Die 56 Berichte der SÜDWEST PRESSE aus Ulm, 07.05.2013

von Rudi KÜBLER, Christoph MAYER

Schlechte Note für Chirurgie

SÜDWEST PRESSE , 07.05.2013 von Christoph MAYER, Rudi KÜBLER

Pfusch am Bau: Der Landesrechnungshof stellt der Uni-Chirurgie ein schlechtes Zeugnis aus. Um pünktlich fertig zu werden, habe die Klinik als Bauherrin auf die Einhaltung von Qualitätsstandards verzichtet.


Mit einem Volumen von rund 240 Millionen Euro war die im Juni 2012 fertig gestellte Uni-Chirurgie eines der größten Landesbauprojekte der vergangenen Jahrzehnte. Das Besondere daran: Erstmals trat nicht das Land als Bauherr auf, sondern ein Klinikum. Die Verantwortlichen auf dem Oberen Eselsberg hatten dies so eingefordert, weil die Klinik die Hälfte der Kosten trug und die andere Hälfte vorfinanzierte. Bei einem derartigen Vorhaben und solch finanzieller Verantwortung müsse man eben alle Fäden in der Hand haben, lautete die Argumentation des Vorstands, der sich nach der Eröffnung der Chirurgie stets mit der „erfolgreichen Umsetzung des Mammutprojektes“ brüstete.


Zu einem weniger schmeichelhaften Urteil kommt der baden-württembergische Landesrechnungshof. In einem nicht öffentlichen Gutachten listen die Prüfer auf 62 Seiten größere und kleinere Mängel auf und stellen dem Chirurgie-Bau ein schlechtes Zeugnis aus. Zentraler Vorwurf: Den Bauherren um den Leitenden Ärztlichen Direktor Prof. Reinhard Marre und den zum 30. April 2013 ausgeschiedenen Kaufmännischen Direktor Rainer Schoppik sei es vor allem um eine Einhaltung des Termin-und Kostenplans gegangen – zu Lasten der Bauqualität. Fazit der Gutachter: „Der Generalunternehmer (die BAM Deutschland, Anm. d. Red.) hatte durch die offenkundigen Ziele des Universitätsklinikums bei allen Verhandlungen und Nachträgen das Heft in der Hand und konnte die Verhandlungen zu seinen Gunsten und damit regelmäßig zum Nachteil des Landes lenken.“


Der gravierendste Fehler passierte demnach beim Bau der zentralen Abwasserleitung unter der Chirurgie. Bei einer Kamerabefahrung stellte sich heraus, dass das Gefälle zu gering beziehungsweise teilweise nicht vorhanden war. Um diesen Fehler zu beheben, hätte die 200 Meter lange, 30 Meter breite und 1,5 Meter dicke Beton-Bodenplatte, auf der das Gebäude fußt, wieder entfernt werden, für die Kosten die BAM aufkommen müssen. Die Klinik verzichtete darauf, um die Inbetriebnahme nicht zu verzögern. Stattdessen wurde das Kanalrohr mit einer gelartigen Masse ausgekleidet. Das war günstig und stellte das Gefälle her. Jedoch verringerte sich so der Durchmesser des Rohres. Urteil der Gutachter: „Nach der Sanierung erhält das Klinikum ein Leitungssystem, das die ausgeschriebene Leistungsfähigkeit nicht erreicht und einen mit zusätzlichen Kosten verbundenen Wartungsaufwand erfordert.“ Die Kosten allein dafür beziffert das Gutachten mit 540 000 Euro. Für sie müsse nun das Land aufkommen.


Zweites großes Manko aus Gutachtersicht: Wegen des schlechten Baugrunds war für das langgezogene Gebäude ursprünglich eine Pfahlgründung vorgesehen gewesen. Die BAM schlug eine deutlich billigere Flachgründung mit besagter Bodenplatte vor – trotz Bedenken der Projektsteuerung, wie es in dem Bericht heißt, die aus Sicherheitsgründen die Pfahlgründung favorisiert habe. Wilmuth Lindenthal, Leiter des Amtes Ulm für Vermögen und Bau und verantwortlich für die Projektsteuerung für den Bauherren Uni-Klinikum, will dazu keine Stellung nehmen. „Das ist eine Sache zwischen der Klinik und dem Rechnungshof.“ Die Aufgabe seines Amts habe lediglich darin bestanden, dem Bauherren Vorschläge zu unterbreiten, „der Bauherr kann sie übernehmen oder ablehnen“.


Die Uni-Klinik weist indes die Kritik des Rechnungshofs von sich. „Das Gutachten ist realitätsfern“, sagt Klinikchef Marre. Er verweist auf eine von der Klinik in Auftrag gegebene 85-seitige Gegen-Expertise zweier Karlsruher Professoren, die zu dem Schluss kommt, dass die Vorwürfe unbegründet sind.


Im Gegensatz zu den Beamten des Rechnungshofs habe die Klinik immer das Gesamtprojekt im Auge haben müssen, betont Marre: Also Patientenversorgung, Wirtschaftlichkeit und Bauqualität unter einen Hut bringen müssen. So hätte ein Aufreißen der Bodenplatte zu einer Bauverzögerung von mindestens einem Jahr geführt. Dies hätte man nicht verantworten können, „Die alte Chirurgie am Safranberg war ausgelutscht.“


Thomas Eckerth, Leiter der Abteilung Bau des Klinikums, kritisiert insbesondere, dass das Gutachten nicht up to date sei und das Gros der Informationen von Anfang 2012 stamme. „Bei einem Bauvorhaben dieser Größe ist es normal, dass es während der Bauzeit tausende Mängel gibt.“ Die seien aber inzwischen überwiegend abgearbeitet oder würden noch abgearbeitet.


Auch im Fall des Abwasserkanals gibt Eckerth Entwarnung. Die BAM habe der Klinik ein zusätzliches Regenbecken gebaut. „Das Kanalnetz ist damit nun genauso leistungsfähig wie ursprünglich geplant.“ Zudem habe die BAM für die zusätzlich entstehenden Wartungskosten zugesichert, 370 000 Euro ans Klinikum zu zahlen. Man sei überzeugt, auf juristischem Wege die kompletten Zahlung von 540 000 Euro zu erreichen.