseuchung an.
Nach den Unterlagen aus der Bezirksregierung Arnsberg fließt das belastete Wasser aus der Scharfenberg-Fläche über die Möhne in die Ruhr. Aus den vorliegenden Dokumenten geht allerdings hervor, dass neben mehreren Dutzend verseuchter Ackerflächen auch etliche industrielle PFT-Einleiter gerade im Kreis Soest für die Belastungen verantwortlich sind. Weitere Giftquellen müssen am Oberlauf der Ruhr sitzen. Nach Auskunft des Kreises Soest ist auch die Lippe erkennbar mit PFT belastet.
Angesichts dieser Datenlage distanziert sich das Umweltministerium jetzt vorsichtig von der These, allein die Scharfenberg-Fläche sei Auslöser des Problems.
Ein Sprecher des Umweltministers Eckhard Uhlenberg (CDU) sagte, "bisher wurden bei keiner weiteren Fläche nach den vorgenannten Kriterien eine Sanierungsnotwendigkeit festgestellt". Ausnahme ist eine weitere Fläche in der Nähe der Ortschaft Rüthen an der Möhne. Auch bestätigt der Sprecher, dass es industrielle PFT-Einleiter gibt. Er sieht jedoch wie die Behörden im Kreis Soest keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Die "Auswirkungen auf die Gewässer" bewegten sich "im Bereich der Hintergrundbelastungen", teilt das Ministerium mit. Aus Soest heißt es, zwölf Betriebe seien "mehr oder minder" für die PFT-Belastungen verantwortlich. Es werde versucht, die Belastungen "in einem zu vereinbarenden angemessenen Zeitraum zu minimieren.
Es ist nicht nachzuvollziehen, ob neben der Fläche bei Brilon-Scharfenberg weitere Giftäcker für die PFT-Verseuchung der Ruhr verantwortlich sind. Auch die genaue Lage der zwölf industriellen PFT-Verursacher bleibt unter Verschluss.
Dabei ergeben die vorliegen Daten, dass die Maßnahmen des Umweltministeriums bislang nicht ausreichen, um die PFT-Belastungen in der Ruhr zu bändigen. Allen voran die Sanierung der Fläche in Scharfenberg scheint im ersten Anlauf fehlgeschlagen. Während eine Drainage um das Feld gelegt wurde, konnte die geplante mobile Reinigungsstation noch nicht eingesetzt werden. So wurde allein im Januar jeden Tag bis zu einem halben Kilogramm PFT in den Ruhrzufluss Möhne gespült. Die Drainage mobilisierte das Gift, das bis dahin im Boden gebunden war.
Erst nach mehreren Wochen gelang es, PFT zum Teil aus dem Drainagewasser zu filtern. Die Werte konnten mit Mühe auf durchschnittlich 26 Gramm am Tag verringert werden. Das entspricht etwa den Werten vor der Sanierung. Trotzdem gab es auch Ausreißer. Am 26. März etwa sprang der Wert auf rund 390 Gramm am Tag. Im Mai wurde schließlich eine feste Filteranlage in Betrieb genommen. Fest steht aber, dass noch immer PFT in die Ruhr fließt.
Kurz hinter der Möhnemündung in die Ruhr werden täglich über 300 Nanogramm PFT je Liter Wasser gemessen, geht aus den vorliegenden Daten des Düsseldorfer Umweltministeriums hervor.
Die PFT-Werte im Trinkwasser korrespondieren mit den Werten in der Ruhr. Das bedeutet: steigt der PFT-Gehalt in der Ruhr, steigen die Gift-Werte im Trinkwasser. Diese Daten legen den Schluss nahe, dass die bisherigen Reinigungsmethoden nicht ausreichen.
Die Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke an der Ruhr (AWWR) teilte dazu lediglich mit, dass "für Erweiterungen der Aufbereitung zur Qualitätssicherung" ein 60-Millionen-Euro-Programm aufgelegt worden sei. Allerdings beziehe sich dies nicht nur auf die Chemikalie PFT. Auf Nachfragen, welche Maßnahmen speziell zur Bekämpfung der PFT-Belastungen aufgelegt worden seien, gab es keine aussagekräftige Antwort.
Tatsächlich ist das Ziel der Wasserwerker eine Verdünnung der Konzentration unter den Grenzwert von 100 Nanogramm je Liter. "Die erwähnte Verantwortung der Wasserversorger bezieht sich auf den Übergabepunkt beim Kunden - also am Wasserzähler. Dort hat das Wasser eine Qualität, die allen gesetzlichen Anforderungen genügt", erklärt ein Sprecher der AWWR.
Auch das Umweltministerium ist der Ansicht, die jetzige Belastung sei hinnehmbar. Wie die "Welt am Sonntag" erfuhr, tagt der PFT-Arbeitskreis im Umweltministerium seit Wochen nicht mehr.
Unterdessen nehmen die Menschen an der Ruhr jeden Tag ihre Ration PFT zu sich. Mit dem Kaffee, mit der Suppe und dem Glas Wasser aus dem Kran. Ob das irgendwann krebserregend ist, muss die Zeit erweisen. Wissenschaftliche Studien dazu hat das Umweltministerium inzwischen in Auftrag gegeben. Erste Gutachten hatten zum Ergebnis, dass bis jetzt noch keine Auswirkungen auf die Krebs-Häufigkeit festgestellt wurden.