Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 14.12.2010

Die Millionenfalle, Teil 49

In weniger als 60 Stunden sollte Bonn in Sachen World Conference Center Bonn (WCCB) durchatmen und eine Perspektive für das Skandalprojekt zu einem halbwegs verlässlichen Preis haben.

Doch ein Ja des Stadtrats zum Heimfall-Szenario wird es am Donnerstagabend nicht geben. Die von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) und Rathaus-Beratern vorgelegten 200 Seiten (inklusive Anlagen) taugen kaum dazu, um einem Feierabend-Politiker die millionenschweren Tretminen, versteckt in vagen Risiko-Formulierungen, zu erklären. Ihn interessiert konkret: Was kostet - im ungünstigsten Fall - der Heimfall, die Rückübertragung des WCCB-Grundstücks samt Aufbauten?

Gleichzeitig befeuert das Rathaus Medien und Bürger mit Meldungen, wonach im günstigsten Fall die "Investitionssumme" weniger als 100 Millionen Euro betragen kann. "Investitionssumme" meint ohne Zinsen. Und "günstigster Fall" bedeutet: Brüssel könnte die bestehende 104,3-Millionen-Bürgschaft als unerlaubte Beihilfe definieren und damit für die Stadt verflüchtigen.

"Unter 100 Millionen" ist mehr als unwahrscheinlich, gerade beim WCCB, wo stets der ungünstigste Fall für die Stadt eintrat. Man könnte solcherlei Informationspolitik auch anders nennen, wie es etwa Ökonomie-Professor Bent Flybjerg formulierte. Der an der Universität Oxford lehrende Däne hat 258 öffentliche Megaprojekte analysiert, von denen neun von zehn schiefgelaufen sind. An der Quelle von allem, wenn der Segen von den Volksvertretern eingefordert wird, hat Flybjerg eine "Kultur der Fehlinformation" ausgemacht.

Das Hauptpapier (ohne Anlagen) der Stadt schafft es, auf 36 Seiten eines der Risiken im Heimfall-Szenario nicht beim Namen zu nennen. Es kommt als sprachliche Verrenkung daher: "Risiko Auseinandersetzung mit weiterem Grundschuldgläubiger." Der Heimfall könne "möglicherweise angegriffen" werden. Das Risiko in sechs Buchstaben heißt Arazim.

Genauer: Arazim Cyprus Ltd., eine israelisch-holländische Investment-Gesellschaft mit Sitz auf Zypern. Wie so oft beim WCCB muss die Vergangenheit bemühen, wer das Heute verstehen will. Die erklärt auch, warum etwas umschrieben und der Name "Arazim" nicht ausgeschrieben wird.

Es ist sicherlich nicht falsch zu behaupten, dass Zvi Tirosh, Anwalt von Arazim, einer der wenigen Partner von WCCB-"Investor" Man-Ki Kim war, der dem Südkoreaner von Anfang an nicht blauäugig begegnete: Ein Investor ohne Geld und Chance, bei irgendeiner Bank einen Kredit zu erhalten - außer mit städtischer Bürgschaft bei der Sparkasse KölnBonn.

Als Kim Anfang 2007 bei Tirosh vorbettelt, braucht er händeringend 10 Millionen Euro, um in Bonn wenigstens etwas vorzuweisen. Aber was bringt ein Zinssatz von 60 Prozent, wenn Kim sich mit den Millionen aus dem Staub machen würde? Also verlangt Arazim Sicherheiten - Sicherheiten, die mitursächlich dafür sind, dass in Bonn aus Baustillstand nicht -fortschritt wird und die Verhandlungen zwischen Stadt und Insolvenzverwalter sich so lange hinziehen.

Arazim steht weiter im Grundbuch, zwar nur auf dem dritten Rang, aber trotzdem allen im Weg. Erfolgt der Heimfall, ohne dass die Grundschuld gelöscht ist, bleibt das Risiko nur Risiko; es passiert nichts. Die Stadt könnte losbauen. Problem: Ein fertiges WCCB macht die Grundschuld werthaltiger, was Arazim eher freut. Spätestens, wenn die Stadt aber das Hotel verkaufen will, rächt sich der 28. August 2007 - der Tag, an dem Kim die Eintragung der Arazim-Grundschuld genehmigte.

Welcher Investor steigt ein mit der "Mine Arazim" im Grundbuch? Alternative: Die Stadt beantragt nach dem Heimfall die Löschung der Grundschuld. Dann würde "es" sofort passieren, was keiner gebrauchen kann: eine Arazim-Klage und ein Prozess von ungewisser Dauer. Es ist kein Geheimnis, dass UNCC-Hauptgesellschafter Arazim die Kündigung des Projektvertrags durch die Stadt als rechtswidrig betrachtet.

Nun steckt mehr die Stadt als der Insolvenzverwalter in der Zwickmühle, und nur Zweckoptimisten würden der Stadt in einem Prozess durchweg gute Aussichten bescheinigen. Eigentlich müssten alle aus dem Sommer 2009 und seiner Vorgeschichte gelernt haben, als städtische Pressemeldungen bereits Honua als neuen Investor feierten, aber das Landgericht Bonn am 5. August 2009 vorläufig urteilte: Arazim (Zypern) gehören 94 Prozent der UNCC und damit des WCCB und somit nicht Honua (Hawaii). Da wurde das WCCB-Tohuwabohu erstmals öffentlich wahrgenommen, und die Medien fragten: "Das WCCB in Geiselhaft der Heuschrecken?"

Der Spruch "vor Gericht ist es wie auf hoher See" mag zutreffen, aber der Sachverhalt war - bei aller Komplexität - schlicht: Erst hat Kim die UNCC-Anteile verpfändet, dann nochmals verkauft. Da Honua etwas erwarb, was Kim gar nicht mehr gehörte, überraschte die Entscheidung nicht. Nun verklagt Honua Kim in den USA (siehe Millionenfalle 46).

Während die Stadt sich zunächst überrascht zeigte, dass eine Firma Arazim etwas mit dem WCCB zu tun haben könnte, berichten die Akten das Gegenteil. Nach GA-Informationen hat der ehemalige städtische Projektbeauftragte Arno Hübner schon kurz nach Weihnachten 2008 Kontakt zu Arazim aufgenommen. Sein Anliegen: Er wollte die UNCC-Anteile zurück haben.

Vergeblich. Die Stadt hätte kaufen müssen. In seiner Stellungnahme vom 20. Mai 2010 zum WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) schreibt Hübner über seine Reise nach Seoul zu den Geldgebern von Investor Honua: "Den Versicherungen in Korea war auch das Problem Arazim bekannt." Aber: Die Stadt wollte, ungeachtet der aktuellen Rechts- und Gefechtslage, lieber Honua, auch nach dem Landgerichtsvotum. Deshalb wird das ungeliebte Arazim in städtischen Papieren bis heute am liebsten totgeschwiegen.

Nach der Kommunalwahl Ende August 2009 lebt die Stadt ihre verhängnisvolle Neigung, gefühltes Recht mit harter Rechtsposition zu verwechseln, weiter. OB Nimptsch sagt in der denkwürdigen Ratssitzung am 27. Mai 2010: "Wir haben in diesem Projekt nicht nur Freunde." Es werden Feinde ausgemacht: "Man kann alles vom Insolvenzverwalter haben, wenn man genug Geld auf den Tisch legt."

Über Arazim, ohne den Namen auszusprechen: Da habe jemand einen Zehn-Millionen-Kredit mit Wucherzinsen zurückerhalten und - sinngemäß - den Hals immer noch nicht voll. Auch "unsere Sparkasse" sagt Nimptsch vieldeutig. Solcherlei OB-Äußerungen wirken, denn auch rationale Verhandlungspartner sind keine gefühlsneutralen Wesen.

So sehr man die OB-Empörung nachvollziehen kann: Ein Insolvenzverwalter ist gesetzlich verpflichtet, das Maximale für die Gläubiger herausholen - und nicht Stadtinteressen zu berücksichtigen. Von einer Investmentfirma "Schwamm drüber" zu erwarten, ist unrealistisch. Und schon damals war die Sparkasse im Visier strenger EU-Wächter. Sie darf nun keiner Kungelofferte der Politik, was Jahrzehnte offiziell "Wirtschaftsförderung" hieß, mehr folgen. Die Ansage aus Brüssel ist unmissverständlich: Eine Sparkasse hat sich wie eine normale Bank zu verhalten.

Heute, rund 14 Monate nach dem Crash auf der WCCB-Baustelle, regiert die große Ernüchterung. Ein allgemeiner Tipp für Politiker stammt von der Uni Hamburg: "Wer keine Kröten schluckt, ist weg", sagt Thomas Kliche, Politik-Psychologe. Arazim wird im Rathaus von Anfang an als solche empfunden. Aber wer eine kleine Kröte hartnäckig ignoriert, erntet bald eine dicke. Es ist, wie es immer war: Im Dschungel rechtlicher Abhängigkeiten und juristischer Unwägbarkeiten hilft nur die herkömmliche Machete, um Prozessrisiken zu vermeiden: Geld.

Also muss die Stadt - mit der Faust in der Tasche - vermutlich nochmal Millionen an Arazim zahlen, damit die Firma klaglos Schachbrett und Grundbuch verlässt. Nur so kann Bonn "sein" WCCB ohne bizarre Restrisiken vollenden.

Dabei ist der Stadtrat nicht nur in einer Pest-oder-Cholera-Situation (siehe Millionenfalle 48) zwischen teurem Heimfall oder Nothaushalt. Verweigert er im Hinblick auf den Erhalt des sozialen Friedens und kulturellen Lebens in der Stadt weitere Millionen für das WCCB, droht Bonn mit leeren Händen dazustehen.

Die Stadt müsste ohne Heimfall dann möglicherweise Bund- und Landeszuschüsse zurückzahlen, dazu wahrscheinlich die 104,3-Millionen-Bürgschaft. Zwar könnte Bonn den Insolvenzverwalter umgehen, indem es sich an einer Zwangsversteigerung beteiligt. Jedoch mit ungewissem Ausgang. Möglicherweise besäße sie dann gar nichts - und zahlen, Millionen, muss sie sowieso. So bleiben dem Rat nur Korrekturwünsche, etwa den, sich mehr Risiken mit Insolvenzverwalter Seagon zu teilen und nicht alles auf die Stadt abzuwälzen.

Alles nur fromme Wünsche? Jedenfalls haben sich die städtischen Verhandlungsoptionen seit Herbst 2009 radikal verringert, woran unbedachte Politiker nicht ganz schuldlos sind. Mit markigen Worten und ohne Detailkenntnis sicherten sie sich kurzfristige Aufmerksamkeit vor TV-Kameras oder in Schlagzeilen.

Ob Außenminister Guido Westerwelle (FDP), Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) oder OB Nimptsch (SPD): Indem sie wortreich und öffentlich betonten, wie unverzichtbar das WCCB für die Vereinten Nationen, Deutschland oder Bonn sei, machten sie der Stadt ein Danaer-Geschenk - eines, das sich für seinen Empfänger als unheilvoll erweist.

So stärkten sie die Verhandlungsposition des Insolvenzverwalters, der als "Teppichvorleger" startete, wie professionelle Beobachter meinen, und als "fliegender Orient-Teppich" landete. Mit jedem WCCB-UN-Unterstützungssatz aus Bundespolitikermund wuchs das Selbstbewusstsein. Ob die zusätzlich vom Bund spendierten 14 Millionen die Nachteile wettmachen?

Anlage vier erhellt den Verlauf des Verhandlungsstreits, jedoch nur aus Sicht der Stadt. Danach hat Seagon seine Forderung für eine Heimfallvergütung "nachträglich schrittweise auf 8,5 Millionen Euro erhöht", nachdem er bei vier Millionen gestartet sei. Seagons Standpunkt in der Anlage: "Vielmehr bestehe »das Paket« nahezu unverändert von Anfang an." Hier taucht auch Arazim "ausgeschrieben" auf. Es heißt, Seagon habe die Verhandlungen mit dem ungeliebten Partner "aufgrund der hohen Forderung von Arazim ergebnislos" abgebrochen.

In keinem Fall haben Nimptsch oder Seagon das letzte Wort. Der OB braucht das Ja des Rates und Seagon den Segen der UNCC-Gläubiger. Zudem lassen Hinweise und Beobachtungen der GA-Rechercheure vermuten, dass hinter den Kulissen plötzlich starke Winde wehen. Offenbar beginnt jetzt eine Art vorweihnachtliches "Krötenschlucken". Sicher nicht zum Nachteil von Arazim und kaum zum Vorteil der Stadtkasse.

Unterschätzt: Der WCCB-Faktor Arazim

Als WCCB-"Investor" Man-Ki Kim von SMI Hyundai Corporation sich rund 10 Millionen Euro von der Investmentfirma Arazim Cyprus Ltd. (Zypern) leiht, muss er Sicherheiten geben. Für den Fall, dass Kim den Kredit mit 60 Prozent Zinsen und Gebühren nicht pünktlich (innerhalb von sechs Monaten) zurückzahlt, wandern 94 Prozent der WCCB-Anteile des Bauherrn UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC) an Arazim.

Ferner erfüllt Kim die Forderung Arazims nach einem Eintrag im Grundbuch in Höhe von 13,3 Millionen Euro. Das entspricht in etwa dem Darlehensbetrag nebst Zinsen und Gebühren, die Arazim sich per Zwangsvollstreckung zurückholte.

Bei der Grundschuldeintragung übersieht Kim eine "Kleinigkeit": Name von Darlehensgeber (Arazim Cyprus Ltd.) und Grundschuldinhaber (Arazim B.V.) sind nicht identisch. Das hat Folgen: Wenn das Darlehen zurückbezahlt ist, besteht kein Anlass, die Grundschuld zu löschen. Sie steht dort bis heute.