So begann die Geschichte um e.on

von Ekkehard RÜGER 


Das ist die Klarstellung, die an den Anfang gehört: Die Geschichte der Ruhrgas-Affäre, die in diesem Ort begann, ist kein Bravourstück raffinierter Recherchekunst, kein Lehrbeispiel, wie man hartnäckig und kontinuierlich am Ball bleibt. Es ist die Geschichte eines journalistischen Steinbruchs, in dem ich zwischen Seitenproduktion, Pressekonferenzen und der Suche nach dem täglichen Aufmacher mit bescheidenen Mitteln mal den einen Brocken behauen habe, mal den anderen. Manche sind unbearbeitet liegen geblieben. Darüber mögen andere die Nase rümpfen. Für mich ist das seit Jahren meine Berufswirklichkeit – und trotzdem keine, in der Zufriedenheit ein Fremdwort wäre.


Einladung an den Aufsichtsrat


Es begann mit einem Mittagessen im Frühjahr 2005. Im Verlauf des Gesprächs erzählte mein Gegenüber von einer Einladung an den Aufsichtsrat und die Gesellschafterversammlung der örtlichen Stadtwerke. Auf eine Förderplattform vor der norwegischen Küste sollte es gehen – finanziert vom Energieriesen Eon Ruhrgas, der seit 1948 alleiniger Vertragspartner der Burscheider Stadtwerke ist, und Norwegens größtem Öl- und Gaskonzern Statoil. Die Frage, ob eine solch aufwendige und teure Reise mit Charterflug und Hubschraubereinsatz für Entscheidungen in Burscheid wirklich notwendig sei, wurde schon während dieses Essens diskutiert – und war Anlass für weitere Nachforschungen.

Die anschließenden Gespräche führten zunächst alle in dieselbe Richtung: Diese Reisen seien seit Jahren in der Branche gang und gäbe und allgemein bekannt. Ich erfuhr von Journalisten, die ebenfalls schon teilgenommen und anschließend Reportagen veröffentlicht hatten. Und in mir wuchsen zunehmend Zweifel, ob ich in meiner ersten kritischen Bewertung dieser Reise nicht womöglich völlig falsch liegen könnte. Daran änderte auch ein anonymer Brief wenig, der mich noch einmal auf den geplanten Wochenendtrip stieß.

Moral und Korruption  


Klingt es wie ein abgegriffenes Klischee, wenn ich mein Gefühl anführe als Grund dafür, die Reise dann doch zum Thema gemacht zu haben? Aber letztlich war es so: Für mich stand am Anfang die eher moralische Frage nach der Wirkung solcher Einladungen auf kommunale Entscheidungsträger im Vordergrund, nicht die juristische, die sich später mit den Grauzonen der Korruption befasste. Und selbst wenn diese Form der Reisen andernorts längst bekannt war, hatten, so fand ich, dann wenigstens auch die Burscheider einen Anspruch darauf, davon zu erfahren.

Die Bestätigung für die Reisepläne zu bekommen, war nicht sonderlich schwierig – auch wenn man den Gesprächspartnern aus den Stadtwerken und dem Aufsichtsrat anmerkte, dass ihnen die bevorstehende Veröffentlichung nicht angenehm war. Es gab eine vergebliche Einladung an mich, doch noch kurzfristig mitzureisen. Es gab die Bekräftigung, es handele sich um eine 100-prozentige Informationsfahrt. Doch ganz frei von schlechtem Gewissen schienen die Teilnehmer nicht zu sein. Denn im Jahr zuvor, kurz vor der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen, war eine entsprechende Einladung noch ausgeschlagen worden.

Lokale Nähe sorgt für schlaflose Nächte 


Die Nähe der Lokaljournalisten zu den Menschen, über die sie berichten, wird ihnen oft zum Vorwurf gemacht. Sie fördere Hofberichterstattung und Kumpaneijournalismus. In der Tat ist es auch mir nicht leichtgefallen, die Geschichte zu schreiben: Zu der letztlich 17-köpfigen Reisegruppe gehörten der Bürgermeister, der CDU-Stadtverbandsvorsitzende, der CDU-Fraktionsvorsitzende, seines Zeichens Amtsrichter, seine Amtskollegen von SPD und UWG, Vertreter auch aller übrigen Ratsfraktionen – und mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates zudem der Ehemann der Anzeigenberaterin unserer Lokalausgabe. Da schützt selbst ein geschärftes Berufsethos nicht vor schlaflosen Nächten.

Am 22. April 2005, knapp zwei Monate vor dem geplanten Reisetermin, erschien schließlich der erste Artikel, begleitet von einem Kommentar, der die Frage aufwarf, ob solchermaßen umworbene Kommunalpolitiker nachher noch unabhängig entscheiden können. Nach der Veröffentlichung passierte in meiner Wahrnehmung das, was ich oft bei vermeintlich brisanten Themen feststelle: nichts. Es gab ein, zwei unterstützende Anrufe von Kommunalpolitikern, die meine kritische Bewertung begrüßten. Ansonsten kein Protest, keine Widerrede, gar nichts. Vielleicht, weil die Fakten nicht in Zweifel zu ziehen waren. Vielleicht, weil man dem Artikel durch eine Debatte nicht noch mehr Aufmerksamkeit verschaffen wollte. Vielleicht auch, weil man ihm einfach keine Bedeutung beimaß.

Bericht löst Ermittlungen aus  


Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Der Artikel wurde in Verbindung mit einer Strafanzeige anonym an die Staatsanwaltschaft Köln geschickt. Dort nahm sich die Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Korruption des Vorgangs an – und entschied sich nach ersten Ermittlungen, am Tag vor dem Reisebeginn sowohl die Räume der Burscheider Stadtwerke als auch der Eon Ruhrgas-Zentrale in Essen zu durchsuchen. Der Anfangsverdacht lautete: Vorteilsannahme.

Dass mein Bericht Auslöser für die Ermittlungen gewesen war, erfuhr ich dann erst am Tag nach dem Reisewochenende vom Sprecher der Staatsanwaltschaft. Denn die Gruppe war ungeachtet der Durchsuchung nach Norwegen aufgebrochen. „Wenn wir nicht gefahren wären, hätte das wie ein Schuldeingeständnis ausgesehen“, begründete der Aufsichtsratsvorsitzende die Entscheidung. Man wolle sich nun an einer raschen Klärung beteiligen. Eon Ruhrgas sprach in einer Stellungnahme von einer „gasfachlichen Informationsveranstaltung“ und erinnerte mich nebenbei noch einmal daran, dass doch auch Journalisten bereits an vergleichbaren Reisen teilgenommen hätten. Das Unternehmen werde auch künftig an diesen Informationsfahrten festhalten.

Danach tat sich über Monate scheinbar nicht viel. Aus dem Aufsichtsrat war zu hören, man rechne mit einer Einstellung des Verfahrens und sei ohnehin nur Opfer einer übereifrigen Behörde geworden. Seitens der Staatsanwaltschaft hieß es, man befinde sich noch in den Ermittlungen. Und ich verlor das Thema langsam aus den Augen.

Das änderte sich schlagartig im Januar 2006. Kollegen anderer Zeitungen hatten von Ermittlungen gegen ihre örtlichen Stadtwerke erfahren und bei der Staatsanwaltschaft nachgefragt. Dadurch wurde bekannt, dass die Kölner Ermittler das Verfahren aufgrund der bei der Durchsuchung beschlagnahmten Unterlagen auf 159 Kommunalpolitiker und Manager von 28 Stadtwerken ausgeweitet hatten. Auch immer mehr Details anderer Reisen sickerten durch: von teuren Vergnügungstouren mit Ehepartnern nach Barcelona bis zu „Gas-Fachvorträgen“ beim Sternekoch Dieter Müller auf Schloss Lerbach in Bergisch Gladbach.

In dieser Phase rückte die Burscheider Reise als Ursprung der Ermittlungen bundesweit in den Blickpunkt. Die Teilnehmer fühlten ihre Fahrt zu Unrecht mit offensichtlichen Lustreisen in einen Topf geschmissen. Auch könne der Vorwurf der Vorteilsannahme nicht gelten, weil die nächsten Lieferverträge erst nach den Kommunalwahlen 2009 und folglich mit einem neu zusammengesetzten Aufsichtsrat getroffen würden. Der Amtsrichter verwies zudem darauf, die Fahrt vor Antritt bei seinem Gerichtspräsidenten angezeigt zu haben, ohne dass es von dort Bedenken gegeben hätte.

In diese juristischen Bewertungen musste ich mich erst einarbeiten. Mit Fragen der Korruption hatte ich bis dahin nichts zu tun gehabt. Dass ein Verteidigungsargument der Teilnehmer bereits lange überholt war, gehörte noch zu den schnellsten Erkenntnissen: Seit 1997 reicht es, wenn schon für die allgemeine Dienstausübung ein Vorteil gewährt wird. Damit kann jetzt auch die allgemeine Klimapflege ohne konkrete Gegenleistung verfolgt werden. Und auch die feine Unterscheidung zwischen Lust- und Informationsreise stellte der ermittelnde Kölner Staatsanwalt Gunnar Greier in einem Gespräch infrage, das ich für ein Portrait über ihn führte: „Wo steht denn, dass Informationsfahrten nicht strafbar sind?“

Juristisches Tauziehen um Vorteilsannahme


Schon Ende Januar 2006 preschten einige Kommunalpolitiker, wenn auch nicht aus Burscheid, vor und boten die Zahlung einer Geldauflage an, um die Einstellung des Verfahrens zu erzielen. Auch Eon Ruhrgas stoppte nun doch bis auf Weiteres alle Kundenveranstaltungen und kündigte einen neuen Kodex an. Doch dann drängte sich eine neue juristische Frage in die Diskussion: Sind denn Ratsmitglieder überhaupt ähnlich wie Beamte auch Amtsträger – ein Begriff, an den der Straftatbestand der Vorteilsannahme und Bestechlichkeit gebunden ist? Diese Ansicht hatte die 7. große Strafkammer des Landgerichts Köln erstmals im Jahr 2003 vertreten. Die 3. große Strafkammer desselben Gerichts kam zwei Jahre später zu einer anderen Einschätzung. Die Augen richteten sich jetzt auf noch ausstehende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) in dieser Frage.

Mit einem Spruch des 5. Strafsenats des BGH in Leipzig im Mai 2006 schien die Affäre dann mit einem Schlag beendet. Der Senat hob im Zusammenhang mit einer anderen Korruptionsaffäre in Wuppertal ein Urteil des dortigen Landgerichts gegen einen Ratsherrn auf. Kommunalpolitiker seien keine Amtsträger und damit auch nicht bestechlich – jedenfalls dann nicht, „wenn sie nicht zusätzlich zu ihrer Abgeordnetentätigkeit mit der Erledigung konkreter Verwaltungsaufgaben betraut sind“. Auch in Burscheid machte man sich erste vorsichtige Hoffnungen auf eine Einstellung des Verfahrens.

Zu früh, wie sich einen Monat später herausstellte. Zwar stieß die schriftliche Urteilsbegründung des BGH kaum noch auf mediales Interesse, aber sie enthielt einen für die Ruhrgas-Affäre entscheidenden Satz. Darin werden die „konkreten Verwaltungsaufgaben“ als Voraussetzung für die Amtsträgerschaft näher definiert: „Dies kann etwa der Fall sein bei Entsendung oder Wahl (...) in ein anderes Gremium, das – wie etwa der Aufsichtsrat eines kommunalen Versorgungsunternehmens – selbst keine Volksvertretung ist.“ Damit stand ein Jahr nach der Reise der Burscheider Aufsichtsratsmitglieder fest, dass sie wie alle anderen landesweit Beschuldigten nicht aus dem Schneider waren.

Trotz Kritik reißen Kontakte nicht ab


Den ersten Hinweis darauf, dass das schriftliche BGH-Urteil jetzt vorliege, hatte ich übrigens aus dem Kreis des Aufsichtsrates selbst erhalten. Ein kleines Zeichen dafür, dass der Kontakt trotz der Auswirkungen meiner Berichterstattung nie abgerissen ist. Geballte Fäuste in der Tasche mag es viele gegeben haben, offene Anfeindungen oder erkennbare Informationsblockaden dagegen nicht. Womöglich ein Ergebnis meines Versuchs, trotz aller Kritik fair zu berichten, also die entlastenden Argumente und die keineswegs eindeutige juristische Bewertung nicht zu unterschlagen. Bisweilen hatte ich im Laufe der Affäre den Eindruck, dass diese Selbstverständlichkeit infolge der Neigung unserer Branche zur Zuspitzung und Skandalisierung gerade mit wachsender Distanz zum Ort des Geschehens auf der Strecke bleibt. Darin liegt ja bei aller Gefahr der Nähe auch eine Chance des Lokaljournalismus: dass man den Menschen, über die man berichtet, am nächsten Tag noch in die Augen gucken muss.

Nun machte ihrerseits die Staatsanwaltschaft das Angebot, die Verfahren gegen Zahlung einer angemessenen Geldauflage (Wert der jeweiligen Reise plus Aufschlag) einzustellen. Bis zum Herbst 2006 willigten alle beteiligten Burscheider Mandatsträger in das Angebot ein – auch wenn sich einige laut Staatsanwaltschaft zunächst „bockig“ gezeigt hatten. Unrechtsbewusstsein wollte sich aber auch nach Zahlung der vierstelligen Beträge nur bei den wenigsten einstellen.

Eon Ruhrgas verspricht mehr Tansparenz 


Eon Ruhrgas hatte bereits im Juni 2006 auf dem Weltgaskongress neue Rahmenbedingungen für Unternehmensveranstaltungen bekannt gegeben. Dort wurde eine künftig klare Ausrichtung auf den Zweck angekündigt und Transparenz gegenüber den Eingeladenen. Überflüssiger Luxus sollte vermieden und der Einladungskreis unter Verzicht auf private Begleitpersonen begrenzt werden. Die meisten dieser Eckpunkte waren allerdings gerade von den Burscheider Teilnehmern schon während der gesamten Ermittlungen als Argumente für die Unbedenklichkeit ihrer Reise angeführt worden. Trotzdem rückte die Staatsanwaltschaft vom Vorwurf der Vorteilsannahme bis zur Zahlung der Geldauflage nicht ab. Ob Eon Ruhrgas daher seinen neuen Kodex noch einmal überdacht hat? Das ist zum Beispiel einer der Fragen, denen ich im Steinbruch der Alleinredaktion noch nicht nachgegangen bin.