Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 01.10.2009

Die Millionenfalle, Teil 16

Rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) hat sich die amtliche Zuversicht verflüchtigt. Nun regieren die Fakten, was klarer klingt, als es ist. Ein unbestrittener Fakt plagt alle Betroffenen und ist Ursache von allem: Geld fehlt. Beim WCCB sind es rund 30 Millionen Euro. Möglicherweise mehr. Ob die einmal geplanten und mangels Eigenkapital nur zögerlich verfügbaren 140 Millionen Euro eigentlich ausreichend viel Geld waren, ermitteln gerade die für die Bekämpfung von Korruption zuständigen Dezernenten der Bonner Staatsanwaltschaft. Es geht um den Verdacht auf Untreue, Betrug, Bestechlichkeit, Bestechung - die ganze im Baumilieu nicht ungewöhnliche Palette. Das fehlende Geld ist das Grundproblem und ein Quell für weitere, die sich wie konzentrische Kreise um das WCCB ziehen.

Die öffentliche Hinwendung zu den Fakten hat erst einmal einen Abwärtstrend verursacht. Insolvenz der Baufirma SMI Hyundai Europe von Young-Ho Hong, daraus resultierend der Baustopp und viele Handwerker mit offenen Rechnungen. Gestern Nachmittag hofften sie auf neue Nachrichten, wie es weitergehen könnte, doch daraus wurde nichts. Der Einladung folgte mittags die Absage. Mit dem Baustopp scheint vorerst die Talsohle negativer Überraschungen erreicht.

Unterdessen versuchen einige ohnmächtige Zuschauer der skandalösen WCCB-Vorstellung, ins Geschehen einzugreifen und wieder Aktivposten zu werden: Die Sparkasse KölnBonn hat der UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC), dem Bauherrn, ihren 104-Millionen-Kredit gekündigt und die Stadt Bonn der UNCC den Projektvertrag. Weil die Chance, dass bei der UNCC jemand Maßgebliches den Briefkasten leert, gering ist, hat die Sparkasse als größter Gläubiger gleich die Zwangsverwaltung beantragt. UNCC-Geschäftsführer Man-Ki Kim, eine Art Felix Krull in der gesamten WCCB-Geschichte und einst in Bonn wie ein Retter hofiert, wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.

In einem Labyrinth juristischer Optionen hat das Duo Stadt/ Sparkasse aus gutem Grund die Zwangsverwaltung gewählt: Sie wahrt die Interessen der Gläubiger und sichert am ehesten die Fertigstellung des WCCB-Kongresszentrums. Sie vermeidet zudem, zumindest vorerst, gerichtliche Auseinandersetzungen mit Hawaii und Zypern, wo das WCCB inzwischen auch "zu Hause" ist. Nach GA-Informationen sieht auch die israelische Investmentfirma Arazim Ltd. (Zypern), die 2007 über einen skurrilen Zehn-Millionen-Kredit zu 60 Prozent Zinsen an Kim ins WCCB-Spiel kam, in der Zwangsverwaltung erst einmal einen tauglichen, ersten Schritt.

Arazim, der per Einstweiliger Verfügung vom Bonner Landgericht (Az. 13 O 156/09) ernannte 94-Prozent-Gesellschafter der UNCC, steht nach GA-Unterlagen sogar noch im Grundbuch, zwar nur an dritter Rangstelle, aber mit 13 Millionen Euro. Der externe städtische Rechtsberater Jürgen Lauer hält diesen Eintrag für "gegebenenfalls irregulär", was Honua Investment Management Inc. (Hawaii) deutlicher formulieren würde. Denn Honua ist laut Handelsregister ebenfalls 94-Prozent-Gesellschafter der UNCC. Vor dem Hintergrund der WCCB-Abwärtsspirale mit all ihren seltsamen Seitenablegern ist der Eigentümerstreit zwischenzeitlich etwas ins Abseits der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt, aber damit nicht aus der Welt. Man kann es so beschreiben: Honua und Arazim marschieren, wenn es gegen Stadt und Sparkasse geht, befristet vereint, und wenn es vor Gericht geht, was bald der Fall sein wird, gegeneinander.

Kim, der vermeintliche Retter für Bonns Zukunftsprojekt, hat eine buchstäblich verkorkste Situation und rechtlich ein bizarres Trümmerfeld hinterlassen - nur keine Reste der öffentlichen Millionen. Was in jeder Hinsicht euphorisch und zuversichtlich als Bonner Version im Rahmen der der bundesweiten Public-Private-Partnership-Modewelle (siehe Interview unten) begann, endet vorerst im Desaster. Nun brüten in Stadt- und Rathaus viele hochbezahlte Experten über den bestmöglichen Ausweg. Doch erst einmal stecken alle Verantwortlichen in der Sackgasse und vor einem Gebirge diverser Hausaufgaben. Dazu gehört etwa das Prüfen der Frage: Sind die Business-Pläne für das WCCB noch gültig? Oder ist jetzt alles Makulatur? Wenn ein neuer Investor das unvollendete oder das fertiggestellte WCCB übernähme, interessiert ihn vor allem: Was kann man mit dem WCCB für Erlöse erzielen? Der berufene Kölner Zwangsverwalter Jörg Nehrlich wird beispielsweise über ein weiteres Erbe Kims kaum jubeln können - den Hotelvertrag mit Althoff Hotels & Residences.

Das anfangs mit 185 und im Bauantrag mit 352 Zimmern geplante Vier-Sterne-Plus-Hotel war in den städtischen Verlautbarungen der wenig plausible Haupttreiber für eine irrwitzige Baukosten-Explosion beim WCCB. Im Umkehrschluss müsste für das Invest nun eine stabile Erlösbastion erwartet werden. Doch eine feste Pacht hat Kim nicht vereinbart. Der reine Management-Vertrag, wie er durchaus branchenüblich ist, belässt jedoch unüblicherweise bei der Chancen-Risiko-Verteilung alles wirtschaftlich Unwägbare bei der UNCC und damit letztlich bei der Stadt Bonn.

Überhaupt nährt das Studium von Akten und sogenannten Business-Plänen den Verdacht, dass das augenblicklich sich ausbreitende WCCB-Fiasko für einige Handelnde nicht ganz so überraschend kommt. Möglicherweise hatten Matthias Schultze und Michael Thielbeer, die Verfasser des Finanzplans für die WCCB-Betriebsgesellschaft SMI Hyundai Management GmbH (heute: WCCB Management GmbH), mit Negativ-Schlagzeilen schon viel früher gerechnet. So enthält der im April 2008 aufgestellte Finanzplan für 2009 die Anmerkung "Schädigung der Reputation", davor ein Minus für erlösschwächenden Einfluss. Noch in der Prognose für 2011 notieren die beiden WCCB-Geschäftsführer "Voller Durchschlag Imageschaden aus 2008".

Ein anderes Kapitel sind die alten Bestandsbauten des Bundes, etwa Plenarsaal und Wasserwerk, die ebenfalls in der Obhut der WCCB GmbH liegen. "Die Nachfrage nach Tagungen in den historischen Räumen war in den vergangenen Jahren erfreulich gestiegen", teilte die Stadt Bonn gestern mit, nun wolle man mit Schultze Gespräche führen, die verhindern sollen, "dass die Turbulenzen um den Neubau sich negativ auf den laufenden Tagesbetrieb auswirken". Unterdessen sitzt Schultzes Geschäftsführer-Kollege weiter in Untersuchungshaft - und schweigt.

Zu prüfen ist auch, wie die WCCB GmbH bisher den jährlichen 1,6-Millionen-Euro-Zuschuss von Stadt und Bonn-Bund-Ausgleichstopf verwendet hat. Eine Million für Marketing, 0,6 Millionen als Betriebskostenzuschuss. Schultze und sein Partner Thielbeer sollen sich kürzlich erst ihre Gehälter fast verdoppelt haben. Doch das Prüfen wird ein frommer Wunsch bleiben. Zumindest, was die Vergangenheit angeht. Die Ratsbeschlüsse dazu lesen sich so, dass die Stadt erst ab 2010 Einsicht in die Bücher der WCCB GmbH nehmen kann. Mit anderen Worten: Subvention ja, Nachweispflicht nein. Erst später. Auch hier schwebt ein großes Warum.

Es gibt für die städtischen und externen Aufklärer viel aufzuarbeiten. Erst danach wird sich ein Ausweg ankündigen. Dieser wird für die Stadt und damit die Bonner Bürger alles andere als kostenneutral sein. Der eine preiswerter als der andere. Vielleicht muss nicht nur aufgearbeitet, sondern auch noch Ungeahntes verarbeitet werden. Nach GA-Informationen liegt Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann nun ein Antrag der Staatsanwaltschaft vor, wonach sie städtische Mitarbeiter von ihrer Schweigepflicht entbinden soll. Damit startet die nächste Etappe im Aufklärungsmarathon - nach dem "kooperativen Verhalten" Hongs im U-Haftverhör.

"Ich sehe die Risiken und Chancen im Vertrag ungleich verteilt"

Andreas Hense, Bonner Wirtschaftsprofessor und Experte für Public Private Partnership, zu den Problemen beim Projekt World Conference Center Bonn

Public Private Partnership (PPP) war zuletzt die Wunderwaffe finanzschwacher Kommunen, wenn es galt, Projekte gemeinsam mit Investoren zu stemmen. Professor Andreas Hense hat sich mit diesem Thema beschäftigt und das PPP-Projekt Kongresszentrum in Bonn beobachtet. Mit ihm sprachen Florian Ludwig und Wolfgang Wiedlich.

Public Private Partnership. Was bedeutet das?

Hense: Dass Risiken und Chancen eines gemeinsamen Projekts zwischen einer Kommune und einem privaten Investor gleichmäßig verteilt und getragen werden.

Wie ist die aktuelle WCCB-Schieflage des Projekts zu erklären? Waren die Risiken und Chancen gleich verteilt?

Hense: Ich habe den Projektvertrag zwischen UNCC/SMI Hyundai und der Stadt Bonn studiert und frage mich, warum die Stadt nicht einen Notar ihres Vertrauens gewählt hat, sondern einen Notar, den der Anwalt der anderen Partei, Dr. Ha-S. C., offenbar persönlich kennt. Ich sehe die Risiken und Chancen im Vertrag ungleich verteilt: Eindeutig mehr Risiken für die Stadt, was sich ja schon an der vergleichsweise geringen Eigenkapital-Auflage für UNCC/SMI erkennen lässt.

Können Sie das konkret an einigen Punkten festmachen?

Hense: Grundsätzlich ist anzumerken, dass der Projektvertrag typische PPP-Absichtserklärungen enthält, wie etwa die gegenseitige Verpflichtung, partnerschaftlich und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, was nicht gemessen werden kann. Oder man verpflichtet sich, dass jeder einen Projektleiter benennt, aber es ist ungeregelt, was passiert, wenn beide sich nicht einigen können.

Die UN-Sekretariate erhalten die WCCB-Räume an 20 Tagen mit einem Rabatt von 90 Prozent, während andere Dienstleistungen normal berechnet werden sollen. Liegen da Risiken?

Hense: Durchaus. "Normal" ist dehnbar. Der WCCB-Betreiber könnte Essen und Trinken und vieles mehr während eines UN-Kongresses extrem verteuern und damit die geringe Raummiete quersubventionieren. Zumindest regelt der Vertrag das nicht.

Könnte der Betreiber die extrem niedrige Raummiete auch mit weniger Service kompensieren?

Hense: Dass man Gäste, die nur zehn Prozent des normalen Preises zahlen, als lästiges Übel empfindet und schlechter behandelt, ist in der Hotelbranche seit Jahren üblich. Zum Beispiel wird für weniger gern gesehene Gäste dann das qualifizierte Personal durch preiswertere Hilfskräfte ersetzt. Wenn bei der UN Unzufriedenheit mit dem Service aufkäme, so hätte dies negative Auswirkungen auf Bund, Land und auch die Stadt Bonn. Für diese grundsätzlich mögliche Problematik sind im Projektvertrag keinerlei Steuerungs- oder Einflussmöglichkeiten vorgesehen. Generell hat die Stadt für den Betrieb des Kongresszentrums ein für sie nachteiliges PPP-Modell gewählt.

Vielleicht hatte sie keine andere Wahl, weil kein anderer Investor zur Verfügung stand oder der ausgewählte dominant den Vertrag bestimmte?

Hense: Wie dem auch sei: Die Vertragslaufzeit erscheint mir mit 30 Jahren viel zu lang, insbesondere weil die Stadt bei einer vorzeitigen Kündigung eine nachhaltige Nichtzumutbarkeit vor Gericht nachweisen muss. Es steht zu befürchten, dass die Stadt 30 Jahre lang viel Ärger in sich hineinschlucken muss, wenn der Betreiber knallhart seine wirtschaftlichen Interessen verfolgt und zum Beispiel nicht im Sinne einer Achtung der UN-Würde oder des Denkmalschutzes bei den alten Bestandsbauten arbeitet. Hier hätte man wesentlich kürzere Vertragsphasen wählen müssen. Man könnte dann den Betreiber wechseln, wenn er nicht zufriedenstellend arbeitet.