Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 05.01.2011

Die Millionenfalle, Teil 52

Martin Luther hat einmal eine Bibelstelle so übersetzt: "Du wägest dein Gold und Silber ein; warum wägest Du nicht auch Deine Worte auf der Goldwaage?" Später gelangte die Wendung abgewandelt in die Umgangssprache: Nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.

Das bedeutet: Kräftige, verletzende Worte, in emotionaler Wallung ausgesprochen, sollte man nicht ernst nehmen. Das gilt auch für Worte in überschwänglicher Stimmung, etwa für die inflationäre Rede vom "Glücksfall". Der neue Bundespräsident, der neue Trainer, der neue Talkmaster, der neue Linksaußen - alles Glücksfälle. Doch es braucht nur ein paar Fehltritte - und schon hat sich mancher "Glücksfall" in Schall und Rauch verflüchtigt.

Die SPD Bonn meldete, als die ehemalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann nicht mehr kandidieren wollte: "Sie ist ein Glücksfall für unsere Stadt." Dieckmann pries wiederum beim Spatenstich zum World Conference Center Bonn (WCCB) "Investor" Dr. Man-Ki Kim von SMI Hyundai Corporation als "Glücksfall für Bonn."

Am Dienstag ist Kim in Frankfurt gelandet. Der "Glücksfall" kehrt in Handschellen heim. Der vorläufige Abschluss eines langwierigen Auslieferungsverfahrens. Der Südkoreaner mit US-Greencard hat selbst eingewilligt. Das gab nach GA-Informationen den Ausschlag. Über die Hintergründe wuchern wilde Spekulationen.

Fakt ist: In den USA wartet auf Kim ebenfalls ein WCCB-Prozess. Honua (siehe Millionenfalle 46) hat ihn verklagt. Da geht es, wie immer bei Kim, um Millionen. Vielleicht erschienen ihm auch nur deutsche Haftbedingungen einladender als amerikanische. Oder Kim glaubt, weil er "vollumfänglich aussagen" will, bald Deutschland wieder verlassen zu können.

Nach GA-Informationen kann Kim auch in Australien nicht landen und einfach ins nächste Hotel fahren. Dort soll er eine Firma ausgesaugt und bald danach ein Haus in den USA bar bezahlt haben. Vielleicht heißt Dr. Man-Ki Kim auch nur Man-Ki Kim? Titel sind ihm aus "Marketinggründen" wichtig. Das hatte bereits das Landgericht Bonn im August 2009 schriftlich festgehalten.

Jedenfalls gelangten insgesamt 129 Steuerzahler-Millionen aus NRW und Bonn in Kims Hände, und das langte nicht, um das WCCB bis zur Schlüsselübergabe zu bauen, obwohl laut Projektvertrag schon 100 Millionen reichen sollten. Nun braucht Bonn noch einmal 100 Millionen Euro. Mindestens.

Als der Lack öffentlich im Zeitraffer vom Projekt blättert, sagt Dieckmann in der Stadtratssitzung am 17. September 2009: "Wenn man Betrüger erkennen könnte, gäbe es keinen Betrug." Es ist an diesem turbulenten Abend, der mit Abbruch durch Dieckmann endet, unklar, wen sie meint.

Den Investorenauswähler Michael Thielbeer oder Bauchef Young-Ho Hong oder "Investor" Kim oder alle gemeinsam? Ein südkoreanisches Komplott gegen Bonn? Umgesetzt durch einen perfiden Masterplan, entstanden im Kopf von Kims Anwalt Dr. Ha-S. C.? Ging es im südkoreanischen Zirkel von Anfang an nur um die Zerlegung der von öffentlichen Millionen gemästeten "fetten Made" WCCB und nie um das, was im Projektvertrag stand? Etwa um die WCCB-Fertigstellung und seinen Betrieb über 30 Jahre durch SMI Hyundai?

Das WCCB-Geisterbahn-Personal auf das Trio Dr. Ha-S. C.-Hong-Kim zu reduzieren, klingt damals, in den ersten Wochen der WCCB-Dämmerung im Spätsommer 2009, plausibel. Dieckmann sagt in der genannten Ratssitzung auch: "Gegen mögliche Täuschung ist niemand gefeit, gegen kriminelle Machenschaften erst recht nicht." Will sagen: Bonn ist Opfer einer Verschwörung, eben hereingelegt worden.

Sieben Monate später belegt jedoch der WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), dass die Fette-Made-Zerlegungsnummer durch Dr. Ha-S. C., Hong und Kim nur klappen konnte, weil auf der WCCB-Geisterbahn auch städtisches Personal mitwirkte. In einer Art Wachkoma winkte das Städtische Gebäudemanagement (SGB) doppelte oder getürkte Abrechnungen durch. Da eine Valium-Überdosierung über viele Monate unwahrscheinlich ist, ermittelt die Staatsanwaltschaft seit Ende 2009 auch gegen städtische Mitarbeiter.

Welche Rolle spielte Kim in Bonn? Und wer war er vorher wo? Es wurden viele Geschichten bewusst lanciert, die der Öffentlichkeit SMI Hyundai als umsichtigen, international vernetzten und erfolgreichen Weltkonzern darstellten. Dazu gehört auch die von Kims Anwalt Dr. Ha-S. C. bei der Immobilienmesse MIPPIM 2007 in Cannes erzählte: Eine Fabel über Adler, Löwen und Tiger, die öffentliche Projekte aufspüren und für SMI an Land ziehen. Und Kim war der Präsident von allem.

Interessant für Journalisten, unterhaltsam für die Öffentlichkeit, aber wahr? Warum ist noch keine der Ermittlungen gegen 14 Personen bis zur Anklage gereift? Untreue, Betrug, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, Bestechung. Weil die Staatsanwaltschaft ahnt, dass Kims Aussagen alles auf den Kopf stellen könnten?

Viel spricht dafür, dass es das südkoreanische Bonn-Berlin-Team schon bald, nachdem die Tinte unter dem Projektvertrag im März 2006 getrocknet war, nicht mehr gab. Hong sagte gegenüber dem GA (siehe Millionenfalle 21), Kim sei für ihn "mehr Feind als Freund". Den Grund für das Zerwürfnis nannte er nicht. Tatort Libyen: Hong sollte für Bauprojekte in Tripolis und am Rand der Sahara, von Kim für SMI "an Land gezogen", den Zuschlag erhalten.

Doch Kim entschied sich anders: Woong Yung An statt Hong - jener An, der Bonn später rund 200 000 Euro in Rechnung stellte, und das SGB setzte seine Häkchen, was bedeutete: Auszahlung. Meister An war auch für den Irak und Libyen zuständig, aber Bonn zahlte.

Nach Kims Entscheidung in der libyschen Wüste ging Hong beim WCCB eigene Wege. Er änderte seinen Kurs in Richtung maximalen Profits. Als sogenannter kleiner Krauter hatte er in Berlin begonnen und legte bei der südkoreanischen Botschaft Hand an. Aber wer war Kim ohne ihn in Bonn?

Der RPA-Bericht belegt: Gerade gegen Ende des Projekts wirtschaftete Hong mit abstrusen Planungs- und Projektkosten in die eigene Tasche - und bekam einstweilen durch richterlichen Arrestbeschluss im Dezember 2010 mehrere Millionen wieder abgenommen.

Hong war offenkundig Kims Kontrolle entglitten. Das Drehkreuz der WCCB-Millionen für besondere Zwecke stand in Berlin bei Hongs Baufirma SMI Hyundai Europe und drehte sich nach den Geschehnissen in Libyen nicht mehr wie geschmiert in Kims Sinne. Erstaunlich, dass Hong es zuließ, dass Kim zwischenzeitlich auch Geschäftsführer der Baufirma wurde.

Wer RPA- und Insolvenzverwalter-Bericht nebeneinander legt, erkennt: Exakt in dem Zeitraum, als Kim auch SMI-Europe-Geschäftsführer war, floss Steuerzahlergeld als Darlehen nach Dubai und Reston/USA. Kim gewährte auch Kim, also sich selbst, ein Darlehen. Insgesamt summiert sich alles auf über eine halbe Million Euro. Hatte man etwa schon in 2008 eine Insolvenz als finalen Schlussakkord im Visier? Dann wäre Darlehen nicht Darlehen, sondern Kassenplünderung.

Dennoch: Die mutmaßlich kriminellen Abzweigungen von Steuerzahler-Millionen erklären noch nicht das Wie und Warum. Warum duldete Bonn das alles? Deshalb wabern um das WCCB weiter große Rätsel. Heute erscheint es so, als gab und gibt es eine offizielle WCCB-Aufführung auf öffentlicher Bühne und eine andere, die hinter den Kulissen und möglicherweise fernab von Bonn spielt.

Darauf deuten einige Quellen hin, die dem GA vorliegen. Zur öffentlichen Show gehören vermutlich ein Investoren-Auswahlverfahren mit offenem Ausgang und später die Version, "Opfer krimineller Machenschaften" geworden zu sein. War Kim nur "ein Strohmann" für Bonn, um via WCCB irgendwie das eigene Ziel "UN-Stadt" zu erreichen - wie es Zvi Tirosh, Anwalt der Investmentfirma Arazim, beschreibt (siehe Millionenfalle 51)? Tirosh: "Schon Anfang 2007 wussten sie vor Ort, dass Kim kein Eigenkapital hat." Der RPA-Bericht strotzt vor Hinweisen, dass Tirosh kein Märchen im eigenen Interesse erzählt.

Vielleicht wusste das Bonner Rathaus es noch früher? Etwa am 3. November 2006, als der symbolische Spatenstich erfolgte? Und wahrscheinlich war der 15. Mai 2007 der Tag, an dem Ex-OB Dieckmann den Zug ins Ungewisse noch hätte stoppen können - Grundsteinlegung vor vielen geladenen Gästen.

Doch der politische Wille blies offenbar alle Zweifel weg: Grünes Licht für das Himmelfahrtskommando "Kim", der "eine über 20-jährige Erfahrung besitzt, Unternehmen zu führen" und schon vor SMI Hyundai "andere globale Unternehmen geleitet und gefördert hat". So berichtete es die laufend geänderte SMI-Hyundai-Homepage mit "Copyright 2006", die vom GA gesichert wurde. Danach wurde im Internet viel herumgelöscht. Das große Verwischen von Spuren? Seit Wochen ist die für eloquentes und optisches Schaumschlagen bekannte Homepage nun abgeschaltet.

Wer heute "www.smi-hyundai.com" eintippt, landet bei einem japanischen Erotikangebot. Der Weltkonzern als verruchte Spaßnummer. Ob es sich hier um eine neue SMI-Geschäftsidee handelt oder die Internetdomain meistbietend versteigert wurde, interessiert nicht mehr. Eher symbolisiert das Schicksal der Homepage das Platzen einer Blase, das endgültige Aus eines Konzerns, der ohnehin nur als virtuelles Phantom existierte. Eben ein Glücksfall, der sich rasch im Nichts auflöste - und über den am liebsten niemand mehr spricht. Außer vor Gericht.