Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 06.01.2016

von Frank THONICKE

Erst zahlen, dann senden

Hessische/Niedersächsische Allgemeine , 09.03.2004

KASSEL. Erst zahlen, dann senden: Wer ins Sportprogramm des Hessischen Fernsehens will, muss zuweilen den Sender dafür bezahlen. Für diese unglaubliche Praxis liegen unserer Zeitung Beweise vor: Damit das Handball-Pokalspiel zwischen Melsungen und Lemgo 1999 im Fernsehen zu sehen war, wollte der Hessische Rundfunk (HR) 20000 Mark haben, sagt Melsungens Geschäftsführer Martin Lüdecke. In welche Kanäle die tatsächlich gezahlten Gelder flossen, ist unklar.

Martin Lüdecke: Wir waren damals stinksauer. Wir mussten im Verein extra sammeln. 6960 Mark (inklusive Mehrwertsteuer) zahlten die Melsunger Handballer damals direkt an eine R&K Promotion GmbH. Der entsprechende Überweisungsbeleg liegt unserer Zeitung vor. Die Rechnung wurde ausgestellt für Werbemaßnahmen (Fernseh-Übertragung) TG Melsungen-TBV Lemgo am 9.1.1999 in Melsungen. Chefin der Agentur war damals Traudl Mertens.

Die Frau erinnert sich, dass die Melsunger Handballer Interesse hatten, mit dem Pokalknüller ins Fernsehen zu kommen. Da sie viele Kontakte zum Hessischen Rundfunk hatte, habe sie den Deal eingefädelt, sagt Traudl Mertens. Ich kannte doch durch das Reitturnier in Spangenberg alle vom Fernsehen. Mehrmals habe sie sich mit dem Chef der HR-Sportredaktion, Dr. Jürgen Emig, in Kassel getroffen und verhandelt. Die Verhandlungsposition des HR sei klar gewesen: Eigentlich, so Traudl Mertens, war das Handballspiel für die Fernsehleute eine zu kleine Nummer, um es zu übertragen. Aber dann habe es geheißen: Gut, gegen Bezahlung machen wir es. Für Jürgen Emig, erinnert sich Traudl Mertens, sei dies nichts Ungewöhnliches gewesen. Schließlich seien auch beim Spangenberger Reitturnier Gelder ans Fernsehen geflossen. Michael Pfanzelt, sportlicher Leiter des Turniers in Spangenberg: Auch wir haben immer für die Fernsehübertragungen bezahlt. Allerdings sei keine Agentur dazwischengeschaltet worden: Pfanzelt: Wir haben direkt an den HR gezahlt. Die Summe sei höher als die 15000 Euro, die man wiederum aus dem Werbe-Fernsehtopf erhalte.

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Auch im Norden gibt es Reitturniere, jüngst in Braunschweig oder Neumünster. Für die Übertragung derlei Sportereignisse müssen die veranstaltenden Vereine aber nichts an den NDR bezahlen. NDR-Sportchef Walter Johannsen zu unserer Zeitung: Wir verlangen und bekommen nichts. Aber: Es scheint sich bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten durchzusetzen, dass man nur noch bei Massen- sportarten wie Fußball selbst einsteigt. Bei Randsportarten lässt man sich die Produktion gern bezahlen. So schlug der Deutsche Fechter-Bund im vorigen Jahr der ARD vor, man wolle sich an den Produktionskosten beteiligen, um ins Fernsehen zu kommen. Und auch der NDR hatte mal mit dem Handballbund über eine Beteiligung an den Produktionskosten verhandelt.

In der Melsunger Handball-Affäre setzte der damalige HR-Intendant Prof. Dr. Klaus Berg noch eins drauf. In einem Schreiben an die Melsunger Fans nimmt er ausgerechnet das Spiel, für das sich der Hessische Rundfunk bezahlen ließ, zum Beweis für das große Engagement des Hessischen Rundfunks. Zitat aus dem Brief des Intendanten: Selbstverständlich haben wir auch in der Vergangenheit über herausragende Leistungen von Handball-Zweitligisten aus dem nordhessischen Bereich berichtet, so z. B. 1999 vom Pokalspiel des damals führenden Zweitligisten Melsungen gegen den Bundesliga-Spitzenreiter TBV Lemgo, sogar in einer Länge von 30 Minuten. Ich kann Ihnen versichern, dass wir auch in Zukunft unseren Auftrag zur Grundversorgung auch im Bereich des Handballs sehr ernst nehmen werden.

Beim Institut für Rundfunkrecht an der Kölner Uni heißt es zu der neuen Finanzierungsmasche: Das kann eigentlich nicht sein. Die mit Gebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten hätten auch den Auftrag, die Vielfalt unserer Gesellschaft im Fernsehen darzustellen. Und dazu gehöre nicht nur Fußball, sondern auch Handball und Reiten. Und auch für den Medienrechtler Prof. Dr. Christoph Degenhardt von der Universität Leipzig ist das Abkassieren nicht erlaubt: Fernsehgebühren werden ja auch damit gerechtfertigt, dass auch Sportarten zu sehen sind, an denen die privaten Sender mangels Quote kein Interesse haben.