Bergischer Bote, 26.03.2007

von Ekkehard RÜGER

Die Politik geht auf Lustreise

Die Politik geht auf Lustreise

Essen/Burscheid/Krefeld.
Wegen Reisen auf Kosten von Energiekonzernen ermitteln Staatsanwälte nach einem „Focus“-Bericht mittlerweile gegen 800 Lokalpolitiker und Manager. Betroffen seien Bürgermeister, Stadträte, Verwaltungschefs und Energiemanager.
Bisherigen Erkenntnissen zufolge hätten die Konzerne Eon und Thyssengas vor allem Kommunalpolitiker mit Aufsichtsratssitzen in kommunalen Stadtwerken durch noble Reisen, Museumsbesuche und exquisite Essen bei Laune halten wollen. Auch Berliner Parlamentarier sollen betroffen sein, berichtet das Münchner Nachrichten-Magazin.Ins Rollen gebracht wurden die Ermittlungen in dem Mammutkomplex „Lustreisen“ durch einen Bericht in der Westdeutschen Zeitung. Vor zwei Jahren wurde die geplante Reise von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung der Burscheider Stadtwerke auf eine norwegische Förderplattform thematisiert. Dazu eingeladen hatten der norwegische Öl- und Gaskonzern Statoil und die Eon Ruhrgas-AG. Der Artikel landete zusammen mit einer anonymen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Köln. Die Stadtwerke Burscheid und die Ruhrgas-Zentrale in Essen wurden durchsucht.
Doch Burscheid ist kein Einzelfall. Die Kölner Staatsanwaltschaft stieß fast jeden Tag auf einen neuen Verdachtsfall in ganz Deutschland. Mittlerweile wird auch gegen zwei Essener Bundestagsabgeordnete vorermittelt. Einem von ihnen wird demnach eine Reise nach Ungarn im Jahr 2005 zur Last gelegt. In dieser Sache erwägen die Ermittler einen Antrag an den Bundestag zur Aufhebung der Immunität.
Außerdem bestätigte die Hofer Staatsanwaltschaft dem Magazin, dass sie den Fall des Vizevorsitzenden des Immunitätsausschusses, des Coburger Stadtrats und Überlandwerke-Aufsichtsrats Carl-Christian Dressel (SPD), prüft, der auf Eon-Kosten 2003 eine norwegische Bohrinsel besucht hatte. Dressel selbst ist sich keiner Schuld bewusst: „Ich habe doch gar nicht gewusst, was die Fahrt gekostet hat.“ Außerdem habe es sich um eine gasfachliche Informationstour gehandelt. „Von einer Lustreise kann keine Rede sein“, sagte der Politiker dem „Focus“. Der Immunitätsausschuss, darunter eben auch Dressel, hatte im Februar bereits die Aufhebung des Ermittlungsschutzes für Bundestagsabgeordnete im Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Bernd Scheelen abgelehnt. Der Parlamentarier, der auch Krefelder Bürgermeister ist, hatte mit seiner Frau an einem Essen anlässlich des Führungswechsels bei den Krefelder Stadtwerken (SWK) teilgenommen. Der gesamte SWK-Aufsichtsrat ließ es sich im Weltkulturerbe „Zeche Zollverein“ in Essen schmecken. Die Kosten für das Event in Höhe von knapp 9300 Euro hatten laut „Focus“ die Stadtwerke übernommen, darunter auch noch zwei Eintrittsgutscheine für Scheelen zum Besuch eines Musicals – Wert je 25 Euro. Die Staatsanwaltschaft hegt den Verdacht der schweren Untreue.


Neubewertung überfällig

Kommentar von Ekkehard Rüger

Die Ruhrgas-Affäre ist noch nicht beendet. Bundesweit rücken nun von Energiekonzernen finanzierte Aufsichtsratsreisen in das Blickfeld der Staatsanwaltschaft. Sie nehmen sich ein Beispiel an der Kölner Ermittlungsbehörde und gehen ebenfalls dem Verdacht der Vorteilsannahme nach.
Dazu hat auch der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung dazu beigetragen, Ratsmitglieder in Aufsichtsräten grundsätzlich als Amtsträger einzustufen. Damit unterliegen sie dem Korruptionsstrafrecht. Die hohe Zahl der Beschuldigten zeigt dabei zweierlei: zum einen, wie verbreitet und allgemein üblich diese Form der politischen Landschaftspflege über Jahre war. Zum anderen, wie überfällig eine Neubewertung solcher Einladungen für die Zukunft ist – eine Einsicht, mit der sich viele Manager und Politiker noch schwer tun.