Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 08.12.2010

Die Millionenfalle, Teil 48

Wenn Otto Normalbürger unbedingt etwas haben will und es sich leisten kann, dann kauft er es. Hat er das Geld dazu nicht und kauft es trotzdem, landet er irgendwann in der Privatinsolvenz.

So ist es im normalen Leben. Bund, Länder und Städte können anders wirtschaften. Das neue Haushaltsrecht für Kommunen erlaubt bilanzielle Kosmetik, wie sie Firmen nicht gestattet ist. So kann eine Stadt ihre Werte, die am Markt kaum etwas wert sind, als Eigenkapital in die Bilanz stellen und in dieser Höhe beleihen, also Schulden machen.

Solcherlei werthaltige Güter können Ampelanlagen sein, aber auch Klärwerke. So erreichen die Zahlen mancher Kommune das Gütesiegel "fiktiv ausgeglichener Haushalt". Erst wenn alle Bilanztricks nicht mehr helfen, verliert eine Stadt die Herrschaft über die eigene Kasse, landet im Nothaushalt und beim Regierungspräsidenten, dem dann neuen Chef hinter den Kulissen.

Es gibt in Deutschland Bürgermeister, die sind - im vertraulichen Gespräch - gar nicht so unglücklich, wenn ein anderer die unangenehmen Entscheidungen trifft. Die nervigen Debatten mit Bürgern und der Opposition über das, was man sich noch leisten kann, entfallen. Freiwillige Leistung - gestrichen! Sport, Kultur, Soziales. Das unbeschwerte Bürgerleben inmitten bezuschusster Aktivitäten kann jäh enden.

In Bonn fangen die Diskussionen für Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) zwischen Chorraum- und Sportstättennutzungsgebühr gerade erst an, aber wahrscheinlich durchziehen sie nicht seine gesamte Amtsperiode. Denn die über 200 Seiten nebst Anlagen seiner Berater deuten an, dass der Skandalbau World Conference Center Bonn (WCCB) haushälterisch ein Mühlstein wird, der alle und alles runterzieht. Das Ziel aber ließe sich mit vielen Blessuren erreichen: das Alleinstellungsmerkmal "UN-Stadt" in Deutschland.

Nun sollen die 80 Bonner Volksvertreter im Stadtrat alles lesen, verstehen und sich eine qualifizierte Meinung bilden. Mancher Politiker möchte jedoch wissen: Was kostet uns das WCCB eigentlich? Diese Zahl sucht er auf den vielen Seiten vergeblich, noch nicht einmal eine Von-bis-Spanne ist zu finden, weil alle Zahlenkolonnen nur um die Aufrechterhaltung eines "fiktiv ausgeglichenen Haushalts" kreisen und in vier Varianten aufzeigen, wie das WCCB den Haushalt von 2011 bis 2017 jährlich belasten könnte.

Wer alles selbst addiert und es für normal hält, dass ein Darlehen auch Zins und Tilgung verursacht, landet bei mindestens 300 Millionen Euro für ein Projekt, das dem Rat vor fünf Jahren als Null-Euro-Projekt verkauft worden war. Die Stadt profitiert zwar von günstigen Kommunalkrediten, aber auf die Flaute an der Zinsfront ist kein Verlass: Ein Prozent mehr bedeutet gleich Millionen mehr.

Die Beschlussvorlage ist ein Drahtseilakt. Einerseits malt sie den Teufel an die Wand, wenn das WCCB nicht zügig verwirklicht wird; andererseits sorgt sie vor für den Tag des bösen Erwachens, an dem ein Ratsmitglied fragen könnte: Warum hat man uns das alles nicht damals gesagt? So listet das Papier durchaus alle Risiken verklausuliert auf und erklärt, warum konkrete Zahlen fehlen: Das Finanzamt ist unberechenbar und das Verhalten einiger Akteure auf dem WCCB-Schachbrett ebenso.

Gewiss war nur die Vorgabe von OB Nimptsch an seine vielen Berater: Für die Zukunft des WCCB, heute einer der kompliziertesten Insolvenzfälle Deutschlands, eine Lösung zu finden "unter der Prämisse, dass die Stadt Bonn der Sicherung und dem Ausbau des UN-Standorts höchste Priorität einräumt und schnellstmöglich den Fertigbau des Kongresszentrums sicherstellen möchte (...)". Alle anderen Alternativen scheiden damit aus, weil die Stadt um jeden Preis zügig in den WCCB-Sattel will.

Doch seit gestern steht fest: Der Tag der Entscheidung, einer der wichtigsten in Bonns Nachkriegsgeschichte, wird auf den 20. Januar 2011 verschoben - ein Tag, auf den sich kein Ratsherr freuen kann. Erst wurde der Rat, wie es der WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes belegt, in den letzten Jahren betrogen, nun soll er zwischen Pest und Cholera entscheiden.

Die Pest (kontra Heimfall): "In jedem Fall wäre dies gleichbedeutend mit dem ersten Schritt zum Verlust der bundespolitischen Bedeutung Bonns." Die Cholera (wenn er der "kommunalgesteuerten Lösung" zustimmt): "Jedoch sind die Risiken auf eine vorläufige Haushaltsführung (Nothaushalt) deutlich erkennbar." Es geht um die Gestaltungshoheit: Beim WCCB gewinnt man sie zurück, vor Ort wird man sie nach Adam Riese verlieren.

Nach 13 Monaten Baustillstand ist der komplette Heimfall, die Rückübertragung von Grundstück samt Aufbauten an die Stadt, die teuerste Zukunftsoption. Das war früh (siehe Millionenfalle 37) absehbar. Nicht nur die ungeklärten Effekte zwischen Grunderwerbs-, Mehrwert- und Kapitalertragssteuer verursachen Bauchschmerzen, auch die Gewährleistung. Ein künftiger Hotelinvestor wird eine Baugarantie fordern, aber nun droht eine EU-weite Ausschreibung, und die Stadt muss die günstigsten Anbieter nehmen, nicht zwangsläufig jene Handwerker, die mittendrin durch die Insolvenz gestoppt wurden. Alte Handwerker, neue Handwerker: Wer haftet dann für was? Und wer besitzt eigentlich die Baupläne?

In der öffentlichen Wahrnehmung wird übersehen, dass Insolvenzverwalter Christopher Seagon vier Hüte trägt. In Sachen Heimfall geht es ausschließlich um die Insolvenz des Bauherrn UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC). Dazu die beiden zahlungsunfähigen WCCB-Betriebsgesellschaften. Die Baupläne liegen aber bei Insolvenz Nr. vier, der Baufirma SMI Hyundai Europe GmbH von Young-Ho Hong.

Es geistern dafür verschiedene Preise zwischen 8,5 und 16,4 Millionen durch den nicht-öffentlichen Raum. Mit einem Pro-Votum des Rats kann Bonn ohne Baupläne nicht fertig bauen. Aber ein Baupläne-Preis kommt in dem Heimfall-Papier mit keiner Silbe vor. Er hätte dort auch nichts zu suchen. Aber ein Ratsherr möchte den WCCB-Endbetrag sehen, bevor er seinen Arm für oder gegen etwas hebt: den schlimmsten Fall in Zahlen, übersichtlich und verständlich.

Heute rächt sich, dass das bisherige WCCB fast nur mit Steuerzahler-Millionen in der privaten Hülle eines Möchtegern-Investors gebaut wurde. So "unnormal" eine Kommune wirtschaften darf, mit dieser Konstruktion hat sie einen Ausflug in die Welt "normaler" Gesetze gemacht. Glatteis für die Stadt, denn Gesetze regeln bei einer zahlungsunfähigen GmbH den Gang der Dinge.

Deshalb wurde auch ein Insolvenzverwalter der neue Partner der Stadt und gab es ein monatelanges Tauziehen. Bonn muss jemandem etwas abkaufen, was es zuvor bereits per Bürgschaft "bezahlt" hat. Deshalb fühlt es sich so ungerecht an. Aber dass alles schief und sogar ins Unvorstellbare läuft, dafür hat die Stadt in Teilen selbst gesorgt.

Das Skurrile entblättert sich vielfältig: Die Stadt muss nochmal rund 100 Millionen in den Fertigbau investieren, weiß aber heute schon, dass das Investment sich nicht lohnt. Der Erlös aus einem möglichen Hotelverkauf wird ein Millionendefizit bescheren. Würde ein Unternehmen - im normalen Leben - so agieren, bekäme es vom Finanzamt die Quittung: Die fällige Abschreibung würde nicht anerkannt und die Investition als "Liebhaberei" oder "Hobby" eingestuft.

Gleichzeitig versucht die Stadt, Ballast abzuwerfen. Die Bürgschaft für die Sparkasse KölnBonn wiegt schwer - 104,3 Millionen Euro. Rette sich, wer kann. Wenn Brüssel mitspielt und die Bürgschaft als nicht konform mit EU-Beihilfe-Paragrafen einstuft, wäre das ein Befreiungsschlag. Der Versuch, Schulden in Luft aufzulösen, heißt "Notifizierungsverfahren": EU entscheidet, Sparkasse und Stadt akzeptieren.

Darauf haben sich beide geeinigt. Natürlich lassen sich Schulden nicht verflüchtigen. Zwar hätte die Stadt dann 104 Millionen weniger am Hals, aber die wirtschaftlich ohnehin angeschlagene Sparkasse bliebe darauf sitzen. Da sie den Städten Köln (zu 70 Prozent) und Bonn (zu 30 Prozent) gehört und diese im Notfall Kapital nachschießen müssen, könnte Bonn mit 30 Prozent von 104 Millionen glimpflich davon kommen.

Die Beschlussvorlage sieht es noch rosiger: "(...) so ist zum jetzigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass eine anderweitige Inanspruchnahme der Stadt Bonn über den Zweckverband der Sparkasse KölnBonn nicht erforderlich würde." Die zweitgrößte deutsche Sparkasse glaube nach eigener Darstellung "auch einen etwaigen Ausfall der Forderung mit eigenen Mitteln bilanziell darstellen zu können". Die 104-Millionen-Bürgschaft der Stadt würde somit sozialisiert. Die Zeche zahlen dann die Kunden.

Ob Brüssel in zwei Jahren tatsächlich so entscheidet und die Sparkasse dann, also zu einem späteren Zeitpunkt, den Stressfall (Ausfall eines 104-Millionen-Kredits) so locker wegsteckt wie erhofft, ist indes höchst ungewiss. Zumindest spenden diese Unwägbarkeiten etwas Hoffnung und hellen das schaurige WCCB-Gemälde mit einigen fröhlichen Farbtupfern auf - Farbtupfern, die sich als Seifenblasen entpuppen können. In jedem Fall gewinnt die Politik auf diese Weise etwas Zeit und verlagert mögliche Millionen-Donnerschläge in die nächsten 24 Monate.

Die millionenschweren Risiken der Stadt Bonn beim WCCB-Heimfall

Finanzamt Grunderwerbssteuer, Umsatzsteuer, Ertrags- und Kapitalertragssteuer, Übernahme aller steuerlichen Risiken beim Insolvenzverwalter. Arazim Der Investor steht noch mit 13,3 Millionen Euro im Grundbuch und könnte gegen die Projektvertragskündigung klagen. Risiko: Zeitverzögerung. Abriss am Neubau Baumängel, Schäden durch extrem langen Baustillstand, Rückbau: Diese Kosten lassen sich heute noch nicht einmal abschätzen. Baupläne Selbst nach erfolgtem Heimfall hat die Stadt Bonn dann noch keine Pläne. Der Insolvenzverwalter verlangt dafür 15 Millionen Euro extra. Rest-Baukosten Was ist der errichtete WCCB-Bau wert? Ohnen einen zuverlässigen Bautenfeststandsbericht lassen sich die Rest-Baukosten nicht abschätzen. EU-Prüfung Sparkasse und Stadt lassen in Brüssel prüfen, ob die städtische Bürgschaft (104,3 Millionen Euro) eine unerlaubte Beihilfe für die Sparkasse darstellt.

Ausschreibung

Als neuer WCCB-Bauherr muss die Stadt EU-weit ausschreiben. Risiken: Zeitverlust, Gewährleistungsproblem (Verlust der Altfirmen), Kosten. WCCB-Kosten: Die ungünstigste Variante (geschätzt, in Mio. Euro) * inkl. nicht absetzbare Mwst ** mindestens bei 1,8% Zinsen *** ohne Baupläne-Erwerb, Baustillstandsschäden, steuerliche Restrisiken, Schadensersatzansprüche