Enteisung eines Flugzeugs. Oder: Was kann man tun?

Worauf Sie beim Fliegen achten sollten.

Eis ist ein gefährliches und ernst zunehmendes Sicherheitsrisiko: Wenn es sich bildet und wenn es abbricht.

  • Wenn es sich Eis beispielsweise auf den Flügeln absetzt, verändert es die aero-dynamischen Flugeigenschaften ganz erheblich
  • Bricht Eis von einem Flügel kann es von den Motoren aufgesogen werden. Das bedeutet erhebliche Motorschäden, die teuer werden, oder - im schlechtesten Fall - beschädigt es die Motoren und setzt sie außer Kraft.

Letzteres ist beim Flug SAS 751 geschehen - nach nur knapp 1 Minute.
Zwei Systeme werden zur deshalb zur Eisentfernung verwendet, um dieses Risiko zu verhindern:

  • Engine Anti-Ice- Systeme sollen Eisbildung verhindern
  • De-Icing-Systeme dienen zur Enteisung

Beide Systeme sollen verhindern, dass sich

  • Eis überhaupt an den Vorderkanten der Flügel, dem Schwanz, den Einlauflippen und der kalten Vorderseite des Motorhauses absetzen kann
  • und falls sich Eis doch gebildet hat, dafür zu sorgen, dass es wieder schmilzt und nicht durch die Erschütterungen beim Flug abbricht.

Um zu verhindern, dass Eis sich überhaupt absetzen kann, benutzen beide Systeme warme Luft aus dem Motoren-Kompressor, die die Eisbildung verhindert. Ziel ist es, die Luft über dem Gefrierpunkt zu halten, da die Luft auch die Maschinenteile des Flugzeuges (z.B. Flügelvorderkanten) über dem Gefrierpunkt und damit eisfrei hält.

Es liegt in der Verantwortung des Flugkapitäns, das Engine Anti-Ice System einzuschalten, wenn die Wetterumstände es erfordern. Doch genau die Definition, wann die Wetterumstände was erforderlich machen, variiert mit dem Flugzeugtyp, in dem der Motor montiert ist. Eis kann sich festsetzen bei

  • Boeing: wenn die Temperatur unter +10 Grad Celsius liegt, bei feuchter Luft
  • Airbus: wenn die Temperatur unter +8 Grad Celsius liegt, bei feuchter Luft
  • McDonnell Douglas: wenn die Temperatur unter +6 Grad Celsius liegt, bei feuchter Luft.

Dies gilt auch bei Sonnenschein. Aber auch an einem kalten, diesigen Tag. Die American Airlines erklärten 1991:

„Der Druckabfall, der entsteht, wenn Luft in die Motoren eingesogen wird, bewirkt auch, dass die Temperatur fällt. Der Temperaturfall kann ausreichend genug sein, um die Luftfeuchtigkeit zu kondensieren, die sich dann als Eis auf der Vorderseite der Motoren absetzen kann. Wenn das Engine Anti-Ice System nicht verwendet wird, können sich beträchtliche Mengen von Eis ansammeln, die beim Start abbrechen und eingesogen werden können.“

In den 1970er sind die Jetmotoren der Flugzeuge vergrößert worden. Höhere Leistung war angesagt. Allerdings: Durch diese Vergrößerung mussten die Leerlaufumdrehungen gesenkt werden, damit die Bremsen nicht verbrennen, wenn das Flugzeug auf der Landebahn fährt. Die Umdrehungsminderung bewirkt dabei, dass die Temperatur der Zapfluft für das Engine Anti-Ice System sinkt. Damit ist nicht unbedingt gewährleistet, dass sich die Motoren automatisch eisfrei halten, selbst wenn das System eingeschaltet ist.

Aus diesem Grund hat sich ein spezifisches Verfahren herausgebildet: periodische Enginge run-ups (periodisches Hochfahren der Triebwerke) im Rahmen des ”Engine Anti-Icing”.

Leider erst viele Jahre später und mit variierenden, teilweise vagen Formulierungen, So zum Beispiel: Der Flugkapitän sollte/kann/muss eine periodische Engine run-up (alle 5 oder 10 Minuten) mit verschiedenen Kräften (60%, 70%, 80%, 1,4 EPR oder volle Kraft) von mindestens 15 Sekunden erwägen, wenn der Kapitän das Wetter als „ernstliche Übereisungsgefahr“ einschätzt.

Der Begriff „ernstliche Übereisungsgefahr“ tritt mit verschiedenen Definitionen und variierenden, vagen Formulierungen auf: „Wenn die Temperatur nahe des Gefrierpunktes ist/ unter +2 Grad Celsius/ unter + 3 Grad Celsius/ wenn es sichtbaren Niederschlag oder die Sichtweite unter 1km/ 2km oder 1 Meile liegt.“

Doch die entscheidende Warnung fehlt:

Der Leerlauf des Flugzeuges sichert nicht länger, dass die Motoren Eis-frei sind.

Der Flugzeughersteller McDonnell Douglas definiert "ernstliche Übereisungsgefahr" folgendermaßen: „Je höher die Temperatur, je höher der Wasserdampfgehalt in der Luft und desto gefährlicher werden Übereisungen.“ Doch auch McDonnell Douglas integriert nicht, dass ein Kapitän immer ein periodisches Engine run-up durchführen sollte, wenn das Engine Anti-Ice System der Jetmotoren eingeschaltet ist.
Dieses Verfahren führte die SAS am 17.März 1992 ein - nach einem verbissenen, internen Kampf, der Oluf HUSTED seine Fluglizenz kostete.

Das Engine run-up wurde auch von den Motorenfabrikanten Pratt & Whitney im Oktober 1994 empfohlen. In einem Brief an sämtliche Kunden mit modernen Motoren weist der Fabrikant darauf hin, dass „Engine run-ups“ das Risiko von Motorbeschädigungen reduzieren und somit Gelder sparen und die Sicherheit vergrößern.
Die SAS lockerte dieses Verfahren bzw. die Vorschriften wieder 1996: Seither sollen periodische Engine run-ups nur noch bei Temperaturen unter +2 Grad Celsius durchgeführt werden und nicht, wenn das Engine Anti-Ice System eingeschaltet ist.

Dieses Verfahren wurde dann nach einer Reihe von Unfällen an dem Gardermoen Flughafen in Norwegen wieder verschärft. Allerdings nur im Hinblick auf die Temperatur. Jetzt sollen die periodischen Engine run-ups bereits bei einer Temperatur unter +3 Grad Celsius durchgeführt werden.

Wer also an kalten Tagen, etwa im Winter fliegt, tut gut daran, sich vorher zu erkundigen, wie die Fluggesellschaft mit dem Problem der Eisbildung bzw. konkret mit Engine Anti-Icing, Engine De-Icing oder Engine run-ups umgeht bzw. bei welchen Witterungsverhältnissen was wie praktiziert wird.

Inzwischen hat die Federal Aviation Administration (FAA) dazu eine eigene Site ins Netz gestellt: Lessons Learned.

(NS)