Die 56 Berichte der SÜDWEST PRESSE aus Ulm, 27.06.2013

von Christoph MAYER

Klinikchef Marre tritt zurück

SÜDWEST PRESSE , 27.06.2013 von Christoph MAYER

Früher als geplant tritt Prof. Reinhard Marre als Chef der Uni-Klinik ab. Der Aufsichtsrat hat Prof. Klaus-Michael Debatin zu seinem Nachfolger bestellt. Der übernimmt die Geschäfte schon am kommenden Montag.


Viel Anlass zur Freude gab es in der Führungsetage des Uni-Klinikums zuletzt wahrlich nicht. Ein Millionen-Defizit im zweiten Jahr in Folge, Liquiditätsprobleme, ein von der Klinikleitung verordneter strikter Sparkurs, Personalausdünnung, unzufriedene Mitarbeiter, Mahnwachen vor der Klinik, dann noch ein Gutachten des Landesrechnungshofes, das dem im Juni 2012 fertig gestellten Chirurgie-Neubau en detail 40 000 Mängel bescheinigte – schließlich der schnelle Abgang des Kaufmännischen Direktors Rainer Schoppik, der in Hamburg anheuerte, woraufhin man in Ulm eilig einen Interimsnachfolger suchen musste. Kurz: Der Unmut war immer größer geworden, bei Pflegepersonal, Stationsleitungen, Ärzten, Chefärzten und zunehmend auch im zehnköpfigen Aufsichtsrat, dem obersten Kontrollorgan der Klinik.


Gestern hat dieses Gremium die Konsequenzen aus den Turbulenzen der vergangenen Monate gezogen und den Weg für einen Wechsel im Klinikumsvorstand geebnet. Einstimmig bestellte der Aufsichtsrat Prof. Klaus-Michael Debatin zum neuen Leitenden Ärztlichen Direktor und Vorstandsvorsitzenden – und zwar schon ab Montag, 1. Juli. Das bedeutet, dass sich der amtierende Klinikchef Prof. Reinhard Marre (65) drei Monate früher als geplant in den Ruhestand verabschiedet. Marre habe ein früheres Ausscheiden aus seinem Amt von sich aus angeboten, „um die Kontinuität der Arbeit des Vorstands zu gewährleisten“, heißt es in einer Mitteilung der Klinik. Im Herbst steht auch die Neubesetzung im Amt des Kaufmännischen Direktors an.


Debatin (60), Chef der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin und seit 2010 Marres Stellvertreter, hatte in der Vergangenheit immer wieder signalisiert, dass er dessen Nachfolge nicht anstrebt. Der mehrfach ausgezeichnete Krebsforscher hatte keinen Hehl daraus, dass ihm an einem Management-Job wenig liegt. Lediglich kommissarisch werde er sich in die Pflicht nehmen lassen. Nun scheint es, dass das Gremium Debatin dauerhaft in die Pflicht nehmen will und dieser auch dazu bereit ist. Bis Ende September 2014 werde Debatin das Amt des Leitende Ärztlichen Direktors ausüben – zusätzlich zur Leitung der Kinderklinik. Danach muss er sich entscheiden, denn das baden-württembergische Universitätsklinikagesetz verlangt einen hauptamtlichen Uni-Klinik-Chef. Über weitere Perspektiven werde der Aufsichtsrat im Verlauf der Amtszeit Debatins entscheiden, heißt es in der Mitteilung.


„Ich wünsche meinem Nachfolger eine glückliche Hand. Die Universitätsklinika stehen vor großen Herausforderungen, die nur mit viel Weitsicht und Erfahrung gelöst werden können. Insofern weiß ich das Uni-Klinikum in sehr guten Händen“, wird Marre in der Pressemitteilung der Uni-Klinik abschließend zitiert.


Lobende Worte gab es auch vom – wegen der Missstände am Ulmer Klinikum ebenfalls in die Kritik geratenen – Aufsichtsratsvorsitzenden Hartmut Schrade. „Reinhard Marre hat sich in seiner langjährigen engagierten und erfolgreichen Tätigkeit bleibende Verdienste für die Ulmer Universitätsmedizin erworben, für die ich ihm namens des gesamten Aufsichtsrats Lob und Anerkennung ausspreche“, so der Leitende Ministerialrat im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium. Prof. Karl Joachim Ebeling, als Präsident der Uni Mitglied im Aufsichtsrat, sagte, die Neubesetzung sei „ein richtiger Weg, um das Klinikum zukunftsfähig zu machen. Wir müssen jetzt nach vorne schauen.“


Marre stand fast neun Jahre an der Spitze des Klinikums. Bedeutendstes Projekt seiner Amtszeit war der Neubau der neuen Chirurgie. Die Klinik hatte den 240-Millionen-Euro-Bau zur Hälfte selbst finanziert und den 50-Prozent-Landesanteil vorgestreckt.