Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 09.09.2009

Die Millionenfalle, Teil 9

TV-Kamerateams bevölkern inzwischen die Baustelle des World Conference Center Bonn (WCCB). Manche gehen recht selbstbewusst vor, übersehen den Sicherheitsdienst, der versucht, sie zu verscheuchen. Unterdessen stellte Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann am Montagabend dem Stadtrat neue Fachkräfte vor. Die Volksvertreter wollen nun endlich ihre fast angegilbten Fragen beantwortet haben, etwa zur ominösen Baukosten-Explosion. Doch die OB blieb Antworten schuldig. Vielleicht ist Dieckmanns Verpflichtung der PricewaterhouseCoopers (PwC), einer der führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften in Deutschland, ein ernster Hinweis darauf, dass die Stadt selbst nicht mehr genau durchblickt.

Die neuen Experten von PwC - ihr Werbe-Slogan: "Die Vorausdenker" - müssen beim WCCB erst einmal tief in die Vergangenheit schauen, um den Status quo zu ermitteln. Eine gewisse Zuversicht stiftet die Tatsache, dass Professor André Jacques Dicken (PwC) mit dabei ist, der federführend bereits die Untersuchungen im Skandal um die Rheinpark-Metropole in Köln leitete, durch den die Sparkasse KölnBonn viele hundert Millionen Euro verlor.

Hotel Königshof. Wir treffen uns mit Young-Ho Hong. Der Südkoreaner aus Berlin ist vieles: WCCB-Architekt, Generalübernehmer - also der Bauunternehmer, bei dem alle Fäden zusammen laufen - und alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer von drei Firmen, auf deren Konten die Überweisungen der UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC/Bauherr) eingehen. Ob es aktuell insgesamt 175 oder 185 Millionen Euro sind, die schon verbaut wurden - wer will das exakt wissen? Teilweise schreiben Subunternehmer Rechnungen an Hongs Firma SMI Hyundai Europe GmbH (Berlin), das zentrale Drehkreuz für alle WCCB-Baukosten. Teilweise erbringt Hong mit weiteren, eigenen Firmen Leistungen, zum Beispiel fürs Planen und Organisieren. Teilweise sieht man auf den Rechnungen auch Namen, die einem im "Fall WCCB" schon einmal begegnet sind.

Es fällt auf, dass auch Rechtsanwalt Dr. Michael Thielbeer Rechnungen schreibt. Thielbeer? Thielbeer! Er hatte in maßgeblicher Funktion für die Stadt die Investoren vor- und endsortiert. Er hatte den Stadtoberen SMI Hyundai Corporation samt dem eloquenten Man-Ki Kim quasi auf dem Tablett als Retter ihrer Kongresszentrums-Pläne serviert. Die Entscheidung war, wie Beobachter heute wissen, eine Art Knopfdruck für eine atemberaubende Abwärtsspirale des mittlerweile 200-Millionen-Euro-Projekts.

Es sind stolze Rechnungen, die Thielbeer an SMI Hyundai Europe sendet: 50 000 Euro am 20. Juni 2007 und nochmal 50 000 Euro exakt sechs Monate später. Aber das ist eine andere Baustelle. Frage an Young-Ho Hong: Warum erhalten Sie auch Rechnungen von Thielbeers Ehefrau Susanne über eine Gebrauchtwagenüberlassung? Hong: "Weil wir ein Baustellenfahrzeug in Bonn brauchen und sie so nett war, mir eines zu leihen." Vom Betrag her eine Petitesse, aber zumindest optisch verheerend. Und ob es so war, wie Hong berichtet?

Es ist ein langes Gespräch mit Hong. Gut dreieinhalb Stunden lang. Was sagt er zur Baukosten-Explosion von rund 60 Millionen Euro und zur Hotelzimmer-Zahl? Dabei geht es um einen durch Protokolle und sonstige Papiere bestens dokumentierten Sachverhalt. Thielbeer, damals noch als Investorenauswähler unterwegs, hatte der Stadt berichtet: Ein WCCB mit 352 Hotelzimmern kostet 139 Millionen Euro. Der Rat folgt und beschließt. Dann der Projektvertrag: Dort finden sich 139 Millionen, aber eine listige Formulierung macht aus 352 nur 185 Zimmer. Frage an Hong: Wie viele Hotelzimmer haben Sie für 139 Millionen gebaut? Hong: "Ich kenne Thielbeers Papier nicht. Ich baue das, was im Projektvertrag steht." Wie viele Zimmer? Schweigen.

In Hongs Baukosten-Rechtfertigungspapier wird die "Hotelerweiterung" mit insgesamt 36,3 Millionen Euro zu Buche schlagen, obwohl er im Bauantrag von Anfang an mit 352 Zimmern plant. Nicht nur Hong schweigt dazu, auch die Stadt Bonn.

Hong erzählt: "Wir konnten so gut wie keine Skonti geltend machen." Das bedeutet: Baufirmen gewähren einen Preisnachlass, wenn man schnell bezahlt. Ursache: "Weil Kim selten in Bonn war, um Baurechnungen abzuzeichnen." Dann sei es für ein Skonto zu spät gewesen. Plausibel. Hong spricht von "drei Millionen Euro Verlust". Aber bis 60 Millionen Euro ist es ein weiter Weg.

Hong erklärt, wie die Baurechnungen durch die Prüfinstanzen wanderten. Von seiner Gesellschaft (SMI Hyundai Europe) ins städtische Gebäudemanagement und zu Kim (UNCC), am Ende zur Sparkasse. Alles sei lückenlos nachvollziehbar und mehrfach geprüft. Wir steuern auf einen nicht unwesentlichen Punkt zu: Haben Sie die UN-Sicherheitsstandards eingehalten? Hong: "Wir haben hier und dort etwas verändert, nichts Wesentliches."

Und dann holt Hong weit aus. Dr. Ha-S. C., Rechtsanwalt und Hongs Freund, habe ihn im April 2005 nach Frankfurt eingeladen, um über das WCCB zu sprechen. "Kim war auch dabei." Wochen später wird Hong Senior Vice President bei SMI Hyundai Corporation. Nun sei er "Herr über 2 000 Mitarbeiter" geworden. "Ich war stolz. Trotzdem habe ich im Internet recherchiert, aber keine weiteren Informationen über Mitarbeiter gefunden. Dass etwas nicht stimmt, war nicht in meiner Vorstellungswelt", sagt Hong. "Überall ist Euphorie gewesen, in der Stadt, bei den Unternehmen, in der Öffentlichkeit und natürlich auch bei mir."

Erste Zweifel Ende 2006, die WCCB-Erdarbeiten haben begonnen. Hong: "Unerwartet höre ich von einem Eigenkapital-Problem." Er habe Druck gemacht, mehr Eigenkapital nachzuweisen. Doch Kim konnte nicht, er wird bei der Investment-Gesellschaft Arazim landen und damit die verworrene Eigentumssituation heraufbeschwören, die heute vieles blockiert. "Ich sollte überall dabei sein", sagt Hong, "heute weiß ich, dass ich nur Dekoration war." So auch bei einem Essen mit dem Chef der Investoren-Gruppe Honua, Andrew Yang, bereits in 2006. Hong sagt: "Bei mir blieb es bei der Verwunderung, die Alarmglocken haben nicht geschrillt." Erst als der WCCB-Bau wächst und wächst, "das Chaos immer größer wird, war das Vertrauensverhältnis zwischen Kim und mir zerstört".

Der Bauherr, Kim als UNCC-Geschäftsführer, habe seine Funktion nicht erfüllt, sei selten in Bonn gewesen. So sei er, Hong, zwischendurch UNCC-Mit-Geschäftsführer geworden. Der Zugriff zu Konten und sonstigen Vollmachten sei ihm jedoch verwehrt geblieben. Hong: "Das war alles in einem chaotischen Zustand, und ich habe nach zwei Monaten alles in der UNCC wieder niedergelegt." Man-Ki Kim sei seitdem für ihn "ein sehr problematischer Partner".

Seit Oktober 2007 habe er Evi Zwiebler, die damalige Projektbeauftragte der Stadt Bonn, "regelmäßig in einem Jour Fixe über die Zustände und Änderungen auf der Baustelle informiert", sagt Hong. Kim habe kaum noch Gelder für den Baufortschritt freigegeben, weshalb Handwerker auf ihren Rechnungen sitzen blieben. Hong möchte damals eigentlich aus dem Projekt aussteigen, "aber die Stadt will weiter mit mir zusammenarbeiten". Und Hong macht klar: "Alles, was da heute steht, ist zum großen Teil auch mein Erfolg." Auch die Rolle als 92-Prozent-Gesellschafter der WCCB-Betriebsgesellschaft? Die will Hong abgeben: "Ich war Vertrauensmann zwischen allen Parteien. Ich habe die Anteile auf Wunsch der Stadt an den neuen Investor notariell beglaubigt wieder zurückgegeben."

Nach zwei Stunden im Saal "Löwenburg" landet Hong plötzlich in der Gegenwart. Immer wieder spricht er von "Katastrophe". Es existieren verschiedene Bedrohungsszenarien, die alle beim versiegenden Geldstrom zur Baustelle anknüpfen. Offenbar fehlen aktuell fünf Millionen Euro. Hong sagt: "Ein Baustopp wäre eine absolute Katastrophe, weil das Gebäude fast fertiggestellt ist, und Herbst und Winter vor der Tür stehen." Doch er signalisiert kaum Zuversicht, dass dieser verhindert werden kann. "Natürlich haben wir die Insolvenz im Blick", sagt Hong. Jeden Tag, jede Stunde könne es so weit sein, wenn der Mammut-Baustelle, einem der größten kommunalen Infrastrukturprojekte Deutschlands, die Luft ausgehe.

Das Wort "Insolvenz" ist hingegen das rote Tuch schlechthin für die Stadt Bonn - zumindest, wenn es um Hongs SMI Hyundai Europe GmbH geht. Das Unternehmen war eigens für den WCCB-Bau gegründet worden. Es ist die Schlüsselfirma, das neuralgische Zentrum der Baustelle. Es besitzt alle Pläne von der Lüftungsanlage bis zum WC. Was das bedeutet, weiß Hong sehr genau. Und was das wert ist.

Wer Fakten und Nase in den Wind hält, wittert Ungemach. Aber es naht keine Naturkatastrophe, sondern eine, die sich lange angekündigt hatte. Was man Hong glaubt und ob überhaupt, ist nicht ganz unwichtig. Aber: Alle Aussagen sind schon überlagert von der unvermeidlichen Phase der Schuldzuweisungen. Diese hat, wenngleich leise, längst begonnen.

Fortsetzung folgt

Mitarbeit: Andreas Boettcher, Ulrich Bumann, Lisa Inhoffen, Rolf Kleinfeld, Florian Ludwig, Wolfgang Pichler und Wolfgang Wiedlich

GA in ARD-Nachrichten

Alarmiert durch die Berichte des General-Anzeigers, sind mittlerweile auch andere Medien auf die WCCB-Affäre aufmerksam geworden. Ein Team der ARD-Tagesschau interviewte am Montag unter anderem GA-Redakteure. Der ARD-Beitrag zum WCCB kann über die Internet-Seite des GA, www.ga- bonn.de, abgerufen werden.