Die Berichte des Handelsblatt, 07.10.2011

von Martin-Werner BUCHENAU

Strafe für den Mitläufer

Handelsblatt , 07.10.2011 

Sie schlossen ein Bündnis und dachten, sie machten so das Geschäft ihres Lebens: zwei Politiker und ein Investmentbanker. So verstaatlichten der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus, sein Finanzminister Willi Stächele (beide CDU) und der Deutschland-Chef von Morgan Stanley, Dirk Notheis, der die anderen beiden aus dem CDU-Landesvorstand kannte, in einer Nacht-und-Nebelaktion Ende Dezember 2010 für fünf Milliarden Euro den Energiekonzern EnBW.
Mittlerweile ist klar: Der Männerbund bescherte dem Land Baden-Württemberg so eines der schlechtesten Geschäfte der Landesgeschichte.

Für einen von ihnen allerdings erweist sich der Coup auch als ganz persönlich schlechtes Geschäft: Das baden-württembergische Staatsgericht hat dem ehemaligen Finanzminister gestern bescheinigt, gegen die Landesverfassung verstoßen zu haben. Damit gerät Stächele politisch gewaltig unter Druck. SPD und Grüne forderten gestern nach dem Urteil offen seinen Rücktritt. Was das Urteil für seine beiden Geschäftskumpane bedeutet, ist unklar: Stefan Mappus ist mittlerweile beim Pharmakonzern Merck untergekommen, Notheis hat den CDU-Landesvorstand verlassen.

Stächele wird damit zur tragischen Figur des Geschäfts. Denn die Hauptrolle spielte Ex-Regierungschef Stefan Mappus. Sein enger Freund und Berater Dirk Notheis zog als Deutschland-Chef der Investmentbank Morgan Stanley die Fäden. Das Duo hatte den Deal im Stile von Investmentbankern als geheime Kommandosache vorbereitet. Nicht einmal das Kabinett war eingeweiht.

Am Abend des 5. Dezember 2010 wird der damalige Finanzminister Willi Stächele (CDU) ins Staatsministerium einbestellt. Eilig reiste Stächele nach Stuttgart. In der Villa Reitzenstein, Mappus' Amtssitz hoch über Stuttgart, saßen schon Ministerpräsident Mappus und dessen Vertraute zusammen. Allen voran Investmentprofi Notheis sowie Spitzenanwälte der Kanzlei Gleiss & Lutz.

Stächele soll bis dahin ahnungslos gewesen sein. Jetzt brauchte Mappus und seine kleine Eliteeinheit aber die Unterschrift des Politikers aus der Provinz. Das Land wollte vom französischen Energiekonzern EdF für rund fünf Milliarden Euro einen Anteil von gut 45 Prozent am heimischen Energieversorger EnBW übernehmen, der Nummer drei der deutschen Energiebranche. Das Geschäft sollte am nächsten Morgen in Paris und in Stuttgart verkündet werden. Das ging aber nur, wenn der oberste Kassenwart des Landes die Milliarden auf Grundlage der Notbewilligungsklausel bereitstellte. Die Klausel, die die Freigabe von Geldern ohne Befragung des Parlaments vorsieht, ist eigentlich nur für "unvorhergesehene und unabweisbare" Situationen wie Naturkatastrophen vorgesehen.

Beim EnBW-Einstieg sollte sie zur Anwendung kommen, weil die Übernahme nur unter Geheimhaltung funktionierte, sonst wäre der Kurs der Aktie in die Höhe geschossen und das Geschäft geplatzt. So die von Regierungschef Mappus längst angenommene Investmentbanker-Logik. Stächele unterschrieb am späten Abend. Am nächsten Morgen war der Nikolaus-Deal perfekt. Angeblich hat Stächele eine Aktennotiz verfasst: "Der Unterzeichner nahm Information und Rechtsberatung entgegen." Sein Nachfolger im Amt, Nils Schmid, hat diesen Aktenvermerk im Ministerium nie gefunden. Und noch verwunderlicher: Der neue Regierungschef Winfried Kretschmann von den Grünen fand nach Amtsantritt ebenfalls praktisch keine Akten zum größten Unternehmenskauf der Landesregierung.

Das Blitzgeschäft, mit dem Mappus als Industriepolitiker glänzen wollte, erweist sich als bitteres Erbe für seinen Nachfolger. Das Aktienpaket, das er für fünf Milliarden Euro erwarb, ist heute keine vier Milliarden mehr wert. Selbst Parteifreunde aus der CDU fragen sich, was Mappus damals geritten habe, für einen Energiekonzern einen Aufschlag von einem Fünftel auf den Börsenkurs zu zahlen, während die Aktien der Energiekonzerne wegen der Brennelementesteuer unter Druck standen. Auch war in der Branche bekannt, dass die Zukäufe der EnBW ihre Erwartungen nicht erfüllt hatten und Hunderte von Millionen Abschreibungsbedarf drohten, was den Unternehmenswert mindert. All das ignorierte Mappus.

Ihm dürfte das egal sein. Seit Einsatzort für Merck liegt in Brasilien - schön weit weg von Stächele und seinen Problemen.