Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 09.01.2010

Ein vertraulicher Brief aus Hawaii: Die Millionenfalle, Teil 24

Das, was als nächstes zu entscheiden ist, muss nicht immer das Wichtigste sein. So gewann vor Weihnachten plötzlich die auslaufende Frist der Bundesagentur für Arbeit für das Insolvenzgeld der rund 50 Angestellten der WCCB Management GmbH oberste Priorität. Und der Rat der Stadt Bonn gab kurzerhand für einen Teil der Mitarbeiter mit 800 000 Euro eine befristete Überlebensgarantie, womit die Veranstaltungsaktivitäten in den Bestandsbauten fortgesetzt werden können. Aufatmen bei den Karnevalisten, denn das Auftaktevent des kalendarischen Frohsinns konnte damit, wie geplant, gestern Abend in der Beethovenhalle steigen. Das ist dann aber auch alles, was rund um das World Conference Center Bonn (WCCB) geplant werden kann.

Ungeklärt bleiben zu Anfang des neuen Jahres zentrale WCCB-Fragen. Nach Razzien, Verhaftungen und Insolvenzen steht die Zukunft des Bonner Zukunftsprojekts weiter in den Sternen. Nach GA-Informationen auch deshalb, weil Stadt Bonn und Sparkasse KölnBonn vehement darüber streiten, wer denn nun für die Millionen zur Vollendung des Bauwerks ins Risiko gehen soll. Dabei geht es um - geschätzte - weitere rund 40 bis 60 Millionen Euro. Nachvollziehbar ist, dass eine Bauruine nicht nur die hässlichste, sondern auch teuerste aller Aussichten ist. Das zu vermeiden, verlangt aber eine Abkehr von der Neigung vieler Beteiligten, an den vielen angehäuften Misthaufen vorbei und nur nach vorne zu schauen.

Fernab staatsanwaltlicher Ermittlungen bleibt vor allem das undurchsichtige Zahlenspiel aufzuklären: Wie viele der rund 180 Millionen sind tatsächlich verbaut worden? Absehbar: Viele unangenehme Zahlen werden für Ernüchterung sorgen und in der Summe vermutlich ergeben, was der Bürger als "dickes Ende" fürchtet. Wie dick das sein könnte, deutet der vertrauliche Zwischenbericht von PriceWaterhouseCoopers (PWC) an. Die von der Stadt beauftragten Experten errechneten einen "indikativen Ertragswert" zwischen 18 und 31 Millionen Euro. Nach Fertigstellung! Das wäre dann auch - plus/minus zehn Millionen - in etwa der Preis, den ein neuer Investor zahlen wird. Und bis zu 60 Millionen für den Fertigbau? Selbst wenn das alles keine belastbaren Endwerte sind, so vermitteln sie eine Ahnung, wie unangenehm es werden könnte.

Einstweilen hat die Stadt Bonn einen Sachstandsbericht (September) und das Städtische Gebäudemanagement (Dezember) einen Rechenschaftsbericht geliefert, wobei der städtische Bericht sich auch eher wie ein Rechtfertigungspapier liest. Tenor: Der Investor SMI Hyundai Corporation ist auf Herz und Nieren geprüft worden, die Sparkasse habe "belastbare Nachweise" zur Bonität vorgelegt, und die Stadt hatte "ergänzend eine Creditreform-Auskunft mit positiver Einschätzung eingeholt". Zudem seien die Wirtschaftspläne und Betreiberkonzepte von SMI Hyundai vom Wirtschaftsberater Michael Thielbeer bewertet worden, dessen Ergebnisse wiederum von Dritten, etwa von der Bezirksregierung, bestätigt worden seien. Dass wirkt alles wie das verkrampfte Aufrechterhalten einer Fassade, hinter der Morast und Minen liegen.

Ob der städtische Sachstandsbericht die Vergangenheit wirklichkeitsgetreu abbildet oder manche Aussage eher ins Behaupten abgleitet, lässt sich in diesen Tagen nicht klären. Die Sparkasse KölnBonn ist kraft Bankgeheimnis zum Schweigen verpflichtet und kann auf die städtischen Stellungnahmen nichts erwidern, während die Stadt sich hinter den laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungen verschanzt. Der sogenannte gesunde Menschenverstand legt jedoch nahe, dass es das Bonitäts-Gütesiegel neutraler Dritter für den "Investor" SMI Hyundai und sein Aushängeschild in Europa, Man-Ki Kim, entweder nicht gab oder der testierende Dritte nicht neutral war - so wenig wie Thielbeer. Warum musste die Stadt sonst über eine Nebenabrede zu 100 Prozent für den Kredit eines privaten "Investors" bürgen? Gerade die fehlende wirtschaftliche Potenz des Gespanns SMI/Kim, gepaart mit extrem duldsamen Stadtoberen, hatte das WCCB-Projekt in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale geführt.

Dass die Vergangenheit bei diesem Projekt keineswegs ruht, nicht ruhen kann, weil einige Akteure weiter um ihre Millionen kämpfen, überrascht nicht. In diesen Kontext passt auch der jüngste "streng vertrauliche" Brief aus Honolulu: Die von Hawaii aus agierende Investmentfirma Honua Investment Management Inc. schreibt Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch und allen Ratsmitgliedern. Darin macht Honua-Präsident und -Geschäftsführer Andrew Seung-Tae Jang unmissverständlich klar, dass er eine Hand zu Gespräch und "akzeptabler Lösung" ausstrecke, mit der anderen aber "alle rechtlichen Wege beschreiten wird, einschließlich eines umfassenden Gerichtsverfahrens gegen alle beteiligten Seiten". Man darf annehmen, dass Honua selbst massiv unter Druck und Rechtfertigung steht, schließlich ist man als Ersatzinvestor für SMI Hyundai eingesprungen und hat sich das WCCB-Abenteuer, gedacht als Anlageobjekt für koreanische Lebensversicherungsgelder des Konzerns Dongbu, rund 30 Millionen US-Dollar kosten lassen. Das Geld sollte sich langfristig vermehren, nun könnte durch die UNCC-Insolvenz alles auf einen Schlag weg sein. Dass können sich weder Honua noch Jang noch Dongbu leisten. Alle sitzen in der Rechtfertigungsfalle.

Honua, wer war das noch? Auch die Investmentfirma war dem Tausendsassa Man-Ki Kim, so erscheint es heute, auf den Leim gegangen. Von ihren vielen Millionen landeten nach Angaben der Stadt nur acht Millionen Euro auf der Baustelle. Der große Rest ging an die andere Investmentfirma Arazim Ltd. (Zypern), von der Kim sich in höchster Eigenkapitalnot zehn Millionen Euro zu 60 Prozent Zinsen geliehen hatte. Im Gegenzug überschrieb Kim Honua 94 Prozent der UNCC-Anteile (WCCB-Bauherr), woraus wiederum ein UNCC-Eigentümerstreit (siehe Kasten unten) resultierte. Dieser Streit erscheint nun obsolet und das Geld ist weg, weil die UNCC insolvent ist. Stadt und Sparkasse hatten gemeinsam die Reißleine gezogen, der UNCC die Kredite gekündigt, so die Zahlungsunfähigkeit ausgelöst und damit die UNCC-Gesellschafter quasi enteignet.

Das kann Honua nicht schmecken. Im Gegensatz zu Arazim haben die Investoren aus Hawaii tatsächlich Millionen in Bonn investiert. In seiner Weihnachtspost schreibt Jang von "Täuschungen", "schlechtem Verhalten" und "unfairer Behandlung" durch Stadt und Sparkasse. Auch davon, dass Stadt und Sparkasse versprochen hätten, einen Vergleich zwischen Honua und Arazim in der UNCC-Eigentumsfrage "finanziell zu unterstützen". Die Frage, ob Honua auf einem steinigen und langen Rechtsweg irgendwelche Erfolgsaussichten hat, kann kein Jurist heute beantworten. Nachvollziehbar ist jedoch, dass der Hauptgesellschafter der UNCC GmbH gefragt werden wollte, bevor sein Geschäftsführer Kim in der deutschen Botschaft in Washington (USA) seine Unterschrift unter einen weiteren 30-Millionen-Euro-Kreditvertrag für das UNCC setzte.

Sollte Jang mit seiner Drohung ernst machen, dürfte mancher Richter den Fall wie eine heiße Kartoffel empfinden; er müsste die ganze Angelegenheit, die Vergangenheit, neu aufrollen. Und die ist verzwickt. Das fängt mit der Frage an, wer eigentlich UNCC-Mehrheitsgesellschafter zum Zeitpunkt der neuerlichen Kreditaufnahme war. Inzwischen scheint der Zwist zwischen Arazim und Honua außergerichtlich beigelegt. Arazim-Anwalt Zvi Tirosh: "Wir haben uns geeinigt." Auf was, bleibt Geschäftsgeheimnis.

Davon abgesehen: War Kim als UNCC-Geschäftsführer überhaupt legitimiert, eine Krediterhöhung um 30 Millionen Euro ohne Zustimmung des Hauptgesellschafters abzuschließen? Einen Kredit, inzwischen 104 Millionen hoch, für den wiederum und letztlich die Stadt per erweiterter Nebenabrede haftet. Was durfte Kim und was nicht? Und wenn er nicht durfte: Was folgt dann rechtlich aus der Tatsache, dass Kim in Washington trotzdem unterschrieben hat?

Das WCCB bleibt ein durch und durch vermintes Gelände, das sich nicht mal eben erkunden lässt. Wahrscheinlich sind einige hochexplosive Minen - Rechnungen, Belege, Kontoauszüge - bereits beiseite geschafft, was Insolvenzverwalter Christopher Seagon mit "große Lücken" umschreibt. Die Suche nach den vielen unverbauten Steuerzahler-Millionen hat begonnen.

Mitarbeit: Andreas Boettcher, Lisa Inhoffen, Rita Klein, Bernd Leyendecker, Florian Ludwig

"Journalisten des Jahres":

Mit diesem Titel zeichnet das Medium-Magazin jährlich Journalisten aus, die mit besonderen Ideen, mit besonderem Engagement und mit hoher Professionalität gearbeitet haben. Einen großen Erfolg verbuchte bei der Entscheidung für die Journalisten des Jahres 2009 das Rechercheteam des Bonner General-Anzeigers über den Skandal um das World Conference Center Bonn (WCCB).

Die Jury würdigte die Arbeit an der Serie "Die Millionenfalle" und ehrte stellvertretend für das Team die GA-Redakteure Lisa Inhoffen, Rita Klein, Florian Ludwig und Wolfgang Wiedlich mit dem zweiten Platz in der Kategorie Regionales. Den ersten Platz belegte in dem bundesweiten Wettbewerb der Reporter Michael Ohnewald für seine Arbeit bei der Stuttgarter Zeitung.

Der prominent besetzten, aus 60 Journalisten und Medienexperten bestehenden Jury gehören untere anderem Claus Kleber und Gerd Ruge an. Journalist des Jahres wurde Nikolaus Brender, dessen Vertrag als Chefredakteur des ZDF nach politischem Streit nicht verlängert wurde. In der Begründung für die Auszeichnung hebt Annette Milz, Chefredakteurin des Medium-Magazins, mit Blick auf Brender und die anderen Preisträger die Kernaufgabe von Journalismus hervor: Unabhängige Aufklärung zu leisten, auch wenn sie unbequem sein mag.

Weiterer Preisträger ist unter anderem Alexander Osang vom Spiegel in der Kategorie Reporter für eine Nahaufnahme von Bundeskanzlerin Angela Merkel ("Die Schläferin"). 

Das WCCB für Einsteiger: Was bisher geschah

Die Stadt Bonn will ihren Status als UN-Stadt ausbauen und beschließt 2003 den Bau eines Weltkongresszentrums (WCCB) über einen Investor. Es folgen Architekten-Wettbewerb, Investor-Auswahlverfahren, Projektvertrag. Partner der Stadt wird 2005/06 die SMI Hyundai Corporation (Reston/USA), zunächst alleiniger Gesellschafter der UN Congress Center GmbH (Bauherr). Das gesamte Projekt inklusive eines Hotels mit 350 Betten soll 139 Millionen Euro kosten. Der Bund schenkt das Grundstück, das Land NRW gibt einen 36-Millionen-Zuschuss und die Sparkasse KölnBonn einen über die Stadt abgesicherten Kredit von zunächst 74, dann 104 Millionen.

Investor SMI Hyundai soll 40 Millionen Euro Eigenkapital beisteuern. Nach dem Spatenstich im November 2006 bringen zwei Faktoren das WCCB in Schieflage: Einmal die chronische SMI-Eigenkapitalnot, zum anderen eine Steigerung der Baukosten auf bis zu 200 Millionen Euro. SMI bringt 2007 über neue Geldgeber (Arazim, Honua) vertragswidrig neue Hauptgesellschafter in die UNCC, was einen Eigentümerstreit programmiert. Zudem kann die Baukostenexplosion nicht plausibel erklärt werden, eine tatsächliche Baukostenkontrolle fehlt.

Im September 2009 fällt das Projekt wie ein Kartenhaus in sich zusammen: Einer Verhaftungs- folgt eine Insolvenzwelle. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in alle Richtungen wegen Bestechung, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und Untreue. Gleichzeitig bemühen sich Insolvenz- und Zwangsverwalter um die Fertigstellung des WCCB.