Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 07.11.2009

Die Millionenfalle, Teil 19

Mit akribischen Blicken und gespitzten Federn stiefeln acht Bauingenieure durch den Bau des World Conference Center Bonn (WCCB). Der vorläufige Insolvenzverwalter Christopher Seagon (Heidelberg) hat sie ausgesendet zum Untersuchen und Bewerten. Stockwerk für Stockwerk, Kubikmeter für Kubikmeter, insgesamt rund 90 000. Das kann dauern. Mit Sicherheit wird der Experten-Streifzug viel kosten. Irgendwann werden die Fachkräfte eine Zahl liefern, auf die Seagon wartet: Wie viele Millionen braucht es noch, um das WCCB einsatzbereit zu machen und so einen höheren Verkaufspreis zu erzielen?

Ursprünglich sollten einmal 100 Millionen "reine Baukosten" reichen, wie im Projektvertrag zwischen Stadt und Bauherr UN Congress Center GmbH (UNCC) vereinbart. Das war das Fazit von "vier voneinander unabhängigen Kostenschätzungen", so Michael Thielbeer, der "unparteiische" Investoren-Berater der Stadt. Er, bis Mittwoch noch in Haft, hat noch vieles mehr in seine Expertise geschrieben. Ein verhängnisvolles Papier, weil die Stadt es als Evangelium verstand. So kann Papier lenken. In die falsche Richtung.

Der Bau-Sachstandsbericht für Seagon wird als Abfallprodukt auch eine erste, wirkliche Baukostenkontrolle abwerfen: Was ist der unfertige Bau überhaupt wert? Rund 185 Millionen Euro, wie abgerechnet? Oder 100 Millionen, wie vereinbart? Vielleicht weniger? Wie viele Euro sind tatsächlich in Beton, Stahl, Fliesen, Böden und vieles mehr verwandelt worden? Wie ist das Verhältnis von Planungs- und Beraterhonoraren zu den reinen Baukosten? Entsprechen Gebautes und implantierte Technik heutigem Standard oder versprüht das Innere - wie das Äußere - eher den Charme der soliden 50er Jahre?

Unterdessen lassen die Teilgeständnisse von WCCB-Schlüsselfiguren des WCCB-Projekts vermuten, dass die Stadt bei der Auswahl des Investors SMI Hyundai Corporation manipuliert wurde und der auserwählte Man-Ki Kim (SMI) Vieles im Sinn hatte, nur niemals ein WCCB zu betreiben. Nun halten die Stadtoberen schon Ausschau nach dem nächsten Investor. Einer muss bei ihrer maladen Großimmobilie andocken und soll sie eines Tages in eine erlösreiche Zukunft tragen. 200 000 und mehr Kongressteilnehmer pro Jahr konnte sich SMI Hyundai in der Investor-Bewerbungsphase vorstellen, was Thielbeer 2005 für "optimistisch, aber plausibel" hielt, "insbesondere vor dem Hintergrund des Aufbaus der Handelsvertretungen und der überaus starken koreanischen Beziehungen und Vernetzungen". Das war das Blaue vom Himmel. Zur Umwegrentabilität: Thielbeer rechnete der Stadt 30 Millionen Euro Mehrumsatz pro Jahr vor - "sukzessive steigend".

Vier Jahre später hat ein Fakten-Tsunami alle Heiße-Luft-Papiere weggespült, und der Kontrast zwischen Werbung und Wirklichkeit leuchtet hässlicher denn je. Der Worst Case, der schlechteste aller Fälle, ist eingetroffen: Baustopp, Baukosten-Explosion, Insolvenz der UNCC, der Baufirma und der Betriebsgesellschaft.

Wollte man erklären, was ein Investor ist, würde der Fall WCCB kaum für eine rationale Erklärung taugen. Mit SMI Hyundai (USA) wurde ein "Investor" gekürt, der viel in Rhetorik, Präsentationen und sonstiges Blendwerk investierte, um Herr über die "fette Made" von mehr als 100 Millionen Euro öffentlicher Gelder zu werden. Als es um Dollar oder Euro ging, entpuppte der Investor sich als Bettler. Eigenkapital: Schon für die erste oder zweite Zehn-Millionen-Tranche sprang SMI-Präsident Kim einen waghalsigen Salto fernab der Banken - und landete bei Arazim auf Zypern und 60 Prozent Zinsen und Gebühren.

Wenn der rote Teppich für einen Habenichts ausgerollt wurde: Was ist dann ein Investor? Ein Anleger, der für sein Geld dicken Humus sucht, auf dem es sich vermehrt. Aktien, Anleihen, Immobilien, Fonds, Beteiligungen, Geschäftsideen. Alles kann Humus sein. Je größer das Risiko, desto höher die Chance auf eine stolze Rendite. Zuweilen verdrängen Anleger, dass investiertes Geld sich verflüchtigen kann, wenn das maximale Risiko, Kehrseite der großen Chance, eintritt. Investoren können keine Wohltäter sein. Gleichwohl erfüllen sie eine wichtige Funktion und springen ein, wenn risikoscheue Banken für Geldsuchende ausfallen.

Da Kim nach Investor Arazim mit Honua aus Hawaii noch einen zweiten zum Notar schleppte, empfanden die städtischen Projektbegleiter bald Schwindelgefühle. Das WCCB driftete in unberechenbare Gefilde, rotierte auf einem globalen Eigentums-Karussell. Bonns neuer Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch ist deshalb kaum zu beneiden. Er hat, anders als in der privaten oder gewerblichen Welt, keine Wahl: Nimptsch kann das Erbe nicht ablehnen. Er ist als Bonns oberster Politiker auch einem gewissen Optimismus verpflichtet. So kommt auch ihm "Investor" schon wieder in einer zuversichtlichen Tonlage über die Lippen. Der Begriff scheint zu elektrisieren, weil er "Lösung" suggeriert. Da gebe es sechs, sagt Nimptsch. Nach GA-Informationen sind darunter die IVG Immobilien, Marc Asbeck und die sparkassennahe Provinzial-Versicherung. Was viel und nichts heißt. Alle verbindet, dass sie rechnen können und wissen, dass sich neun von zehn Kongresszentren nicht rechnen. Wie könnte der Humus aussehen?

Zunächst sitzen ein vorläufiger Insolvenz- und ein Zwangsverwalter am Lenkrad. Sie steuern nicht zwangsläufig in die gleiche Richtung. Seagon muss an die Gläubiger denken, auch an sich selbst. Er erhält von der freien Insolvenzmasse bis 50 Millionen ein Prozent, ab 50 Millionen 0,5 Prozent. Beispiel: Seagon verkauft das WCCB für X Euro. Davon sind die "insolvenzresistenten" Grundschulden von mindestens 40 Millionen abzuziehen. Da bleibt nicht viel freie Insolvenzmasse für Seagon und die vielen unbezahlten Rechnungen. Damit es mehr wird, muss er hart verhandeln und alle UNCC-Vermögensobjekte sichern. Dazu gehört vermutlich auch ein Peanuts-Faktor - ein bisher nicht erfasstes Mercedes-Cabrio, das auf Worl mi Park, Kims Ehefrau, zugelassen ist und nach GA-Recherche verlassen in einer Tiefgarage steht. Wenn es Kim gehört, hat er zurzeit nachvollziehbar Mühe, das Auto abzuholen. Das Kennzeichen legt jedoch nahe, dass es sich um ein UNCC-Fahrzeug handelt, und das gehört nun Seagon. Ein Fall von Veruntreuung, wenn das Cabrio mit UNCC-Baugeld bezahlt worden ist?

Im Gegensatz zu Seagon denkt der vom größten Gläubiger (Sparkasse KölnBonn) beauftragte Zwangsverwalter Jörg Nerlich objektbezogen und will Winterschäden vom WCCB abwenden. Dazwischen steht die Stadt, die darum kämpft, wieder Herr im Millionen-Bauring zu werden. Das wäre endlich ein Stück Normalität auf der skurrilen WCCB-Bühne, denn wer die Zeche zahlt, hat das Sagen. Eigentlich.

Will die Stadt zurück ans Lenkrad, müsste sie - gemeinsam mit Seagon - den Humus zubereiten und den Bau für einen Preis anbieten, den ein Investor als Gelegenheit empfindet. Da drohen weitere Verluste. Gleichwohl wird sich der dann Zuschlagende als Retter feiern lassen. So sind die Spielregeln. Zu denen gehört auch, dass bis zu einer Unterschrift viel versprochen wird. Aus Thielbeers Empfehlungspapier 2005: "Bleibt es beim Businessplan, kann SMI Hyundai seine Zusage, ohne operative Zuschüsse der Stadt auszukommen, halten." Das war so ein Satz, dem man schon ein Gebet hinterher werfen musste, wollte man ihn nicht gleich in der Traumdeponie entsorgen.

Wann ist die Stadt wieder am Ruder? Wenn der Heimfall gelingt. Anlässe, das WCCB von der UNCC zurück auf die Stadt zu übertragen, gab es einige, etwa fehlendes Eigenkapital und vertragswidrige UNCC-Anteilstransfers. Doch man setzte auf "Augen zu und durch" und hoffte, dass die unselige Talfahrt von selbst stoppte. So verwirkte die Stadt den Heimfall. Nun hat Bonn sich eine neue Chance erarbeitet. Die Sparkasse kündigte die Kredite, die Stadt den Projektvertrag mit Kims UNCC, die damit in die Insolvenz schlidderte. Das war die letzte Ausfahrt zum Heimfall - und ein Befreiungsschlag, um die vom einst geliebten Kim ins Spiel gebrachten Investoren abzuschütteln. Richtung Hawaii ließ Bonn gleich die Eiszeit ausbrechen: Eine Honua-Delegation wurde, obwohl angereist, nicht mehr empfangen.

Bonn auf der Schlussetappe. Sie ist noch nicht gewonnen. Insider rechnen mit Störmanövern. Eine Auswahl. Erstens: Arazim-Anwalt Zvi Tirosh sagt: "Wir bereiten Klagen gegen Stadt und Sparkasse vor." Hintergrund: Die ausgelöste UNCC-Insolvenz enteignet quasi den Mehrheitsgesellschafter. Indes habe Arazim sich mit Honua im Eigentumsstreit geeinigt.

Zweitens: Der Insolvenzverwalter kann, muss aber nicht mit der Stadt kooperieren.

Drittens: Es rumort bei einigen alten, auf ihren Rechnungen sitzenden Firmen, weil der Zwangsverwalter offenbar Angebote bei anderen einholt. Eine neue Firma, die ein Gewerk fortsetzt, haftet jedoch nicht für die Arbeit des Vorgängers. Darunter leidet die Gewährleistung. Vereinfacht: Ein WCCB mit Garantie bringt beim Verkauf mehr als eine Baumängel-Blackbox, für die niemand haftet.

Gleichzeitig ist das große Schweigen ausgebrochen. Jeder spielt sein Blatt eng an der Brust. Was bleibt, sind plausible Annahmen - und Gerüchte. Spötter sehen das WCCB unter Seagons Regentschaft zu einer Sport-Indoor-Erlebnislandschaft mit Jugendherberge mutieren, was vielleicht wirtschaftlich attraktiver wäre. Aber eine solche Nutzungsänderung fände niemals den städtischen Segen. Realistischer ist, dass Andrew Jang (Honua) noch einmal offensiv verhandelt. Sein Unternehmen hat mindestens 28 Millionen Euro in das Projekt gesteckt. Im realisierten Heimfall wäre es komplett verloren. So könnte Jang Seagon mehr bieten als einer von Nimptschs Investoren, die eher auf ein Schnäppchen hoffen dürften. Das würde den Heimfall gefährden, weil das politisch Gewollte gesetzlich nicht möglich wäre. Oder gibt Honua auf? Und lebt mit seinem 28-Millionen-Fehlgriff.

Gerüchte "berichten", dass Seagon eine Zwangsversteigerung plant. Die Berater der Stadt werden solche und andere Schachzüge auf ihrem Schirm haben. Sie können nicht ohne Seagon und müssen in ihrem Kalkül stets dessen Interessenlage berücksichtigen. Da liegen potenziell brisante Konflikte in der Luft.

Gewiss ist nur, dass die Stadt Bonn sich das alles vor sechs Jahren anders vorgestellt hat, als der Rat die Weichen pro WCCB stellte. Vielleicht fehlte nur der Mut, selbst zu bauen. Mit Festpreis und ohne die Hyper-Visionen auf Kims endloser Fantasy-Klaviatur. Nun müssen alle warten, bis Seagons Bauingenieure die Summentaste drücken - und alle schlauer sind.

Das WCCB für Einsteiger: Was bisher geschah

Die Stadt Bonn will ihren Status als UN-Stadt ausbauen und beschließt 2003 den Bau eines Kongresszentrums über einen Investor. Es folgen Architekten-Wettbewerb, Investor-Auswahlverfahren, Projektvertrag. Partner der Stadt wird 2005/06 SMI Hyundai Corporation (Reston/USA), alleiniger Gesellschafter der UN Congress Center GmbH (Bauherr). Das gesamte Projekt inklusive eines 352-Betten-Hotels soll 139 Millionen Euro (reine Baukosten: 100 Millionen) kosten. Der Bund schenkt das Grundstück, das Land NRW gibt einen Zuschuss von rund 36 Millionen Euro, die Sparkasse KölnBonn einen über die Stadt abgesicherten Kredit von 74 Millionen, der ausgewählte Investor SMI Hyundai soll 40 Millionen Euro Eigenkapital vor Baubeginn nachweisen.

Im November 2006 erfolgt der Spatenstich, während Man-Ki Kim längst UNCC-Geschäftsführer ist. Zwei Entwicklungen bringen das WCCB in Schieflage: Einmal Kims chronische Eigenkapitalnot, zum anderen eine Steigerung der Baukosten auf bis zu 200 Millionen Euro. Kim bringt 2007 über neue Geldgeber (Arazim, Honua) vertragswidrig neue Hauptgesellschafter in die UNCC. Jeder gibt vor, 94 Prozent der Anteile zu besitzen, was einen Eigentümerstreit programmiert. Die Baukostenexplosion kann nicht plausibel erklärt werden, eine effektive Baukontrolle scheint zu fehlen.

Im September 2009 fällt das WCCB wie ein Kartenhaus in sich zusammen: Einer Verhaftungs- folgt eine Insolvenzwelle fast aller beteiligten Firmen. Nach Kim wird gefahndet. Es gibt Teilgeständnisse. Alles dreht sich um Bestechung, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und Untreue. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Sie hat jetzt auch städtische Bedienstete von der Schweigepflicht entbinden lassen.