Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 05.01.2011

Die Millionenfalle, Teil 53

Richtig fröhlich wirkt Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) zurzeit nur im kalendarischen Vorhof des Karnevals. Sieht er ein Mikrofon, schmettert er seinen Song "Bonn - Du bess ming Stadt" unters Volk. Eine Strophe endet mit "Doch sitt jewiss, dat mir dann och all he zesamme stonnt". Doch gerade am "Zusammenstehen" scheint es zu hapern, wenn es um die Zukunft des World Conference Center Bonn (WCCB) geht.

Ein leidiges, millionenschweres Thema, um das sich zudem juristische Fragen ranken, die in ihrer Komplexität nichts für Klaus Mustermann sind, auch nicht für die Karnevalszeit. Die Jecken könnten die WCCB-Schuldenuhr ohnehin nicht anhalten: Alle 24 Stunden kommen rund 19 000 Euro drauf. Das Meiste davon fürs Beraten und Nachdenken, das Wenigste fürs Heizen und Aufpassen vor Ort. Das entspricht etwa den Tageskosten aller Bäder Bonns (10 400) plus Beethoven-Orchester (10 500).

Dennoch hat aller eingekaufter Sachverstand den Baustopp nicht vertreiben können. Oder liegt es gar nicht an den Beratern? Ist das Parteiengezänk schuld oder etwa eine (zu) frühe Festlegung im OB-Büro auf die "alternativlose" Option Heimfall? Gesichert ist nur, dass die Berater (siehe Millionenfalle 50) SOS funkten, als dem Stadtrat im Dezember eine Beschlussvorlage vorgelegt wurde. Tenor: Da steht Berater drauf, ist aber nur politisch Gewolltes drin.

Was bisher geschah: WCCB für Einsteiger

Die Stadt Bonn beschließt 2003 den Bau eines Weltkongresszentrums (WCCB). Als Investor wird 2005 die SMI Hyundai Corporation (Reston/USA) von Man-Ki Kim ausgewählt. Der Bund schenkt das Grundstück, das Land NRW gibt einen 36-Millionen-Zuschuss und die Sparkasse KölnBonn einen über die Stadt abgesicherten Kredit von zunächst 74, später 104 Millionen. Der Investor soll 40 Millionen Eigenkapital beisteuern. Nach dem Spatenstich (2006) gerät das WCCB in Schieflage: wegen fehlenden Eigenkapitals und einer mysteriösen Baukostenexplosion, die Bauchef Young-Ho Hong nicht plausibel erklären kann. Im September 2009 fällt das Projekt wie ein Kartenhaus zusammen: Einer Verhaftungs- folgt eine Insolvenzwelle. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen insgesamt 14 Personen und regiert der Baustillstand, der das klamme Bonn Millionen kostet.

So endet die Analyse des WCCB-Stillstands unweigerlich beim Unwort des Jahres 2010: "Alternativlos" suggeriere, so die Jury, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vorneherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit zur Diskussion gebe. Behauptungen dieser Art seien im vergangenen Jahr zu oft - Griechenlandhilfe, Stuttgart 21 - aufgestellt worden. Sie drohten die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung zu verstärken. Und auch, so die Bonner Perspektive, die Ratlosigkeit in einem Stadtrat. Der tagt heute Abend wieder, auch zum WCCB, aber über den Ausweg aus der Sackgasse soll erst im Februar diskutiert werden.

Als alternativlos wurde der Heimfall von der Stadtspitze dargestellt, weil Bonn rasch zurück in den WCCB-Sattel will. Doch allein das Bedürfnis ist nachvollziehbar. Seitdem einige Berater aufmuckten, beginnen nun parteiübergreifende Minderheiten im Rat selbst nachzudenken. Auch über die Preisfrage, denn das "Alternativlose" ist nicht das "Preiswerteste". Das war früh (siehe Millionenfalle 27) absehbar in einer Stadt, die gegen den Nothaushalt kämpft und gerade unter dem Zuversichtsslogan "Bonn packt's an" ihre Bürger befragt: Wo sollen wir sparen?

Heimfall, Zwangsversteigerung, Verkehrswert, Grundschulden. Nennen Sie die Unterschiede und die Risiken! Da ergeht es dem Stadtrat, einer Versammlung gewählter Feierabendpolitiker, kaum anders als seinen Wählern. Externe Fachbeobachter wundern sich indes, warum der von der Sparkasse eingesetzte Zwangsverwalter, den es ja als Akteur neben Insolvenzverwalter Christopher Seagon auch noch gibt, nicht schon längst das WCCB fertig bauen lässt - und liefern die Erklärung gleich mit: Es fehle am Schulterschluss zwischen Sparkasse und Stadt.

Zur Erinnerung: Nimptsch hatte einen Gutachterstreit angezettelt und sich bescheinigen lassen, dass die Nebenabrede (Bürgschaft) der Stadt für die Sparkassen-WCCB-Millionen gegen EU-Beihilfe-Paragrafen verstößt. Ziel: Bonn möchte 104 Millionen am liebsten in Luft auflösen und sich dabei - quasi - auf höhere Gewalt berufen. Man darf vermuten, dass die so entfachten psychologischen Kräfte einen Schulterschluss erschweren.

Die Sparkasse ist der mit Abstand größte WCCB-Gläubiger. Zudem die Hausbank Bonns. Keiner hätte Sparkasse und Stadt aufhalten können, wenn sie schon Ende 2009 etwa die Zwangsversteigerung beantragt hätten. So läge heute schon einmal ein Verkehrswertgutachten auf dem Tisch, angefertigt von einem durch ein Gericht beauftragten Dritten. Die Botschaft an Insolvenzverwalter Seagon wäre deutlich gewesen: Wir können auch anders, wenn Du zu viel forderst. Seagon kann eine Zwangsversteigerung vor Gericht nur verzögern, aber nicht verhindern.

Ein Antrag auf Zwangsversteigerung lässt sich auch wieder zurückziehen.

Doch das alles passierte nicht. Statt dessen haben Nimptsch und Bundespolitiker mit unbedachten Äußerungen (siehe Millionenfalle 49) Bonns Lage auf dem Schachbrett kontinuierlich verschlechtert. So war für Seagon früh absehbar, was das Rathaus wollte: den Heimfall um jeden Preis.

Doch in einem Schachspiel sollte der Gegenüber nicht absehen können, wie der eigene nächste Zug aussieht. Aber Bonn dachte nie an den Preis und schon gar nicht taktisch, nur laut in Image- und Prestige-Kategorien. So war eine weitere Blamage vor den Vereinten Nationen das Schlimmste, was es bis heute zu verhindern gilt. Die laute Denkerei düngte vor allem Seagons Forderungen. Als die Stadtspitze im Dezember 2010 mit ihrer Beschlussfassung im Rat "zur Kasse" geht, verweigert dieser die Zahlung.

In diesem unerquicklichen Spiel agiert jeder Akteur nach der Regel "Jeder ist sich selbst der Nächste". Man kann es sich leisten, denn Zeit bedeutet in diesem Fall nur für den Steuerzahler Geld. Es ist bis heute ein Geheimnis, was für ein Bausubstanzwert am Rhein tatsächlich steht. Zwar schreibt der Projektvertrag im Fall des Heimfalls den Verkehrswert als Berechnungsbasis vor, aber Seagon plädiert für den Substanzwert. Aus seiner Sicht und der der Gläubiger verständlich. Immerhin sitzen rund 150 Handwerksbetriebe auf unbezahlten Rechnungen von etwa 7,5 Millionen Euro, und Seagon muss für sie ackern und taktieren, eben jede Chance nutzen. Das ist sein gesetzlicher Auftrag.

Ein erstes und nur Seagon bekanntes Gutachten kommt auf "Investitionen in Planung und Ausführung" des WCCB von rund 135 Millionen Euro. Weil "die Bauunterbrechung sich kostenerhöhend auswirkt und insofern den Substanzwert schmälert", so Seagon, hat er für den Substanzwert nur 115 Millionen angesetzt. Als gäbe es nicht noch einen anderen Grund: Der Staatsanwalt ermittelt gegen 14 Personen. Es geht um Untreue, Bestechung, Betrug und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr.

Schätzungen über die Größenordnung nicht verbauter Gelder variieren zwischen 15 und 40 Millionen Euro. Möglicherweise eint Seagon und Stadtspitze hier eine unerwartet gleiche Interessenlage aus verschiedenen Motiven: Ein hoher Substanzwert begünstigt Seagons Verhandlungsposition, verheißt im Umkehrschluss aber auch weniger Skandalwolken über dem Rathaus.

So wollten Teile des Rates aus guten Gründen das Wertgutachten einsehen, haben es aber nie gesehen, und Seagon soll dafür Geld verlangt haben, weil es einen sechsstelligen Betrag gekostet habe, und überhaupt kursieren dazu viele Geschichten, verbreitet vom Rats-Flurfunk oder "unter dem Siegel der Verschwiegenheit". Da hilft nur Adam Riese weiter. Mehr als die von Seagon genannten 135 Millionen waren auch kaum in der Baukasse. Darüber hinaus wanderten Millionen von links nach rechts und von rechts nach links, aber nie in den Bau.

Addiert man allein die vielen vom Rechnungsprüfungsamt belegten doppelten und überhöhten Abrechnungen, dazu die aus der Baukasse gewährten Auslandsdarlehen sowie horrende Planungshonorare, ferner den vom GA früh aufgedeckten Hotelzimmerzahl-Betrug (siehe Millionenfalle 7), weiterhin Schmiergeldzahlungen - und gesteht sich ein, dass das Bekannte nur die Spitze eines Eisbergs ist, so darf niemand überrascht sein, wenn eines Tages der Substanzwert unter 100 Millionen und die Fertigstellungskosten weit über 100 Millionen liegen.

In einer Mail merkt ein städtischer Mitarbeiter früh an: "Der Rest ist wahrscheinlich in Gehälter geflossen." Allein "Investor" Man-Ki Kim und Bauchef Young-HoHong genehmigten sich zuweilen gemeinsam mehr als 70 000 Euro - pro Monat. Da kommt einiges zusammen, was heute fehlt.

WCCB-Grundbegriffe

- Heimfall: Die Stadt Bonn hat einen insolvenzfest gesicherten Rückübertragungsanspruch (Heimfall) für das Grundstück nebst der Aufbauten (Kongresszentrum und Hotel). Die Gegenleistung dafür ist im Projektvertrag geregelt: 70 Prozent des Verkehrswerts der Gebäude müsste die Stadt oder ein von ihr benannter Dritter zahlen, wovon laut Vertrag zunächst die Grundschuld der Sparkasse KölnBonn (siehe unter Grundschulden) zu bedienen ist. Für die Insolvenzmasse bleibt beim Verkehrswert-Ansatz wahrscheinlich nichts übrig (siehe Verkehrswert). Standpunkt des Insolvenzverwalters: Der Projektvertrag regelt den Heimfall nur für ein fertiggestelltes WCCB und nicht für ein WCCB im Rohbauzustand, weshalb als Berechnungsgrundlage nicht der Verkehrs-, sondern der Bausubstanzwert herangezogen werden soll.

- Teil-Heimfall: Dieses Szenario sieht vor, dass Kongresszentrum und Hotel getrennt werden. Die Stadt erwirbt vom Insolvenzverwalter nur das Kongresszentrum, während das Hotel an einen Investor verkauft werden könnte, der es auf eigene Kosten fertig bauen müsste. Problem: Kongress- und Hotelteil sind technisch und baulich so miteinander verwoben, dass eine Trennung kaum möglich wäre und weitere Kosten verursacht würden. Zudem müsste das Grundstück, auf dem erhebliche Grundschulden lasten (Sparkasse, Arazim), geteilt werden. Auf den Teil-Heimfall hat die Stadt keinen insolvenzfesten Rechtsanspruch.

- Zwangsversteigerung: Der Meistbietende erhält den gesamten Gebäudekomplex samt Grundstück. Risiko für die Stadt: Ein Dritter erwirbt das WCCB und geht bei der späteren Nutzung eigene Wege. Andererseits ist dieses Risiko gering: Da die restlichen Fertigstellungskosten und der Grundstückswert weit höher liegen als die im defizitären Kongressgeschäft zu erwartenden Erträge, dürfte das WCCB keine von Investoren begehrte Immobilie sein. Zudem kann die Stadt selbst mitbieten und auf diesem Weg das Projekt erwerben. Vorteil: Das "Risiko Arazim", die Investmentfirma steht mit 13,3 Millionen noch im Grundbuch an dritter Rangstelle, würde bei einer erfolgreichen Zwangsversteigerung aber ausgeschaltet und leer ausgehen.

- Verkehrswert: Welcher Ertrag (Gewinn) lässt sich mit dem WCCB im Ganzen erwirtschaften? Das Kongressgeschäft ist defizitär, das Hotel könnte Gewinne machen, aber der gesamte Gebäudekomplex ist eine Baustelle und benötigt noch - geschätzte - 70 bis 110 Millionen Euro bis zur Einsatzreife. Für den Verkehrswert des WCCB-Rohbaus ist es somit irrelevant, wie viele Millionen bisher aufgewendet wurden, es zählt allein der Ertragswert gemäß der Verordnung über Grundsätze für die Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken. Da die Fertigstellungskosten absehbar höher liegen als der aktuelle Ertragswert, ist der Verkehrswert des WCCB im Ist-Zustand (Rohbau) null bis negativ.

- Bausubstanzwert: Wie viel ist der bisher errichtete WCCB-Bau wert? Wie viele Millionen sind tatsächlich verbaut worden? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Der WCCB-Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) hat dokumentiert, dass zahlreiche Rechnungen überhöht oder doppelt gestellt wurden. Nach weiteren GA-Informationen sind Millionen aus der Baukasse zweckentfremdet worden.

- Grundschulden: An erster Rangstelle steht die Sparkasse KölnBonn mit 24 Millionen Euro zuzüglich 18 Prozent Zinsen. Ihr Anspruch voraussichtlich: 41,27 Millionen Euro. An zweiter Stelle: Die Stadt Bonn mit Anspruch auf Rückübertragung bei wirksamer Ausübung des Heimfalls. An dritter Stelle: Die Investmentfirma Arazim mit 13,3 Millionen. Ihr voraussichtlicher Anspruch: 21,28 Millionen.