Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 30.09.2010

Die Millionenfalle, Teil 44

Als die Staatsanwaltschaft vergangene Woche in der Bonner Stadtkämmerei "einmarschiert", wirbt Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) gerade auf der Weltausstellung EXPO im fernen Schanghai für Bonn.

Störung Nummer zwei: Tage zuvor hatte die EU Nimptschs "Hausbank", der Sparkasse KölnBonn, mehr Distanz zur Politik und vieles mehr befohlen. Nun ist der OB wieder in der Heimat gelandet, und für ihn beginnt eine neue Reise - die im Kopf. Eine Achterbahnfahrt auf dem Schachbrett in Sachen World Conference Center Bonn (WCCB).

Eben standen die Figuren noch so und so, und die eigene Taktik war darauf abgestimmt. Nun stehen die Figuren anders. Neue Stellung, neue Taktik? Oder neue Begriffe? Nimptsch überraschte Anfang Mai 2010 den Stadtrat, als er laut über den künftigen Umgang mit WCCB-involvierten städtischen Mitarbeitern nachdachte.

Er sprach beiläufig von "Sandwich-Feedback", während die Volksvertreter staunten. Der aus dem Angelsächsischen stammende Psychologie-Begriff bedeutet vereinfacht nicht mehr, als dass man bei Kritik einen Lob-Tadel-Lob-Rhythmus einhalten sollte. Zu diesem Zeitpunkt war die Schwere städtischer Fehlhandlungen, wie sie der 475-seitige WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) dokumentiert, nur den wenigsten bewusst.

Aktuell braucht es weniger "Sandwich-Feedback" als vielmehr, so Nimptschs neuer WCCB-Projektsteuerer Andreas Oliver Koch, einen "Transaktionsbegleiter", der Betrieb und Weiterbau des WCCB organisieren soll. Gleichwohl ist die Rücküberführung des Grundstücks in städtische Hände (Heimfall) alles andere als in trockenen Tüchern. OB (Käufer) und Insolvenzverwalter (Verkäufer) liegen noch einige Millionen auseinander.

Bleibt die WCCB-Zukunft weiter latent ungewiss, gilt dies erst recht für die Aufarbeitung der Vergangenheit. Das Dickicht hat sich kaum gelichtet. Ganz im Gegenteil. Es fällt zunehmend schwerer, einem Unbeteiligten - sagen wir einmal einem Österreicher auf Stippvisite in Bonn, der die Tageszeitung aufschlägt - das ganze Labyrinth der Sachverhalte zu erklären.

Seitdem im September 2009 das WCCB zwischen Insolvenz- und Verhaftungswellen in Schockstarre verfiel, ist es nie wieder aufgewacht. Der Zusammenbruch wirkt zunächst wie der Steinwurf in einen See: Sanfte Wellen breiten sich in konzentrischen Kreisen aus, die bald an Höhe verlieren und sich wieder in die ruhende Seeoberfläche einebnen. Anders in Bonn.

Die Wellen entwickeln Eigenleben und -dynamik, dringen in abgeschottene Winkel vor und spülen neue Beziehungsgeflechte an die Oberfläche. Auch der Kulturbetrieb im weitesten Sinne scheint von den bizarren Geschehnissen inspiriert: Das Angebot reicht vom Spiel "Dr. Kim auf der Flucht" über Kabarett-Bonmots bis zur Lichtinstallation "glücksFALL für bonn" im Künstlerforum Bonn.

Der Bürger liest und staunt und kann, wie der fiktive Gast aus Österreich, kaum noch folgen. Gerade hatte er die Rollen der WCCB-Hauptakteure zwischen Man-Ki Kim, Young-Ho Hong und Dr. Ha-S. C. und deren GmbH-Netzwerk halbwegs verstanden.

Jetzt wieder Razzia hier, Razzia dort. Es hört nicht auf. Neue Spuren führen zu neuen Ungereimtheiten. Die WCCB-Wellen treiben die Ermittlungen offenbar zunächst in die Breite und erst später auf den Punkt.

In dem Durcheinander steht nur die Baustillstandskosten-Uhr wie ein Fels: Rund 600 000 Euro pro Monat, macht inzwischen mindestens sieben Millionen, und man wird in einer redlichen WCCB-Schlussrechnung eines Tages auch Koch, seinen Transaktionsbegleiter und vieles mehr, etwa einen "Sandwich-Feedback"-Experten, einbeziehen müssen.

Zudem naht jetzt der zweite Winter mit hohen Kosten und ohne Baufortschritt. Längst sind auch einige der 16 Stadtwerke-Stockwerke unter dem letzten Razzia-Ziel, der Stadtkämmerei, verunsichert. Da sind fehlende Abrechnungen im Haus der Literatur über einen städtischen Zuschuss von 200 000 Euro pro Jahr oder an allen Gremien vorbei lancierte Großprojekte das Letzte, was man gerade gebrauchen kann.

Verständlich, dass die Verwaltung sich nach Normalität sehnt. Gleichwohl fehlt das reinigende Gewitter, das der Sehnsucht Bahn bricht. Dass der SPD-OB aufklärende Blitze und Donnerschläge auslöst, glaubt indes niemand mehr. Vielmehr entwickeln Stadt- und Rathaus sich zu Bollwerken der Unschuldsvermutung.

Als gäbe es nicht schon genug Ungemach, bläst auch noch Brüssel stürmischen Wind an den Rhein. Nimptsch ist Bonns oberster Vertreter des 30-Prozent-Besitzes an der Sparkasse KölnBonn, die ins Visier unberechenbarer Mächte wie der EU-Taskforce "Finanzkrise" oder BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) geraten ist.

Die EU verlangt von der Sparkasse, endlich mal wie eine normale Bank zu agieren und selbst gegenüber ihren Besitzern, Köln und Bonn, keine Gefälligkeitsgeschäfte mehr zu dulden. Die Beziehungen der Stadt zu ihrer "Hausbank" sind damit ein Stück komplizierter geworden, insbesondere hinsichtlich des Dauerpatienten WCCB.

So darf die Sparkasse auch keine Großprojekte mehr allein finanzieren. In dieser Verbotszone liegen auch die geschätzten 100 Millionen Euro WCCB-Fertigstellungskosten. Der städtische Haushalt hat zudem außer Rechtsberatungskosten jede andere WCCB-Belastung in die Zukunft verschoben. Konkret: Bonn steht über zwei WCCB-Nebenabreden (Bürgschaften) mit rund 104 Millionen Euro bei der Sparkasse in der Kreide.

Diese führt den Kredit als sichere Angelegenheit in ihren Büchern. Das könnte sich ändern. Denn - jeder ist sich selbst der Nächste - die Stadt plant, aus 104 eine Null zu machen. Man versucht nachzuweisen, dass die Bürgschaft eine unerlaubte EU-Beihilfe ist.

Wer seine Meinung durchsetzen oder mit einer wissenschaftlichen Expertise zu mehr "Objektivität" verhelfen möchte, beauftragt einen Gutachter. In Deutschland gelten solcherlei Sachverständigenschriften schon lange nicht mehr als unstrittiges Instrument zur Wahrheitsfindung. Sie haben an Glaubwürdigkeit verloren. Meist gibt es nicht nur eine Meinung.

Daraus folgt: viele Meinungen, viele Gutachten. Der Volksmund hat diesen Zwiespalt bereimt: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing." Auch die jüngsten Gutachten über die Berliner S-Bahn, Atommeiler-Laufzeiten oder die Duisburger Loveparade haben den Hauch "bestellter Wahrheiten" eher bestätigt als vertrieben.

Der für die Stadt Bonn gutachternde Rechtsgelehrte holt ausgerechnet die EU jetzt wieder ins WCCB-Boot, während man noch zuvor die Brüsseler Aufpasser in der Causa Sparkasse am liebsten auf Distanz gehalten hat. Genauer: Es handelt sich um den "Verdacht des begründeten Beihilfetatbestandes nach Art. 107 Abs. 1 AEUV (ex Art. 87 Abs. 1 EG)".

Der Gutachter hatte bereits Ende 2005 ein Nebenabrede-Gutachten für die Stadt verfasst, wonach gerade der zitierte Verdacht nicht bestand. Nun möchte die Stadt, dass sich das Rad wieder in die andere Richtung dreht, weil ihr das in mancher Hinsicht besser passt.

Im Kern geht es um eine alte WCCB-Kernfrage: Wer hat wann was gewusst? Der Gutachter schreibt jetzt zum Beispiel, dass man nicht davon ausgehen könne, "dass die nun insbesondere durch den RPA-Bericht zum WCCB 2010 (S. 291f) belegten existenzgefährdenden Kapitalbeschaffungsschwierigkeiten und andere Krisensymptome bei UNCC (Bauherrn-GmbH von Investor Man-Ki Kim/Anm. d. Red.) von Vertretern der Bundesstadt Bonn vor Abschluss der Nebenabrede 2007 ex ante erkannt wurden bzw. aus dem Erkenntnis- und Erfahrungshorizont der städtischen Vertreter erkennbar gewesen wären".

Im Klartext: Die für die Stadt handelnden Personen konnten zum Zeitpunkt der ersten Nebenabrede (Bürgschaft) nicht wissen, dass Kim ein Investor ohne Geld war. Tatsächlich belegt der RPA-Bericht aber gerade das detailliert. Schon Ende 2005 beginnt Kims Versteckspiel um das fehlende Eigenkapital (vgl. Millionenfalle 35).

Ende 2006 spitzt sich die Lage zu. Kims Taktik des Vertröstens und Hinhaltens setzt sein Anwalt Dr. Ha-S. C. fantasiereich um: Am 13. Dezember 2006 hat Kim "für 6 Projekte 500 Mio. von einer Bank in den USA erhalten". Eine erste Rate sei unterwegs. Bereits am 28. Dezember 2006 verliert der städtische Projektbeauftragte Arno Hübner seine Geduld. Er schlägt einen schärferen Ton an.

Dr. Ha-S. C. reagiert mit Chuzpe. Sinngemäß: Dann zahlt Kims "Konzern" das eben selbst - ohne Sparkasse. Bald nennt Dr. Ha-S. C. die First Mutual Credit Corporation aus Neuseeland als Hoffnungsträger. Kredit über 500 Millionen Dollar, kein Problem. Die Sparkasse hält das alles "für wenig seriös" und rät der Stadt "zu äußerster Vorsicht".

Am 9. Februar 2007 berichtet Dr. Ha-S. C. von einer Bürgschaft aus Indonesien. Alle angeblichen Bankofferten enden schließlich als leere Versprechen. Waren alle städtischen Antennen wirklich eingeschaltet? Es braucht keinen Propheten, um zu erahnen, wo das Spielchen um die wissenschaftlich gestützte Meinungshoheit endet - bei einem Gegengutachten der Sparkasse.

Davon abgesehen: Sollte die Stadt Bonn wider Erwarten die Sparkasse auf dem 104-Millionen-Kredit sitzen lassen können, ergäben sich pikante Nebenwirkungen. Dann müsste wahrscheinlich wieder der Sparkassen-Zweckverband der wirtschaftlich arg angeschlagenen Sparkasse einspringen und zwar die Kommunen Köln und Bonn im Verhältnis 70 zu 30.

Mit diesem Schachzug würden die Bonner letztlich die Kölner mit vielen Millionen am WCCB-Debakel beteiligen. Kenntnisreiche Betrachter der Fusion zwischen der armen Sparkasse Köln und der reichen aus Bonn mögen darin - wie du mir, so ich dir - ein verständliches Revanchefoul sehen, aber die gut nachbarlichen Beziehungen wären erst mal im Eimer.

Sollte das bizarre Tauziehen um den EU-Beihilfe-Paragrafen tatsächlich so ausgehen, würde das nicht nur Bonns Haushalt entlasten, sondern auch einige städtische Bedienstete. Sie könnten dann zwar immer noch nicht vor der Staatsanwaltschaft frei durchatmen, aber sagen: Wir haben von Kims Kapitalschwäche nichts geahnt und schon gar nichts gewusst. Uff, der Gutachter hat gesprochen. Der "Zwei-Fliegen-mit-einer-Klappe"-Schachzug ist jedoch noch nicht Wirklichkeit, sondern erst mal eben nur Taktik.