Die 56 Berichte der SÜDWEST PRESSE aus Ulm, 04.04.2013

von Rudi KÜBLER, Christoph MAYER

„Mitarbeiter vor den Kopf gestoßen“

SÜDWEST PRESSE , 04.04.2013 von Christoph MAYER, Rudi KÜBLER

Ärzte und Pflegekräfte arbeiten am Anschlag, der Krankenstand ist hoch – und der Unmut am Klinikum wächst. Die beiden Personalräte Doris GublerRehbock und Dr. Christoph Kling nehmen Stellung.


2011 schrieb das Uni-Klinikum Ulm 6 Millionen Euro Miese, 2012 waren es 6,6 Millionen Euro. Was befürchten Sie?


DR. CHRISTOPH KLING: Dass das Uni-Klinikum als Maximalversorger Schaden nimmt und die Versorgungsqualität für die Patienten weiter runtergeht. Wenn ich sehe, wie gespart wird, was gestrichen wird, dann frage ich mich schon: Was ist die Zukunft? Bleibt das Uni-Klinikum Ulm überhaupt ein Uni-Klinikum? Ministerpräsident Kretschmann hat bei der Eröffnung der Neuen Chirurgie zwar ein Bekenntnis für die Uni-Medizin im Land abgegeben, aber nicht für den Standort Ulm.


DORIS GUBLER-REHBOCK: Ich sehe nicht ganz so schwarz – auch wenn die Herren vom Vorstand (der Leitende Ärztliche Direktor Reinhard Marre und der Kaufmännische Direktor Rainer Schoppik, Anm. der Red.) auf der letzten Personalversammlung ein erneutes Minus für 2013 angekündigt haben. Es kracht also im Gebälk. Es wird zu weiteren Qualitätseinbußen in der Versorgung kommen, weil wir einfach zu wenig Personal für die Anzahl an Patienten haben . . .


Wie wirkt sich das auf den Stationen aus?


GUBLER-REHBOCK: Pflegekräfte und Ärzte versuchen zwar, den Personalnotstand zu kompensieren, aber irgendwann kommen sie ins Schleudern. Sie können nicht mehr allen Anforderungen gerecht werden, trotz vollem Einsatz. Es gibt Kolleginnen, die sind den Tränen nahe; eine Krankenpflegerin ist bereits zusammengebrochen, . . .


KLING: . . . die Aufgaben erfordern ja eine hohe Aufmerksamkeit, und einfache Tätigkeiten für die Pflegekräfte gibt es nicht mehr. Das Stresslevel bleibt hoch, die mentale Anspannung hält sich über eine ganze Schicht. Burn-out droht.


Wie hoch ist der Krankenstand?


KLING: Wir erhalten auf Nachfrage zwar Zahlen, aber die decken sich nicht mit den Berichten aus den Stationen. Unser Eindruck ist der, dass der Krankenstand erheblich zugenommen hat . . .


GUBLER-REHBOCK: Eine Station hat beispielsweise 5,5 Langzeitkranke.


Werden die Patienten da noch adäquat versorgt?


KLING: Genau das ist das Problem. Es kann zu Gefährdungsmomenten kommen. Der Klinik-Vorstand argumentiert damit, dass die Schadensfälle der Rechtsabteilung nicht angestiegen sind. Dies spiegelt aber nicht die Situation auf den Stationen wider. Sicher, ein Patient hält viel aus – aber darauf zu vertrauen, dass nichts passiert, ist fahrlässig.


GUBLER-REHBOCK: Wenn die Mitarbeiter merken, dass die Patientensicherheit nicht mehr gewährleistet ist, schreiben sie so genannte Gefährdungsanzeigen, die an den Ärztlichen Direktor gehen. 50 wurden allein in den ersten zwei Monaten dieses Jahres geschrieben, das spricht Bände . . .


Und die Gefährdungsanzeigen werden irgendwo abgeheftet?


GUBLER-REHBOCK: Prof. Marre muss sich eigentlich darum kümmern. Es wird dann viel geredet und darüber verhandelt, ob die Stellen ausreichend bemessen sind. Aber es muss erst knallen – so wie neulich auf der Dialyse-Station.


Was ist da passiert?


KLING: Der Personalstand ist durch Abbau und Krankheit derart dezimiert, dass die Wochenendschicht nicht ausreichend besetzt war. Die Folge: Dialyse-Patienten, die hätten versorgt werden sollen, mussten an andere Kliniken gebracht werden. Notfälle konnte nachts nicht aufgenommen werden.


Wo bleibt da die Maximalversorgung?


KLING: Das frage ich mich auch. Ob die organisatorischen Veränderungen greifen, die auf der Dialyse-Station jetzt umgesetzt werden, müssen wir abwarten.


Nicht nur die Pflegekräfte, auch die Ärzte sind teilweise überfordert. Beispielsweise junge Assistenzärzte, die allein auf Station sind, weil die Klinikleitung eine Wiederbesetzungssperre verfügt hat und erfahrene Kollegen somit fehlen.


KLING: Es rumort auch bei den Ärzten, die jungen Kollegen schwimmen. Fach- und Oberärzte versuchen das zwar zu kompensieren, aber auch sie gelangen an die Grenzen. Die Fluktuation ist entsprechend hoch, sie stimmen mit den Füßen ab, das heißt: Sie kündigen, lassen sich als Facharzt nieder.


Was können Sie zur Arbeitsbelastung der Mediziner sagen?


KLING: Die Unfallchirurgen sind ein Beispiel. Wenn die schon zu uns kommen und sagen, sie könnten nicht mehr, dann muss da was dran sein. Denn die Chirurgen sind die härtesten. Aber Einsicht in die Arbeitszeiten hat uns der Vorstand verweigert. Wir haben in diesem Fall das Gewerbeaufsichtsamt eingeschaltet und auch beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage eingereicht. Der Vorstand muss die Arbeitszeiten rausrücken. Denn: Wenn Ärzte zu lange Arbeitszeiten haben, dann verstößt dies nicht nur gegen das Arbeitszeitgesetz, sondern es wird auch gefährlich. Gefährlich für den Patienten, er leidet als erster.


Die Unterfinanzierung der Kliniken haben Sie schon mehrfach eingeräumt, wo sehen Sie ein Versagen der Ulmer Klinikleitung?


KLING: Der Vorstand ist in einer schwierigen Situation, das stimmt. Ich beneide die Herren nicht. Aber sie hätten die Mitarbeiter ins Boot holen müssen. Organisatorische Veränderungen wurden übers Knie gebrochen, die Mitarbeiter vor den Kopf gestoßen. Unsere Kollegen sind ja vernünftig, man muss sie einfach fragen und anhören. Die Identifikation mit dem Klinikum schwindet auf diese Weise immer mehr.


GUBLER-REHBOCK: Es sind immer Hau-Ruck-Verfahren, sie führten in der Vergangenheit oft zu Verwerfungen. Bei der Zusammenlegung der HNO-Intensivstation mit der Urologie- und Gynäkologie-Intensivstation werden jetzt erstmals Arbeitsgruppen gebildet. Mal sehen.


Ist es ein grundsätzliches Problem, wenn ein Labormediziner (Marre) und ein Betriebswirt (Schoppik) das Sagen haben? Sorgen und Nöte des Pflegepersonals und der Mediziner kennen beide nur vom Hörensagen.


GUBLER-REHBOCK: Diesen Eindruck habe ich auch. Die beiden sollten mal eine Woche auf einer Station hospitieren, wo es wirklich zur Sache geht. Sie sollten mal sehen, wie es ist, wenn man hinlangen muss – und nicht schon nach der Schicht Schluss ist, sondern weitergearbeitet werden muss, weil die Ablösung sich krank gemeldet hat.


KLING: Ich habe auch nicht den Eindruck, dass Schoppik und Marre die Bedenken der Mitarbeiter ernst nehmen. Alle Schuld wird auf die Politik geschoben. Sie schauen nur betreten drein, wenn eine Krankenpflegerin, wie neulich auf der Personalversammlung, fragt, ob erst ein Patient sterben muss, ehe die Konsequenzen aus dem Personalnotstand gezogen werden. Darauf hat der Vorstand keine konkrete Antwort.


Werden denn Sie als Personalräte ernst genommen?


GUBLER-REHBOCK: In der Vergangenheit ist der Personalrat nie ausreichend mit konkreten Zahlen versorgt worden. Nach dem Defizit 2011 hat der Vorstand uns erstmals zu einem Gespräch eingeladen.


KLING: Jetzt, wo der Vorstand uns braucht, sucht er das Gespräch, um unangenehme Botschaften wie Arbeitsplatzabbau, Auslagerungen und Einkauf von Fremdleistungen sowie geringere Bezahlung unter die Mitarbeiter zu bringen. Das ist die Art der Kooperation mit dem Vorstand.


Hat sich der Vorstand mit dem Bau der Neuen Chirurgie übernommen?


KLING: Sagen wir es einmal so: Mit dem Neubau hat sich, was die Patientenversorgung angeht, nichts zum Besseren gewendet. Sicher wird, um die Kredite zu bedienen, Geld aus dem Klinikum gezogen. Geld, das für laufende Personalkosten gedacht ist.


Ist der Pflegeberuf unter diesen Rahmenbedingungen überhaupt noch attraktiv für junge Menschen?


GUBLER-REHBOCK: Laut einer Erhebung durch die Gewerkschaft Verdi fehlen bundesweit rund 160 000 Pflegekräfte, im Südwesten sind es 21 000 . . .


. . . und am Uni-Klinikum Ulm?


GUBLER-REHBOCK: Hier dürften es wohl um die 200 sein, schätze ich. Der Trend ist, dass schon jetzt nicht mehr so viele in den Beruf drängen, weil er unattraktiv ist. Mit der Folge, dass Honorarkräfte für ein halbes oder Dreivierteljahr beschäftigt werden müssen, um den Personalnotstand einigermaßen zu kompensieren. Die werden dann von Zeitarbeitsfirmen vermittelt.


Und wie sieht die Situation bei den Ärzten aus?


KLING: Ich würde sowohl zurzeit von der Ausbildung zum Arzt als auch von der zur Pflegekraft abraten, gerade vor dem Hintergrund der Arbeitsbedingungen. Momentan ist schon erkennbar, dass wir nicht mehr die erste Riege der Mediziner ans Klinikum kriegen; wenn Stellen wieder besetzt werden, dann oft nur mit der zweiten oder dritten Wahl. Und dieses Problem wird sich verschärfen.


Welche Bereiche stehen vor der Auslagerung? Die Küche?


KLING: Was Auslagerungen angeht, da sind wir nicht im Boot. Der Bestand der Küche war bis Ende 2012 garantiert, was gegenwärtig geplant ist, wissen wir nicht. Nur, dass externe Berater dort seit geraumer Zeit zugange sind . . .


. . . die Rede ist der von SCS, einer Tochter der Sana Kliniken AG. Durchaus delikat, wenn man sich vor Augen hält, was die Sana am RKU veranstaltet hat.


KLING: Der Gerätebestand der Klinikums-Küche ist veraltet. Investitionen sind nötig. Was wir aber nicht begreifen, ist, dass der Vorstand teuere Beraterleistungen einkaufen muss.


Wann werden Pflegekräfte und Ärzte zu Tochterfirmen ausgelagert?


GUBLER-REHBOCK: Ich gehe davon aus: nie!


KLING: Pflegepersonal und Ärzte sind nicht vor Auslagerung gefeit. Ob die Leistungen dadurch billiger und besser werden, sei dahingestellt. Zu den bisherigen Auslagerungen am Uni-Klinikum gibt es beispielsweise keine Kosten-Nutzen-Analyse.