Bergischer Bote, 28.01.2006

von Ekkehard RÜGER

"Ich will es so genau wissen wie möglich"

"Ich will es so genau wissen wie möglich"

von Ekkehard RÜGER


Köln/Burscheid. Staatsanwaltschaft Köln, vierte Etage. Der Zugang zum Büroflur ist gesichert. Hier arbeiten ein Abteilungsleiter und fünf Dezernenten der Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Korruption. Der Kölner Müllskandal wurde in diesen Büros beackert. In Zimmer 432 sitzt Gunnar Greier. Er leitet die Ermittlungen zu den von Eon-Ruhrgas finanzierten Aufsichtsratsfahrten kommunaler Stadtwerke. 159 Politiker und Manager sowie 28 Stadtwerke sind inzwischen in seinem Visier, dazu neben Eon auch die RWE-Tochter Thyssengas.

Greier ist sehr präsent. Er reagiert schnell, er redet schnell, er hat Gesetzestexte entweder im Kopf oder schnell zur Hand. Ein Wadenbeißer? Der 37-Jährige lacht. So sieht er sich nicht. "Wir kriegen das gleiche Geld, egal ob wir Anklage erheben oder ein Verfahren einstellen." Aber er ist ehrgeizig. Und neugierig. Und sagt von sich: "Ich will es so genau wissen wie möglich." Manchmal stelle er ein Verfahren ein und denke dann: "Super, der Verdacht hat sich nicht erhärtet." Im Fall der Eon-Reisen ist Greier aber von diesem Punkt weit entfernt.

"Wenn ich keinen ausreichenden Tatverdacht hätte, würde ich nicht weitermachen", sagt er. "Dann warte ich auch nicht mehr." Ein Ermittlungsverfahren sei schließlich für jeden belastend. Aber in Sachen Eon-Reisen ermittelt er, unterstützt von Spezialisten des Kölner Kriminalkommissariats 32 für Korruption, weiter. Auch gegen die Burscheider. Die hier oft gemachte Differenzierung zwischen einer "100-prozentigen Informationsfahrt", wie sie die Burscheider Stadtwerke für ihren Wochenendtrip im Juni 2005 in Anspruch nehmen, und reinen Vergnügungsfahrten lässt er so nicht gelten: "Wo steht denn, dass Informationsfahrten nicht strafbar sind?"

Seine Frage sei: "Wenn die Informationen so wichtig waren, warum haben die Stadtwerke die Reise dann nicht selbst bezahlt?" Andere Kommunen hätten vergleichbare Reiseangebote auch bekommen und sie abgelehnt, "weil der Informationsnutzen in krassem Missverhältnis zu den Kosten steht". So waren die Reisegruppen nicht etwa mit Linienflügen, sondern meist in eigens von Eon gecharterten Maschinen unterwegs. 

Neue Rechtslage seit 1997

Die Burscheider Stadtwerke verteidigen sich auch mit dem Hinweis auf die langfristigen Lieferverträge mit Eon-Ruhrgas, die eine Einflussnahme des jetzigen Aufsichtsrats ausschlössen. Greier entgegnet, bis 1997 habe noch gegolten: Für den Vorwurf der Vorteilsannahme musste eine rechtmäßige Diensthandlung nachgewiesen werden, die als Gegenleistung für den gewonnenen Vorteil erbracht wurde (Strafrahmen: von Geldstrafe bis zu drei Jahren Haft). Bei Bestechlichkeit (Strafrahmen: von drei Monaten bis zu fünf Jahren Haft) geht es dagegen um rechtswidrige Dienstleistungen als Gegenleistung. Aber 1997 habe sich die Rechtslage geändert: Seither reicht es, wenn schon für die allgemeine Dienstausübung ein Vorteil gewährt wird. "Damit können auch die Klimapflege und das allgemeine Erzeugen von Wohlwollen verfolgt werden."

Ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden nimmt Greier für sich in Anspruch: "Sonst würde man nicht Staatsanwalt werden." Er ist es geworden und nicht Richter oder Anwalt, weil ihn die zivilrechtliche Seite der Rechtsprechung nicht interessiert. In Köln hat er studiert, begann dann 1997 bei der Kölner Ermittlungsbehörde. Ab 2000 kümmerte er sich um Wirtschaftsstrafsachen, seit Ende 2001 bearbeitet er nur noch Korruptionsfälle. Im Kölner Müllverfahren war er der Experte für die Finanzabwicklung. "Ob wir hier besonders hart sind, da müssen Sie andere fragen."

Auf jeden Fall aber besonders unabhängig. "Ich bekomme keine Weisungen, sondern mache das so, wie ich es für richtig halte." Das sei ein großer Luxus, über den er nicht verfüge, "weil ich so toll bin, sondern weil ich die notwendigen Befugnisse habe". Greier leitet daraus auch eine besondere Verpflichtung ab, den Dingen sorgfältig auf den Grund zu gehen. Unvoreingenommen, wie er sagt. "Was am Ende herauskommt, ist mir egal."

Als im vergangenen Mai die anonyme Anzeige in Verbindung mit dem BV-Bericht über die geplante Aufsichtsratsreise auf seinem Schreibtisch gelandet sei, habe er sofort gedacht: "Das ist komisch." In der Abteilung teilte man seine Ansicht. Ermittlungen wurden aufgenommen, Personalien über die Polizei geklärt, schließlich beim Amtsgericht Köln ein Durchsuchungsbeschluss erwirkt. Er wurde noch unmittelbar vor der Reise umgesetzt. Durch die bei Eon beschlagnahmten Unterlagen weitete sich die Affäre mehr und mehr aus. 

Nur wenige folgten der Vorladung

Greier hofft, das Verfahren noch vor dem Sommer abschließen zu können. Aber das liegt nicht nur in seiner Hand. Im Oktober waren alle Beschuldigten (zu denen aus rechtlichen Gründen nicht die mitgefahrenen sachkundigen Bürger, sondern nur die Ratsmitglieder und anderen Amtsträger gehören) vorgeladen worden. Aus Burscheid seien nur fünf bis sechs gekommen. Die meisten lassen sich anwaltlich vertreten, verlangen zunächst Akteneinsicht. Das kann dauern.

Ob Köln das gesamte Verfahren in der Hand behält oder Teile an die regional zuständigen Staatsanwaltschaften abgibt, ist noch nicht entschieden. Zunächst konzentriert man sich daher hier "auf die Verfahren, die ohnehin bei uns bleiben". Das mediale Interesse war zuletzt gigantisch, Behördensprecher Günther Feld konnte das Telefon drei Tage nicht aus der Hand legen. Vergleichbar sei es nur beim Müllskandal und Christoph Daums Rückkehr aus den USA gewesen.

Das Klima, glaubt Greier, habe sich dieser Frage auch geändert. Verflechtungen rückten stärker in den Blickpunkt, "mehr Sachverhalte werden angezeigt". Wie emotional reagiert einer wie er da noch auf die Fälle? Manchmal ärgere er sich, "manchmal wundert man sich". Von besonderer Verbitterung über die gesellschaftlichen Zustände ist der Korruptionsexperte aber weit entfernt. Er nennt es lieber "einen realistischen Überblick".