Die Berichte des Handelsblatt, 30.01.2012

von Martin-Werner BUCHENAU

Codewort "Olympia"

Handelsblatt , 30.01.2012 

Die Unterlagen lesen sich wie der Stoff für einen Wirtschaftskrimi: Der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Stefan Mappus (CDU), will Anfang Dezember 2010 für rund fünf Milliarden Euro 45 Prozent der Aktien des Energiekonzerns EnBW von der französischen EdF kaufen. Den Deal behandelt er wie eine geheime Kommandosache und vergibt dafür das Codewort "Olympia".

Schneller, höher, weiter - das olympische Motto passt auf den Blitz-Kauf. Das zeigt der Untersuchungsbericht der Landesregierung zu dem umstrittenen Kauf, der dem Handelsblatt vorliegt. Er deutet darauf hin, dass die Regierung unter Mappus die Warnungen von Anwälten ignorierte und das Parlament umging, um im Alleingang innerhalb weniger Tage Milliarden für die EnBW-Anteile auszugeben.

Die aktuelle grün-rote Landesregierung hat die Vorgänge untersucht und ihren Bericht nun den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses geschickt. Sie wirft Mappus vor, er habe den Deal ohne Grund am Parlament vorbei eingefädelt und mit knapp fünf Milliarden Euro zu viel für die Anteile bezahlt. Der Staatsgerichtshof erklärte den Kauf Anfang Oktober 2011 wegen der Umgehung des Parlaments für verfassungswidrig.

Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses werden sich ab dem 3. Februar mit dem Bericht beschäftigen. Mappus wehrt sich schon jetzt. "Dieser Bericht ist tendenziös. Was ich skandalös finde: Er lässt Fakten aus", sagte der CDU-Politiker der Nachrichtenagentur dpa. Dem Bericht fehle eine entscheidende E-Mail, die beweise, dass er nicht gegen den Rat der Anwälte gehandelt habe. Stattdessen hätte die beratende Kanzlei Gleiss Lutz Ende November 2010 sehr wohl grünes Licht für den Kauf gegeben.

Dies habe die Kanzlei am 30. November in einer E-Mail an den Deutschland-Chef der beratenden Investmentbank Morgan Stanley, Dirk Notheis, mitgeteilt. Darin schreibe der Anwalt Martin Schockenhoff: "Unsere Verfassungsrechtler haben den telefonisch besprochenen Weg abgesegnet." Man werde bei dem Deal das Notbewilligungsrecht des Finanzministers nutzen. "Also kein Parlamentsvorbehalt, wir können am 6.12. ohne Bedingungen abschließen." Mappus sagte, die Nachricht sei an ihn weitergeleitet worden und liege bei den Akten in der Staatskanzlei. In dem Untersuchungsbericht taucht sie jedoch nicht auf.

Die Erklärung dafür könnte sein, dass es nach Angaben der grünen Staatsministerin Silke Krebs zwei Versionen des Berichtes gibt: eine, die für die öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausschusses bestimmt ist und dem Handelsblatt vorliegt, und eine zweite, die der Ausschuss nur hinter verschlossenen Türen behandeln darf.

Sie ist geheim, weil sie die Informationen der beratenden Investmentbank Morgan Stanley enthält. Die Bank habe Geheimhaltung verlangt, weil es sich bei den Angaben zu dem Deal um Betriebsgeheimnisse handele.

Mappus ist ein enger Freund von Notheis und wählte Morgan Stanley ohne vorherige Ausschreibung als Berater. Die Bank verdiente Millionen mit dem Mandat. Neben Notheis und Mappus waren nur Staatsminister Helmut Rau eingeweiht und später die rechtsberatende Anwaltskanzlei Gleiss Lutz.
Nach dem Regierungswechsel im vergangenen Mai hat sich die neue grün-rote Landesregierung auf die Suche nach Akten zu dem Kauf gemacht. Weil sie kaum etwas fand, forderte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann Gleiss Lutz und Morgan Stanley auf, ihre Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

Anwälte sollten schweigen

Als Gleiss Lutz am 25. Oktober 2011 seine Unterlagen übergab, verwies die Kanzlei darauf, dass sie von der Regierung die Anweisung hatte, keinesfalls schriftlich mit den Vertragspartnern zu kommunizieren. "Schriftliche Äußerungen hätten ausschließlich an Morgan Stanley gehen sollen", heißt es in dem Untersuchungsbericht, der für die öffentlichen Sitzungen bestimmt ist.

Das zeigt, dass Mappus das Geheimprojekt weitgehend aus dem Regierungsapparat ausgliederte. Krebs sieht darin den Hauptgrund dafür, dass im Staatsministerium kaum Unterlagen zu finden waren, die vor dem Verkaufsabschluss, dem 6. Dezember 2010, datieren.

Die Rechnungen der Anwälte von Gleiss Lutz zeigen, dass sie ihre Beratungen erst am 25. November 2010 aufnahmen. Damit blieben gerade einmal zehn Tage Zeit, um die schwierigste Frage des Deals zu bewerten: Durfte das Geschäft ohne Vorbehalt der Zustimmung durch das Parlament geschlossen werden oder nicht? Und: Wie können die Gelder ohne Parlamentsbeschluss freigegeben werden?

In dem Untersuchungsbericht heißt es, Gleiss Lutz habe lange die Auffassung vertreten, dass das Parlament dem Kauf zustimmen muss. Die letztlich gewählte Form der Notbewilligung ist eigentlich nur für absolute Notsituationen wie Naturkatastrophen vorgesehen. Auch Mappus ging zunächst davon aus, dass es ohne das Parlament nicht gehe. Die Frage, warum er seine Meinung änderte, kann er dem Untersuchungsausschuss am 9. März erklären - dann tritt Mappus dort als Zeuge auf.