Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 17.10.2009

Die Millionenfalle, Teil 18

Seitdem Navigationsgeräte den Co-Piloten im Fahrzeug spielen, verfahren sich Autofahrer nicht mehr - weniger Kilometer, weniger Sprit. Neuere Software-Versionen bieten mittlerweile sogar Eco-Optionen an: Wähle die sparsamste Route, und die ist nicht automatisch die kürzeste oder schnellste. Gäbe es einen ähnlichen Hightech-Kompass gegen den verschwenderischen Umgang mit öffentlichen Mitteln, hätte der Bund der Steuerzahler ein Highlight weniger im Jahr, wenn er seinen Finger in die Wunde legt. "Wir gehen davon aus, dass die Fehlleitung öffentlicher Mittel in diesem Jahr mit mehr als 30 Milliarden Euro höher ist als je zuvor", sagte Verbandspräsident Karl Heinz Däke vorgestern in Berlin.

Im diesjährigen Schwarzbuch liegt das Großprojekt der Elbphilharmonie in Hamburg auf Platz eins: Die Baukosten explodierten von 77 auf 323,3 Millionen Euro. Von einer 320-Prozent-Steigerungsrate ist das unfertige World Conference Center Bonn (WCCB) weit entfernt. Die reinen Baukosten explodierten "nur" von 100 auf voraussichtlich 195 Millionen Euro. Letzte Erklärung der Verwaltungsspitze: Die Erhöhung der Hotelzimmerzahl sei schuld, dazu der volatile Dollarkurs und höhere Rohstoffpreise. Wie der GA berichtete und darlegte, überlebte diese Erklärung den Plausibilitätstest nicht. Und ob öffentliche Bauten quasi naturgesetzlich vom Virus "Baukosten-Explosion" befallen werden müssen, ist eine andere Frage.

Nach GA-Informationen macht die Stadt Bonn sich unterdessen mit einem Szenario vertraut, wonach sie noch einmal rund 50 Millionen frische Euro in die Hand nehmen muss, um das WCCB in einen verkaufsfertigen Zustand zu bringen. Es gibt viele informelle, diffuse Rauchzeichen aus dem Rathaus, so auch die Botschaft, dass neue Investoren Schlange stehen. Dahinter verbirgt sich auch das Bemühen, die mediale Gegenwart mehr mit der Zukunft als mit der Vergangenheitsbewältigung zu beschäftigen.

Um das, was war, kümmert sich vorerst nur die Staatsanwaltschaft. Sie ermittelt in alle Richtungen. Es geht um Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Nun werden auch städtische Bedienstete befragt. Wo sind die Millionen? Alle in Stahl und Beton verwandelt? Oder nur zum Schein verbaut? Wer hat kontrolliert? Gab es ein Kick-Back-System? Und wenn ja: Wie flossen die Geldströme? Als "Kick-Backs" werden weltweit Bestechungs- oder Schmiergeldzahlungen bezeichnet, die über Umwege an den Auftraggeber zurückfließen. In großen Konzernen werden sie gelegentlich unter dem vornehmer klingenden Titel "After Sales Service Fee" gebucht.

Über dieser WCCB-Baumillionen-Frage liegt vorerst dichter Nebel, den die Staatsanwaltschaft bisher - zumindest öffentlich - nur etwas auflöste: Der Architekt und Generalübernehmer Young-Ho Hong (SMI Hyundai Europe) hat zugegeben, an den Investoren-Auswähler Michael Thielbeer, zurzeit in U-Haft, Geld ohne Gegenleistung bezahlt zu haben. Vermutlich liegt Thielbeers Leistung vier Jahre zurück, als er als "unabhängiger" Berater der Stadt Bonn den klammen Investor SMI Hyundai Corporation (Reston/ USA) mit seinem "Präsidenten" Man-Ki Kim in die Arme trieb. Bittere Erkenntnis heute: Mit Kim begann in der Vorvertragsphase der große Aufschwung, der gefühlte und gewollte Optimismus. Kaum wurde der Vertrag gelebt, setzte die Abwärtsspirale ein.

Parallel zu den Aktivitäten der Staatsanwaltschaft brach im Umfeld des WCCB das große Insolvenzfieber aus. Eine Art Dominoeffekt: Erst erklärte sich die Baufirma SMI Hyundai Europe für zahlungsunfähig, dann löste die Sparkasse KölnBonn mit der Kündigung ihres 104-Millionen-Euro-Kredits die Insolvenz des Bauherrn UNCC GmbH aus. Und weil UNCC-Geschäftsführer Kim bei der Kredithaftung auch die Betriebsgesellschaft WCCB GmbH verpflichtet hatte, kippte auch sie in die Zahlungsunfähigkeit. Fakt ist: Die Millionen sind weg, die "fette Made", gefüllt mit Steuermillionen und öffentlich besicherten Kredit-Millionen, ist zerteilt, "verfrühstückt" sagt der Volksmund. Nur das Bauwerk ist unvollendet. Viel spricht dafür, dass bei diesem Projekt immer der Weg das Ziel war und nicht ein funktionierendes Kongresszentrum - ein Weg des Abgreifens.

Die Suche nach dem oder den Schurken führt unweigerlich zu Kim. Er wird mit internationalem Haftbefehl gesucht, soll aber unbehelligt durch Washington spazieren. Angeblich schützt ihn ein amerikanischer Pass vor der Auslieferung. Nach GA-Informationen ist Kim aber gar nicht Amerikaner geworden, sondern Südkoreaner geblieben - und nur im Besitz einer Greencard. Fernab des einst als WCCB-Retter gepriesenen Kim bleibt mehr als fraglich, ob er "es" alleine war. Mit Dr. Ha-S. C. sitzt auch ein talentierter Rechtsanwalt weiter in U-Haft; er gilt als Architekt des Projektvertrages, der alles zwischen UNCC und Stadt Bonn regelt - und vieles nicht. Dadurch wurde einiges ermöglicht. So öffnete erst der vage Projektvertrag die sogenannte Tiefe des Raumes, wo dunkle Geschäfte besser gedeihen als im grellen Licht eines effektiven Baukosten-Controllings. Eine privatwirtschaftliche Veranstaltung mit vielen öffentlichen Millionen ohne öffentliche Kontrolle?

Für die Stadt Bonn erklärte ihr Pressesprecher Friedel Frechen vor Wochen: "Die Sparkasse KölnBonn hat kontrolliert und damit das Städtische Gebäudemanagement beauftragt." Wer heute die Stadt fragt, erntet Schweigen - und den Hinweis, dass Schweigen bei laufenden Ermittlungen das Gebot der Stunde sei. Und wer in Köln, Sitz der fusionierten Sparkasse Köln und Bonn, nachfragt, erhält den Hinweis auf das Bankgeheimnis. In illustren Runden, wie sie sich zuweilen in und um Bonn treffen, ist jedoch zu spüren, dass die Sparkasse kaum bereit ist, unbegrenzt als städtischer Schutzschild zu fungieren und die Deppenrolle zu ertragen: "Was glauben Sie denn, warum wir die Stadt durch eine Nebenabrede für jeden Kredit-Euro bürgen lassen?" Offenbar ist die Bonitäts- und Seriositätsprüfung von SMI Hyundai Corporation nicht gerade vertrauenserweckend ausgefallen. Und der von der Sparkasse vorgeschlagene externe Baurevisor sei von der Stadt abgelehnt worden.

Weniger zurückhaltend gibt sich ein anderer Interessenvertreter: "Das Projekt wurde von der Stadt leider nicht wirklich kontrolliert", sagt Zvi Tirosh. Aus dem 200 Kilometer entfernten Frankfurt am Main scheint der Rechtsanwalt der Investment-Firma Arazim einen genaueren Einblick ins WCCB-Labyrinth zu haben als die Welt zwischen Bonner Rat- und Stadthaus. Tirosh spricht von "grober Fahrlässigkeit" und davon, dass "die Stadt eigentlich am Lenkrad saß und Kim nur auf dem Beifahrersitz". Er fragt: "Wer hat die Geldströme kontrolliert? Wo sind die Gelder hingegangen? Stadt und Sparkasse haben alle Rechnungen abgezeichnet, sie hätten also alles wissen müssen."

Die Fragen aus Frankfurt über eine Bonner Großbaustelle werden im Grunde von Zypern aus gestellt, dem Sitz von Arazim. Für die Investmentfirma war der vergangene Donnerstag, der 15. Oktober, ein wichtiger Tag. Ende einer Frist. Am 5. August hatte das Bonner Landgericht im Rahmen einer Einstweiligen Verfügung entschieden: Ja, Arazim ist 94-Prozent-Gesellschafter der UNCC GmbH und damit Eigentümer des WCCB. Zumindest vorläufig. Dauerhaft möglicherweise nur, wenn die Hauptsacheklage bis zum 15. Oktober eingereicht wird. Tirosh hat das getan: "Um keine Rechtsverluste zu erleiden." Aber er gibt zu: "Die UNCC ist bei einer Insolvenz nichts mehr wert." Auch möglich: Insolvenzverwalter Christopher Seagon könnte die UNCC wiederbeleben und schon wäre die Frage, wem das WCCB gehört, wieder virulent. Für diesen Fall lässt Arazim nichts unversucht, weiter im Eigentümer-Boot zu sitzen.

Dort will auch Honua Investment Management Inc. rein. Auch eine Investmentfirma. Sie sitzt auf Hawaii, zehntausende Kilometer von Zypern entfernt. Aber im globalen Monopoly spielen Entfernungen keine Rolle. Es geht um Rechtspositionen. Honua hat immerhin 9,4 Millionen Euro für seine UNCC-Anteile gezahlt, steht im Handelsregister, während Arazim über einen Zehn-Millionen-Kredit an Kim und eine Verpfändungsklausel zur Bonner Großimmobilie kam. Vereinfacht: Kim, der weltmännische Filou, hat zweimal übertragen beziehungsweise verkauft. Erst an Arazim, später an Honua.

Das heiß umkämpfte Eigentumskapitel scheint in der öffentlichen Wahrnehmung angesichts von Verhaftungen und Insolvenzwelle zur Fußnote zu schrumpfen. Aber es geht um Millionen, und da kämpft jeder, der etwas zu verlieren hat. Tirosh kündigt eine zweistellige Millionenklage gegen die Stadt Bonn an und erwägt, gerichtlich auch gegen die Sparkasse vorzugehen. Er fragt: "Wieso kann die Sparkasse einen zusätzlichen 30-Millionen-Kredit an die UNCC GmbH bewilligen, ohne dass deren Hauptgesellschafter Arazim gefragt wurde?"

Wie konnte das Bonner Zukunftsprojekt so im juristischen und wirtschaftlichen Morast enden? Nach GA-Informationen führt eine weitere von vielen Spuren sogar bis nach Nordafrika und zum Ende des UN-Embargos gegen Libyen. Ab Ende 2004 konnte Gaddafi wieder Öl exportieren und Millionen verdienen. Diese wollte er in Infrastruktur-Projekte stecken.

Wie SMI-Rechtsanwalt Dr. Ha-S. C. dem General-Anzeiger im März 2006 erläuterte, besteht das SMI-Hyundai-Team aus Adlern, Löwen und Tigern. Die Adler rotieren um den Globus, um öffentliche Millionen-Vorhaben zu orten. Werden die Adler fündig, schickt SMI Hyundai seine Löwen, später die Tiger. Und eines Tages (und später immer öfter) landet "Löwe" Man-Ki Kim in Tripolis. Das Libyen-Projekt, von Kim parallel zum Bonner WCCB betrieben, soll viel, sehr viel Geld und Zeit verschlungen haben.