Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 07.04.2011

Die Millionenfalle, Teil 59

Es kommt Bewegung in die fantasielose Starre auf dem Schachbrett um das World Conference Center Bonn (WCCB), das bisher nur einen Verlierer kennt: die städtischen Finanzen. Mehr als sieben Millionen Euro kostet der Baustillstand seit Herbst 2009, und das Beraterheer hat bisher keinen Fortschritt gebracht.

Oder die Fachkräfte haben viel Fortschrittliches produziert, was aber in der Schublade von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) blieb, weil die Expertisen möglicherweise (siehe Millionenfallen 50 und 57) politisch unerwünscht waren.

Zwischenfazit: Das WCCB gestaltet sich zu einem Fortsetzungsroman mit einer Konstanten - die Stadt blutet, während andere profitieren. In der Planungs- und Bauphase bedienten sich mutmaßlich korrupte Investoren, Baufirmen und Freiberufler, denen nach GA-Informationen in Kürze der Prozess gemacht wird.

Als die Hauptakteure mit ihren maladen Firmen bald zum Insolvenzverwalter eilten, begann Phase zwei, in der Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte lukrative - nach oben nicht gedeckelte - Millionenmandate von der Stadt erhielten, aber OB Nimptsch bis heute auf der Stelle tritt, während der Insolvenzverwalter das Geschehen diktiert.

Die CDU/Grünen-Koalition nennt das "enttäuschend und frustrierend". Doch das Millionen verschlingende Bonner "Loch Ness" am Rhein soll jetzt nicht nur gestopft, sondern der Bau bald fertiggestellt werden. CDU/Grüne hatten sich dazu mit ihren schmalbrüstigen Fraktionskassen selbst aufgemacht und externen Sachverstand mobilisiert.

Zudem haben sie mit der Bürger-Bund-Bonn-Fraktion einen weiteren Verbündeten gefunden, während die FDP noch nachdenkt.

Wie Klaus-Peter Gilles, CDU-Fraktionsvorsitzender, und Peter Finger, Grünen-Fraktionschef, am Mittwoch ankündigten, werde die Ratsmehrheit nun Schritte beschließen, die den teuren Stellungskrieg zwischen Sparkasse KölnBonn, Insolvenzverwalter Christopher Seagon und Stadt beenden sollen. Die Handlungstaktik erscheint zwar glasklar und plausibel, trotzdem bleibt die Spezialmaterie zwischen Grundschuld, Heimfall und Zwangsversteigerung für den interessierten Laien schwer verdauliche Kost.

Zur Taktik: Der Heimfall bleibt offiziell auch das Ziel von CDU, Grünen und BBB, sofern der Projektvertrag zwischen dem insolventen Bauherrn UN Congress Center GmbH (UNCC) und der Stadt angewendet wird. Er regelt auch das Scheitern des Projekts und somit den Heimfall: Danach "beträgt der Ausgleichsanspruch lediglich 70 % des Verkehrswerts", der im Vertrag (Paragraf 20.1.) als Ertragswert definiert ist. Davon sind, so Paragraf 22 Punkt 4, nochmals "70 % des Landeszuschusses vom Land Nordrhein-Westfalen" abzuziehen.

Wie hoch also ist der Ertragswert? "18 Mio. bis 31 Mio. Euro nach Fertigstellung des WCCB", hatte PricewaterhouseCoopers (PwC) in seinem streng vertraulichen Bericht bereits Anfang Dezember 2009 für die Stadt ausgerechnet. Da das WCCB aber noch eine Baustelle ist, läuft der aktuelle Ertragswert gar ins Negative, erst recht, wenn noch Landesmittel in Millionenhöhe abzuziehen sind. Nichts bliebe für die UNCC-Insolvenzmasse übrig.

Das alles weiß OB Nimptsch seit 15 Monaten. Auf dem Papier reifte eine große Null als Ertragswert, und da "70 Prozent von null" auch null ist, entstand für den Insolvenzverwalter eine gruselige, für die Stadt eher eine freundliche Perspektive.

Folglich kämpfte Seagon von Anfang an für eine, seine bessere Aussicht, nämlich für den Bausubstanzwert als Berechnungsgrundlage. Sollte die Stadt nicht folgen, hatte Seagon immer Mal seine Folterwerkzeuge gezeigt. Er blies rechtliche Restrisiken zu einem Bedrohungsballon auf, der Nimptsch und sein Beraterheer offenbar erschreckte.

Im Seagon-Fokus standen und stehen Fragen wie: Besitzt die Stadt Bonn überhaupt noch ein Recht auf den Heimfall? Oder hatte sie, damals noch unter der Regie von OB Bärbel Dieckmann (SPD), dieses Recht nicht längst verwirkt, indem sie eine südkoreanische Schlitzohrentruppe samt deutscher Helfershelfer zu lange gewähren und mehrfache Verstöße gegen den Projektvertrag ungeahndet ließ?

Ferner lauert im Grundbuch noch die israelische "Heuschrecke" Arazim Ltd., die sich zudem nach einer Einstweiligen Verfügung vom 5. August 2009 als UNCC- und damit als WCCB-Besitzer fühlen darf. Konnte die Sparkasse für die UNCC GmbH einen weiteren 30-Millionen-Kredit, für den abermals die Stadt bürgte, gewähren, ohne den Besitzer (Arazim) zu fragen?

Mit einer solchen Bedrohungskulisse im Hintergrund lenkte Seagon die Stadtspitze samt Beratern vom Projektvertrag weg und führte sie an der kurzen Leine - hin zu einer Heimfallvergütung von zunächst 4,0, dann 8,5 Millionen Euro, jeweils zuzüglich 19 Prozent Mehrwertsteuer, die die Stadt wahrscheinlich nicht vom Finanzamt zurückerstattet bekäme.

Warum die Stadt nie ernsthaft auf Einhaltung des Projektvertrags, auf den sie einen insolvenzfesten Anspruch hat, pochte oder gemeinsam mit dem größten Gläubiger, der Sparkasse, eine Gegenstrategie schmiedete, bleibt indes Nimptschs Geheimnis. Oder das seiner Berater.

Auch denkbar: Die externen Experten führten Nimptsch am Gängelband und favorisierten die Lösung, die ihnen den längsten Fortbestand ihres Mandats versprach. Dagegen spricht jedoch, dass zumindest die Kanzlei Hengeler Mueller im Dezember 2010 (siehe Millionenfalle 50) aufmuckte, als Nimptsch zu sehr aus Beraterexpertisen herauspickte, was ihm gefiel.

Wie dem auch sei: Eine frühe Allianz Sparkasse/Stadt hätte Seagons Position früh geschwächt. Die am Mittwoch federführend von CDU/Grünen vorgestellte Handlungsstrategie legt den Verdacht nahe, dass die Koalitionäre nun das Naheliegende tun und sich hinter den Kulissen mit der Sparkassenspitze - an Nimptsch (SPD) vorbei - verständigt haben. Denn ohne den stillen Segen des mit Abstand größten Gläubigers würde der neue Weg kaum begehbar sein.

Was passiert als nächstes? Der Rat wird in seiner nächsten Sitzung nächste Woche die Verwaltung beauftragen, den Insolvenzverwalter zu einem "Heimfall nach Projektvertrag" aufzufordern. Lehnt dieser, was wahrscheinlich ist, ab oder antwortet nicht binnen drei Wochen, müsste die Stadt im nächsten Schritt Seagon verklagen. Gleichzeitig, so der Plan, soll die Stadt der Sparkasse die Forderung "Grundschuld" abkaufen und in deren Rechte eintreten.

Die WCCB-Projektgruppe beurteilt das schwarz-grüne Ansinnen in einer ersten Reaktion (Mitteilungsvorlage vom 1. April 2011) als "deutliche Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten", da die Stadt nun selbst erstrangiger UNCC-Gläubiger bei Seagon werde. Damit könnte sie vor Gericht die Zwangsversteigerung beantragen. Auch äußert sie Bedenken: "Im Ergebnis würden Risiken von der Sparkasse auf die Stadt Bonn verlagert.

Im Detail ergeben sich eine Reihe offener Fragen." Etwa die: Würde die Sparkasse akzeptieren, dass der Forderungskauf "Grundschuld", rund 40 Millionen Euro inklusive Zinsen, auf ihre Gesamtforderung angerechnet wird? Diese beträgt 104,3 Millionen Euro, Zinsen exklusive.

Jedenfalls berührt die schwarz-grüne Offensive auch andere Fronten: So beabsichtigt die Stadt (siehe Millionenfalle 56), in Brüssel klären zu lassen, ob die 104-Millionen-Bürgschaft nicht gegen EU-Beihilfeparagrafen verstößt. Gleichzeitig hat die Stadt WCCB-Kosten für ihr Bürgschaftsabenteuer noch in keinem Haushaltsplan berücksichtigt.

Es bleibt also spannend. Gewiss ist nur: Die CDU/Grünen/BBB-Initiative wird die gegenseitige Blockade - Stadt, Sparkasse, Seagon - auflösen. Das zeigt schon Seagons Reaktion. Am Mittwoch Abend unterbrach eine Pressemitteilung die wochenlange Funkstille. Seagon plädiert für eine "einvernehmliche Lösung" und ist "guten Mutes".

Es könnte aber auch anders kommen und juristische Gefechte vor Gericht und damit auf hoher See anstehen. Dann würde eine steife Brise wehen. Auch absehbar: OB Nimptsch, für die Verwaltung zumindest formal das Alpha-Tier, droht seit Mittwoch die Gestaltungshoheit für die WCCB-Zukunft zu verlieren.

WCCB für Einsteiger: Was bisher geschah

Die Stadt Bonn beschließt 2003 den Bau eines Weltkongresszentrums (WCCB). Als Investor wird 2005 die SMI Hyundai Corporation (USA) von Man-Ki Kim ausgewählt. Geplant: Der Bund schenkt das Grundstück, das Land NRW gibt einen 35,7-Millionen-Zuschuss, die Sparkasse einen über die Stadt abgesicherten Kredit von 74,3 Millionen Euro und der Investor 40 Millionen Eigenkapital.

Nach dem Spatenstich Ende 2006 gerät das WCCB in Schieflage. Kim hat kein Eigenkapital, zudem explodieren die Baukosten. Kim bringt 2007 über neue Geldgeber (Arazim, Honua) vertragswidrig neue Hauptgesellschafter ins Spiel. Folge: Eigentümerstreit.

Im September 2009 fällt das Projekt in sich zusammen: Einer Verhaftungs- folgt eine Insolvenzwelle. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 14 Personen, darunter auch städtische Mitarbeiter. Seit Herbst 2009 herrscht Baustillstand, der pro Monat rund 600 000 Euro (inklusive Beraterhonorare) kostet.

Der Investor ohne Geld hat eine beispiellos verworrene Situation hinterlassen - wirtschaftlich und vor allem rechtlich. Das Tauziehen um die Zukunft des WCCB tritt seitdem auf der Stelle.