Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 12.05.2011

Die Millionenfalle, Teil 61

Oberstaatsanwalt Fred Apostel gehört zu jener Spezies Pressesprecher, die kein Wort zuviel sagt. Gleich zu Anfang der Pressekonferenz am Donnerstag macht er klar, "wozu Sie erst gar nicht fragen brauchen".

Damit meint der Leiter der Abteilung IV C (Korruptionsdelikte) "die neun anderen Personen", gegen die im Zusammenhang mit den unglaublichen Geschichten rund ums World Conference Center Bonn (WCCB) ermittelt wird, darunter Bonns ehemalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) und WCCB-Bauchef Young-Ho Hong von der insolventen SMI Hyundai Europe GmbH (Berlin). Weil keiner fragt, muss Apostel auch nicht schweigen - wie seine "Beisitzer", die Staatsanwälte Ulrich Stein und Marco Thelen. Sie bilden eine Art leibhaftige WCCB-Enzyklopädie.

Manchem Bonner Bürger hat das alles viel zu lange gedauert: Der 15. September 2009 war der Tag bundesweiter WCCB-Razzien (Bonn, Berlin, Sulzbach) im Zuge der Operation "Gold" und jener Tag, an dem die ersten Personen in U-Haft wanderten. Das ist lange, rund 600 Tage her. Aber tonnenweise Akten sollen nicht nur gelesen, sondern teilweise akribisch ausgewertet werden.

Der letzte Große Brockhaus (2006) umfasst rund 24 000 Seiten in 30 Bänden. Stein und Thelen wissen nicht, wie viele WCCB-Seiten sie gelesen haben. Thelen sagt: "200 Seiten lesen, zwei als Beweismittel" - zum Beispiel. Im Bonner Landgericht liegt die Hauptakte mit 16 000 Seiten, dazu "nochmal mindestens das Doppelte an Beweismitteln", sagt Stein. Legt man eine Spreu-zu-Weizen-Quote von 200:2 zugrunde, bieten 600 Erdumdrehungen kaum ausreichend Lesezeit für 100 000 oder 300 000 oder noch mehr Seiten. Deshalb lobt Apostel auch seine beiden Wissenssäulen: "Sie haben sich zeitlich über alle Maßen engagiert."

Apostel hält nur das hochkonzentrierte Destillat in Händen: vier Seiten. Dort steht, "welchen Sachverhalt die Staatsanwaltschaft als gegeben ansieht". Oder: Wer beim WCCB bestochen ("Leistung ohne Gegenleistung"), getäuscht oder belogen hat - in einer Phase, als sich noch gar kein Baukran drehte. Nur zum Teil steht dort, wer bestochen worden sein soll, zum Beispiel Michael Thielbeer. (Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr).

Apostels Worte bedeuten im WCCB-Monopoly: Gehe zur Wahrheitssuche vor allem zurück in die Jahre 2004 und 2005. Das war die Zeit, als Bonns europaweite WCCB-Ausschreibung ergebnislos endete, weil die städtischen Bedingungen realitätsfern waren. Kein Investor meldete sich, um Bonn ein Kongresszentrum samt Hotel ohne städtischen Betriebskostenzuschuss zu garantieren. Für Insider war das keine Überraschung. Denn die Kongressbranche hängt bundesweit am Tropf der Kommunen, die ihr geöffnetes Füllhorn wiederum mit der sogenannten Umwegrendite rechtfertigen.

Dennoch bleibt eine Investorengruppe namens IKBB AG i.G. unter dem Geschäftsmann Heinz-Dieter Kals übrig. Sie wird von Thielbeer geprüft, den Apostel einen "scheinbar »unabhängigen Berater« der Bundesstadt Bonn" nennt. Der Rechtsanwalt ist am 25. März 2004 mit der "betriebswirtschaftlichen Beratung" des WCCB beauftragt worden. Ohne Ausschreibung.

Liegenschaftsamt und Rechnungsprüfungsamt (RPA) hatten zuvor bei der städtischen Projektbeauftragten Eva-Maria Zwiebler protestiert und an städtische Festlegungen zur "Korruptionsprävention" erinnert. Keine Reaktion. Am 5. April 2005 (Drucksachennummer 0511023) wird Thielbeers Mandat nochmal verlängert, weil er, so die Bonner Verwaltungsspitze in der Ratsvorlage, "das gesamte Fachwissen über das Projekt besitzt".

Im Juni 2005 kommt aus heiterem Himmel die SMI Hyundai Corporation Ltd. von Man-Ki Kim ins Spiel. Zunächst scheinen Kals-Gruppe und SMI/Kim zu kooperieren: "Als dieser (Kim/Anm. d. Red.) erkannte, dass die Stadt Bonn Vorbehalte gegen den Verantwortlichen der AG entwickelte, sah er die Möglichkeit, sich zur Maximierung des Gewinns etwaiger Konkurrenten zu entledigen", resümiert die Staatsanwaltschaft.

Da erscheint es Kim und Dr. Ha-S. C., Kims Anwalt, naheliegend, Thielbeer ins SMI-Hyundai-Boot zu holen. Doch der scheint zu wissen, welchen Preis er als "unabhängiger" Investorenauswähler hat. Mindestens 600 000 Euro vor Steuer. Später wird ihm das Geld aus diversen, nun von Steuermillionen gefüllten WCCB-Kassen "über Scheinverträge ausgezahlt", so die Staatsanwaltschaft.

Thielbeer spielt fortan unsichtbar für die andere, die südkoreanische Seite. Am 1. Juli 2005 erreicht er ein Teilziel: Die störende IKBB AG i.G. ist draußen; die Stadt Bonn hat die Vertragsverhandlungen beendet.

"Als Voraussetzung für den Abschluss eines Projektvorvertrages mit der SMI Hyundai und die Aufnahme von Verhandlungen über den zu vergebenden Projektvertrag verlangte die Projektleitung im gleichen Zeitraum die Übernahme der für die Beratertätigkeit des Angeschuldigten Thielbeer bei der Stadt Bonn angefallenen Kosten", erklärt Apostel. Kim und Dr. Ha-S. C. erachten das als sinnvolle Investition.

Nach GA-Informationen sind es exakt 32 115 Euro, die SMI Hyundai für eine vom Rat genehmigte und von der Stadt beauftragte und bestellte Thielbeer-Leistung zahlt. Es entsteht eine so augenfällig die Korruption begünstigende Konstellation, dass eine Anti-Korruptionsfibel sie gar nicht erst enthalten würde: Der um ein Millionen-Projekt buhlende und werbende "Investor" zahlt den "unabhängigen" Berater der Stadt, der gerade ihn auf Herz und Nieren prüfen soll. Und das i-Tüpfelchen: auf Wunsch der Stadt.

So erstaunt Thielbeers Schlussexpertise nicht. Sinngemäß formuliert der mutmaßlich Bestochene: SMI Hyundai samt Kim als Investor sind einfach die besten, "allein schon wegen des Konzernhintergrundes". Damit spinnt Thielbeer den Faden, den Kim als "Konzern"-Repräsentant in öffentlichen Statements gelegt hatte, in den Akten weiter. Kim hatte 2005 in Nebensätzen die Namensgleichheit genutzt und suggeriert, Teil des Auto-Weltkonzerns Hyundai/Kia zu sein, der ja auch die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland sponsere.

Große Sätze eine Briefkastenfirma, die im Handelsregister der US-Steueroase Delaware eingetragen ist und deren Homepage (www.smi-hyundai.com) 2010 als japanisches Erotikportal endet. Nicht zuletzt verspricht Kim via Thielbeer, was Stadt und Rat hören wollen, um die Ampel Ende 2005 auf Grün für SMI zu schalten: Dass die Südkoreaner, sofern der Business-Plan aufgeht, keinen städtischen Betriebskostenzuschuss für das WCCB benötigen.

Die Staatsanwaltschaft: Kim, Dr. Ha-S. C. und Thielbeer haben Rat und Verwaltung "bewusst wahrheitswidrig" vorgetäuscht, dass SMI "ein finanziell abgesichertes Unternehmen" sei. "Den Angeschuldigten Kim und Dr. Ha-S. C. wie auch Thielbeer war dabei bewusst, dass die SMI nicht einmal ansatzweise über die notwendigen finanziellen Mittel verfügte."

Der grobe Rest der Geschichte ist weitgehend bekannt (siehe Millionenfalle 1). Die Stadt geht in die Falle. Im Frühjahr 2006 wird der Projektvertrag zwischen Stadt, UN Congress Center GmbH (UNCC) und deren alleinigem Gesellschafter, dem amerikanisch-südkoreanischen "Investor" SMI Hyundai Corporation Ltd., unterschrieben.

Danach beginnt Kims Hetzjagd nach Millionen rund um den Globus. Er muss 40 Millionen Euro Eigenkapital auftreiben. Der mittellose Investor Kim verheddert sich bald bei der Geldgebersuche zwischen Zypern (Arazim) und Hawaii (Honua), was die WCCB-Zukunft - zumindest bis heute - vor unlösbare Probleme stellt.

Gleichwohl bleibt für den smarten Kim, zurzeit hinter Gittern in U-Haft, in Bonn der rote Teppich ausgerollt - auch nachdem Kollege Dr. Ha-S. C. der Stadt schon das x-te Märchen aufgetischt hat, woher die Eigenkapital-Millionen denn nun - Indonesien? USA? Neuseeland? - kommen werden. Eines Tages (2007) treffen zehn Millionen von Arazim ein. Geliehen auf Wucherzinsniveau. "Kim war bewusst", so die Staatsanwaltschaft, "dass ihm eine Rückzahlung nicht möglich sein würde." Dennoch verpfändet er 94 Prozent der UNCC-Anteile. Als er die Rückzahlungsfrist verstreichen lässt, wird aus Pfand Besitz - für Arazim.

Dennoch akquiriert Kim weiter Investoren. Auf Hawaii wird er pfündig. Aber auch Honua verlangt Sicherheiten. Der ebenfalls angeklagte Kim-Anwalt Wolfdietrich Thilo fertigt "in Kenntnis der Verpfändung" (Apostel) an Arazim ein Rechtsgutachten, wonach SMI Hyundai UNCC-Geschäftsanteile "unbelastet zur Sicherheit übertragen" kann. Honua zahlt daraufhin 32 Millionen US-Dollar auf ein SMI-Konto in Hongkong. Bisher unbekannt: "Unter anderem gingen 2,5 Mio. $ an Kim persönlich." Gleichzeitig hat er sich nach GA-Informationen als UNCC-Geschäftsführer 40 000 Euro genehmigt - pro Monat.

Die 188 Prozent UNCC-Anteile - 94 Prozent Arazim, 94 Prozent Honua - sind natürlich rechtlich wie mathematisch Unfug. Als vor dem Bonner Landgericht Arazim und Honua Anfang August 2009 darüber streiten, wem denn nun die UNCC-Anteile und damit das WCCB gehören, lügt Kim, so die Staatsanwaltschaft, und hantiert mit "fingierten Urkunden", die beweisen sollen, dass er zum Zeitpunkt der Arazim-Übertragung gar nicht mehr SMI-Hyundai-Handlungsbevollmächtigter gewesen sei. Der Richter entscheidet pro Arazim. Wochen später herrscht Ebbe in der Baukasse, flüchten Handwerker und schwappt eine Insolvenzwelle am Rhein entlang. Baustopp. Bis heute.

Dr. Ha-S. C., wegen Bestechung und Betrug angeklagt, gilt als "Spiritus rector" der SMI-Hyundai-Mission in Bonn. Der in Deutschland zugelassene Rechtsanwalt gründete bereits am 20. Juli 2005 (fünf Monate vor der Ratsentscheidung) in Sulzbach im Taunus die UNCC GmbH. Für ihn war offenbar die WCCB-Messe schon 20 Tage zuvor gelesen, als Thielbeer den erfolgreichen Rauswurf der IKBB AG i.G. meldete. Chung wird eines Tages sogar die Anlagen zum Projektvertrag, wie aus einem unscheinbaren Satz im WCCB-Bericht des RPA hervorgeht, unterschreiben - für die Stadt Bonn! Zumindest belegt das ein ungewöhnliches Zusammenspiel zwischen Rathaus und Kim-Team. Fast könnte man ein Vertrauensverhältnis annehmen.