Die Geschichte von Brigitte HEINISCH im Überblick

Wer ins Pflegeheim muss - heute spricht man von "Seniorenheim" - , ist in der Regel abgemeldet oder 'abgeschoben'. Die arbeitsteilige Gesellschaft, in der mehrköpfige Familien bereits Probleme haben, gemeinsame Essenstermine zu organisieren, hat weder räumlich noch zeitlich oder gar mental 'Platz' für Alte oder Pflegebedürftige. Aus diesen Gründen ist inzwischen eine riesige Dienstleistungs-Industrie entstanden. Finanziert wird Sie über eine vergleichsweise neu eingeführte Pflegeversicherung, die immer mehr Geld verschlingt, das hinten und vorne nicht reicht. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die ins "Heim" müssen, unaufhörlich.

Dieses 'Outsourcing' von pflegebedürftigen Familienmitgliedern oder Verwandten zeitigt viele Probleme. Das größte besteht darin, dass jene, die ausgelagert wurden, sich nicht mehr wirklich wehren können gegen das, was sie vorfinden:

  • gegen die Uniformität der Lebensbedingungen (Frühstück für alle um 7 Uhr)
  • gegen das wenig originell produzierte (Einheits-)Essen
  • gegen schlechte Pflege (einmal Duschen oder Baden in der Woche ist die Ausnahme)
  • dagegen, dass Ärzte oder gar Fachärzte erst dann kommen, wenn sich genügend "Fälle" angesammelt haben

Die Verwandten bekommen davon in der Regel nichts mit. Sie

  • kommen nur zu Besuch (stundenweise)
  • wissen nicht um ihre Möglichkeiten und Rechte
  • wissen nicht, an wen sie sich wenden können, wenn es mal nach Problemen aussieht
  • und fürchten vor allem, dass sich Kritik an den Heimzuständen unmittelbar an ihren pflegebedürftigen Verwandten rächt

Brigitte HEINISCH, examinierte Altenpflegerin, wollte sich damit nicht abfinden. Z.B. damit, dass Heimbewohner bis zum Mittag in Urin und Kot lagen, dass andere ohne richterlichen Beschluss in ihren Betten fixiert wurden. An ihrem Arbeitsplatz, 2 Pflegeheime des Unternehmens "Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH" in Berlin, machte sie zunächst ihre Vorgesetzten mehrfach auf Missstände aufmerksam: in so genannten Überlastungsanzeigen. Ohne Erfolg.

Im nächsten Schritt stellte sie über ihren Rechtsanwalt Strafanzeige - die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Dafür reagierte ihr Arbeitgeber: mit Kündigung. Als sie mit Kollegen und Kolleginnen auf gewerkschaftlicher Ebene über den "alltäglichen Wahnsinn in unseren Pflegeheimen" zu diskutieren begann, ist auch die Presse dabei, um zu berichten. Erst recht Grund für ihren Arbeitgeber, gegen Brigitte HEINISCH vorzugehen: mit einer zweiten, diesesmal fristlosen Kündigung. Brigitte HEINISCH klagt durch alle möglichen Instanzen und verliert.

Den eigenen Arbeitgeber zu kritisieren oder gar anzuzeigen, um Missstände abzustellen, ist hierzulande ein großes Risiko: man wird von uneinsichtigen Arbeitgebern gemobbt und gekündigt. Und in den Arbeitsgerichten hat man wenig Verständnis, wenn Angestellte gegen ihren Arbeitgeber, z.B. mit berechtigter Kritik, vorgehen. Selbst wenn es das Leben oder die Lebensqualität von (wehrlosen) Menschen tangiert. HEINISCH hat heute einen neuen Job, eine neue Aufgabe, in der sie sich genauso engagiert.

Und sie hat ein Buch geschrieben: "Satt und sauber? Eine Altenpflegerin kämpft gegen den Pflegenotstand", erschienen im rowohlt Verlag, Reinbek (224 S., 12 €). Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) hat ihr 2007 den Whistleblower-Preis (nach unten scollen) zuerkannt. Eine späte Anerkennung bzw. Genugtuung für die engagierte Pflegerin.

Und im Jahre 2011 gibt der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz in Strassbourg ihrer Beschwerde statt:

  • Missstände öffentlich bekannt zu machen ist ein einer demokratischen Gesellschaft wichtiger als die Wahrung der Geschäftsinteressen eines Unternehmens
  • Whistleblowing hat nichts mit Denunziantentum zu tun, sondern entspricht dem Recht auf freie Meinungsäußerung
  • Arbeitsrechtliche Sanktionen durch Arbeitgeber wie beispielsweise durch eine Kündigung verstoßen gegen dieses Recht auf freie Meinungsäußerung

Auf dieser Seite können Sie den Ablauf aller Geschehnisse nachlesen: In der Chronologie des "alltäglichen Pflegewahnsinns. Dort finden Sie auch das wegweisende Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs: unter dem Datum 21. Juli 2011.

Wie das nunmehr notwendige Restitutionsverfahren abgelaufen ist, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hat, dass Whistleblowing ein Menschenrecht darstellt und deshalb keine Kündigung nach sich ziehen darf, haben wir in einem Erfahrungsbericht festgehalten: Zum zweiten Mal vor dem Landesarbeitsgericht Berlin.

Wir haben mit Brigitte HEINISCH aber auch selbst gesprochen, direkt nach ihrer Kündigung - sie berichtet von ihren Erfahrungen und Einschätzungen: Im Gespräch mit Brigitte HEINISCH.

Wo man sich zum Thema Pflege informieren oder Hilfe bekommen kann, haben wir unter Hilfen + Adressen gelistet. Dass die von Brigitte HEINISCH geschilderten Zustände keine Einzelfälle sind, geht aus einem anderen Fall hervor: Petra RICHERS in Bayern hervor.


Wenn Sie diese Geschichte direkt aufrufen oder verlinken wollen, geht das ganz einfach:  www.ansTageslicht.de/Heinisch