Die Berichte des Handelsblatt, 07.11.2011

von Jürgen FLAUGER, Sönke IWERSEN

Milliardenstreit mit Partner

Handelsblatt , 07.11.2011 

Die Partnerschaft zwischen EnBW und EWE ist ein wichtiges Signal für den Energiestandort Deutschland und stärkt diesen", sagte Hans-Peter Villis im Juli 2008. Der Chef der Energie Baden-Württemberg (EnBW) glaubte damals, dass ihm ein Coup gelungen war: Sein Konzern beteiligte sich für 2,1 Milliarden Euro mit 26 Prozent am Regionalversorger EWE aus Oldenburg, dem fünftgrößten Energieunternehmen Deutschlands.

Heute, gut drei Jahre später, steht die Partnerschaft vor dem Aus. Die übrigen EWE-Aktionäre, norddeutsche Landkreise, pochen nach Informationen des Handelsblatts auf einen Rückkauf der Aktien. Gleichzeitig fordert die EWE-Führung die EnBW auf, ihr für rund 1,5 Milliarden Euro ein Aktienpaket von 48 Prozent am Gasgroßhändler Verbundnetz Gas (VNG) aus Leipzig abzukaufen, was nach ihrer Auffassung damals fest vereinbart wurde.

Am Wochenende leitete der EWE-Vorstand die dafür nötigen Schritte ein. Er beantragte beim VNG-Vorstand, eine Hauptversammlung einzuberufen, um den Verkauf der Anteile an EnBW zu besiegeln. Dies erfuhr das Handelsblatt aus Kreisen der beteiligten Konzerne. Ein EWE-Sprecher bestätigte dies später.

Weil die Werte der EWE-Anteile und der VNG-Aktien inzwischen deutlich gesunken sind, droht der EnBW eine Abschreibung, die sich nach Schätzungen aus den informierten Kreisen auf mehr als eine Milliarde Euro summieren könnte. Die EnBW äußerte sich gestern auf Anfrage nicht. Ihr sind die Risiken aber bewusst, wie aus einem Prospekt für eine kürzlich begebene Anleihe hervorgeht.

Für die EnBW wäre das ein weiterer schwerer Schlag. Der drittgrößte deutsche Energiekonzern steckt jetzt schon in finanziellen Problemen. Durch die Energiewende verlor er zwei seiner Reaktoren, er rutschte in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres in die Verlustzone und benötigt frisches Kapital.

Komplizierte Vertragsverhältnisse. 

Als Villis sich vor drei Jahren mit der EWE verbündete, galt sein größtes Interesse deren 48-Prozent-Paket an der VNG. Der EnBW-Chef hoffte mit der VNG, einem der größten Gasimporteure Deutschlands, die offene Flanke des Stromkonzerns im Gasgeschäft zu schließen. Villis setzte damals darauf, weitere Anteile erwerben zu können und sich so die Mehrheit zu sichern.

Doch er verschätzte sich, die ostdeutschen kommunalen VNG-Aktionäre wehrten sich gemeinsam mit den anderen Anteilseignern, dem russischen Gazprom-Konzern und der BASF-Tochter Wintershall, gegen den Einstieg der EnBW. Da für Änderungen im Eigentümerkreis eine Mehrheit der VNG-Hauptversammlung nötig ist, konnten sie die Avancen der EnBW blockieren. Villis wollte danach auf Zeit spielen. Mit EWE vereinbarte er, den Kauf der VNG-Aktien auf spätestens Ende 2011 zu verschieben.

Inzwischen hat sich die Situation aber entscheidend verändert. Die VNG hat wegen des Verfalls der Gaspreise deutlich an Attraktivität verloren. Nach Branchenschätzungen dürften die VNG-Aktien nur noch gut eine Milliarde Euro wert sein. Außerdem wird die VNG in diesem Jahr wohl einen Verlust von 350 Millionen Euro ausweisen. Sollte die EnBW die vereinbarten 1,5 Milliarden Euro bezahlen müssen, wäre wohl unmittelbar eine Abschreibung in dreistelliger Millionenhöhe fällig.

Die EnBW ist zwar weiter an einem Einstieg interessiert, will aber nicht mehr das komplette Paket übernehmen. Villis verhandelt mit dem russischen Gasproduzenten Novatek über einen gemeinsamen Einstieg bei der VNG. Die Verhandlungen dürften aber kaum bis Jahresende abgeschlossen sein. Die EWE-Führung wiederum will den vor drei Jahren vereinbarten hohen Verkaufspreis realisieren - fürchtet aber, mit leeren Händen dazustehen, wenn der Verkauf nicht bis zum Jahreswechsel abgeschlossen ist.

Zunächst versuchten beide Seiten, eine einvernehmliche Lösung zu finden und die Frist für die Transaktion um mehrere Monate zu verlängern, damit die EnBW weiter mit Novatek verhandeln könne. Im Oktober soll die EnBW-Führung den bisherigen Partner um umfangreiche Anpassungen gebeten haben, unter anderem einen niedrigeren Kaufpreis. Das EWE-Management und die Aktionäre entschlossen sich daraufhin, EnBW durch die Hauptversammlung zum Kauf zu zwingen. Die EWE sei zuversichtlich, dass ihr der Verkauf gelingen wird, sagte der Sprecher.

Die EnBW schätzt das Vertragsverhältnis aber anders ein. Sie bestreitet, dass die EWE den Verkauf durch einen Beschluss der Hauptversammlung erzwingen kann. Sie sieht nur eine Kaufoption auf ihrer Seite, nicht aber eine Verpflichtung zur Abnahme der Aktien. Das EWE-Management wiederum sieht sich durch eine Nebenabrede vom 8. Dezember 2009 im Recht, in der der EnBW-Vorstand ihrer Meinung nach darauf verzichtete, vor Ende 2011 vom Kaufvertrag zurücktreten zu können, wenn er die Aktien angedient bekommt.

Eine Rückabwicklung wäre fatal 

Das Verhältnis ist inzwischen so abgekühlt, dass die anderen EWE-Aktionäre, mehrere norddeutsche Landkreise, auf eine Rückabwicklung des Verkaufs pochen. Sie verweisen auf eine Change-of-Control-Klausel, die ihnen das Recht einräumen soll, die 26 Prozent zurückzuerwerben, falls es bei der EnBW einen Eigentümerwechsel gibt. Zu diesem sei es Anfang des Jahres gekommen. Im Januar übernahm das Land Baden-Württemberg den bisher vom französischen Energiekonzern EDF gehaltenen Anteil an EnBW.

Für die EnBW wäre eine Rückabwicklung fatal. Denn der Preis würde von einem Gutachter ermittelt, und die Aktien dürften deutlich weniger wert sein. Die EnBW hat die EWE-Anteile selbst schon auf 1,6 Milliarden Euro abgewertet. Nach Branchenschätzungen dürften sie inzwischen nur noch gut eine Milliarde Euro wert sein. Der EnBW drohen damit weitere Abschreibungen.

Auch die EnBW sieht dieses Risiko. Im Prospekt für eine Anleihe, die sie jüngst begab, macht sie auf beide Risiken aufmerksam. Der Kauf der VNG-Aktien "könnte zu einer ungeplanten finanziellen Belastung des Konzerns führen und das Rating der EnBW gefährden", heißt es da. Wegen der Höhe des Kaufpreises bestehe "das Risiko einer sofortigen Wertberichtigung. Und bei einer Rückabwicklung des Einstiegs bei EWE könnte der "gutachterlich zu ermittelnde Kaufpreis unter dem aktuellen Buchwert bei EnBW liegen".