Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 19.09.2009

Heiterborn liegt überall: Die Millionenfalle, Teil 14

Es war einmal ein Mann namens Bok-Hee Song. Eines Tages wird er von seinen weltweit agierenden Spähern informiert. Da gebe es eine Stadt in Deutschland, Heiterborn oder so, wo viele öffentliche Gelder und öffentlich besicherte Kredite für einen Freizeitpark mit Hotel bereit lägen. Song nimmt sofort Witterung auf. Was ist das für eine Stadt? Wer sind die Verantwortlichen? Wie ticken sie? Was gibt es für Gesetze? Wie wird das Verfahren ablaufen? Wie lässt sich ein Großteil der Beute sichern und möglichst wenig davon in Stahl und Beton verwandeln? Viele Fragen für Jäger Song.

Er ist ein sympathischer Mann mit außerordentlichen Talenten. Song kann zum Beispiel andere Menschen begeistern, für sich einnehmen. Ein Verkäufer von Ideen, Visionen und ein Meister im Einfühlen in fremde Mentalitäten und spezielle Bedürfnislagen. Jetzt fühlt er sich wie elektrisiert.

Song aktiviert sein Netzwerk. Zuerst Chi-Gon Kang, ein fließend Deutsch sprechender Rechtsanwalt. Song sagt über Kang: "Er weiß alles, was wichtig ist." Sie studieren die Tageszeitung von Heiterborn. Alles, was über den geplanten Freizeitpark mit Hotel informiert und die Menschen, die darüber entscheiden, saugen sie auf. Dazu deutsches Baurecht, mögliche Einschränkungen beim Umgang mit öffentlichen Mitteln. Sie sind sich einig: Das Projekt muss völlig in privaten, in ihren Händen landen. Sie taufen ihre Geheimoperation auf den Namen "fat maggot" (fette Made).

In Heiterborn liegen viele Steuergelder bereit. Das ehemalige Kohleabbau-Städtchen soll ein Ort des Erlebnis-Tourismus werden, und der Freizeitpark soll sein Herzstück sein. Alle haben schon eingewilligt und zeigten sich spendabel: Nationale und regionale Regierung, und Heiterborns Stadtväter suchen Investoren. Über die Marschrichtung herrscht parteiübergreifend Einigkeit: keine Risiken für die Stadt, viele für den Investor. Man denkt an einen 30-Jahresvertrag.

Heiterborn schreibt aus, nachdem der beste Architektenentwurf schon gefunden ist. Nun wissen die Bürger schon einmal, wie ihr Freizeitpark aussehen soll. Song und Kang finden heraus, dass ein gewisser Dr. Benedikt Rusch das Investor-Auswahlverfahren leiten wird. Er ist Rechtsanwalt, freiberuflich, unabhängig und war schon bei renommierten Firmen mit solchen Aufgaben betraut, etwa bei Geerts International Consults oder Pitch & Kickbag. Song und Kang wissen: Wer "fat maggot" filetieren will, muss zuerst Rusch erobern. An dessen Angel hängen bald mehrere Konsortien, die sich zutrauen, den Freizeitpark mit professionellem Baukosten-Controlling in Heiterborn zu errichten und später zu betreiben. Auch Song und Kang haben es dorthin geschafft.

Inzwischen sitzt auch Landsmann Ha-Neul Chang, ein Architekt, im Boot von DSZ Daimatsu International Inc., ein Unternehmen, das auf Cayman Islands residiert. Auf der DSZ-Homepage entsteht der Eindruck, als würde der Immobilien-Entwicklungskonzern ein weltweites Rad drehen. Sich "Daimatsu" zu nennen, erwies sich für Song bereits in vielen Erdwinkeln als kulturübergreifend erfolgreicher Schachzug, denn Daimatsu - ist das nicht einer der größten Unterhaltungselektronik-Hersteller der Welt? Monate vor der Investor-Entscheidung gründet Kang die Freeworld GmbH, die einmal Bauherr des Freizeitparks sein soll. Was soll noch schiefgehen?

Song und Kang haben alles durchgerechnet, die psychologische Situation in Heiterborn studiert und wollen alles, nur eines nicht: Einen Freizeitpark betreiben. Sie sind Moneymaker, und sie wissen, dass für sie nur im Bauprozess Millionen zu verdienen sind und möglicherweise später beim Verhökern der Freeworld-Anteile. Aber: Ohne Rusch im DSZ-Boot schrumpft jeder noch so ausgefuchste Plan zur Illusion. Doch der ist längst von DSZ-Fäden umsponnen - und zur Einsicht gelangt, dass zwar nicht Heiterborns Zukunft, aber seine persönliche mit DSZ Daimatsu rosig aussieht.

Song ist mittlerweile in Heiterborns Rathaus und Medien unterwegs. Er liefert eine perfekte Gegenteil-Show zur DSZ-Operation "fat maggot" ab. Song spricht von "Daimatsus wichtigstem Projekt in Europa", von "Nachhaltigkeit", sagt "I love Heiterborn" und vieles mehr. Kang assistiert: "Heiterborn hat etwas Magisches." Das erreicht die Herzen. Gleichzeitig brüten Song, Kang und Chang über der Frage, wie man "fat maggott" noch etwas mästen könnte. Wie kann man den Baukostenpreis erhöhen und die Profitspanne weiten?

Eines Tages wird Rusch im Heiterborner Stadtrat die DSZ-Mitbewerber clever wegargumentieren und für mehr Hotelzimmer und weniger Büroflächen plädieren, weil die DSZ-Daimatsu-Wirtschaftlichkeitsberechnung das nahe lege. DSZ könne mit dieser Kapazitätsverdoppelung (200 statt 100 Hotelzimmer) später die Erlössituation beim Betrieb des Freizeitparks in einer Dimension verbessern, dass DSZ vermutlich ganz auf städtische Zuschüsse verzichten könne. Das muss man einem Stadtrat nicht zweimal sagen. Es rechnet sich so besser für Heiterborns Zukunft, auch wenn mehr Hotelzimmer erstmal ein höheres Invest - 101 statt 60 Millionen Euro - bedeuten. Heiterborns Räten liegt die Zukunft ihrer Stadt wirklich am Herzen.

Songs, Kangs und Changs teuflisches Kalkül: Wie hoch die Kreditbelastung der Freeworld GmbH auch sein wird, interessiert sie nicht. Anfangs wird DSZ Daimatsu Hauptgesellschafter sein, aber eben nur anfangs. Ihnen geht es um die Verfügungsgewalt über die Baugeld-Millionen, und für den Kredit der örtlichen Sparkasse haftet letztlich die Kommune. Damit das Kalkül aufgeht, darf Heiterborn sich nicht an Freeworld beteiligen. Die denken auch nicht daran: Null Anteile gleich null Risiko und 100 Prozent Privatwirtschaft. Aber das bedeutet angesichts Millionen öffentlicher Mittel eher das Gegenteil und kaum Einfluss oder Kontrolle. Dass letzteres auch vertraglich festgeschrieben wird, dafür sorgt Kangs Kunst.

Diese mündet in einen Vertrag zwischen Heiterborn und Freeworld und gipfelt in Formulierungen, wonach Freeworld einen Freizeitpark mit einem 100-Zimmerhotel zum Preis eines 200-Zimmerhotels (101 Millionen Euro) bauen wird. Im Stadtrat wird es Jahre später heiß zugehen, weil Changs Baukosten um 38 Millionen Euro explodieren. Er wird das vor allem mit mehr Hotelzimmern begründen. Da fährt die Logik Achterbahn, und das große Rätsel bleibt ungelöst: Warum fährt Heiterborns Verwaltung mit und akzeptiert das?

Der Masterplan ist umfassend: Song, mittlerweile Freeworld-Geschäftsführer und Vertreter des alleinigen Gesellschafters DSZ Daimatsu, ist eigentlich gar kein Investor, denn er besitzt null Eigenkapital, wie es der Vertrag Freeworld/Heiterborn fordert. Song leiht es sich heimlich. Später wird er mit Changs Hilfe über die virtuelle Baukosten-Explosion und geheime Geldflüsse seine Kreditgeber befriedigen. Ein genialer, geräuschloser Weg, um öffentliche Mittel in Eigenkapital zu verwandeln. Changs Geldmaschine funktioniert. Muss sie auch, denn nicht nur Rusch fordert ein Dankeschön.

Als in einer fortgeschrittenen Bauphase das nächste Eigenkapital fällig wird und auch Heiterborns Sparkasse ernste Worte spricht, leiht Song sich nicht mehr heimlich Geld, sondern informiert die Stadtoberen über seine Not: "Ich musste als Sicherheit Freeworld-Anteile an eine Heuschrecke verpfänden." Weil er zu spät zurückzahlt, gehört Heiterborns ganzer Stolz, der werdende Freizeitpark, jetzt einer Briefkastenfirma auf Guernsey. Das realisiert Song jedoch zunächst nicht, denn er verkauft bald 94 Prozent der DSZ-Anteile an Freeworld an eine Investmentfirma auf den Fidschi-Inseln. Dafür kassiert Song 9,4 Millionen Euro. Ein ordentlicher Profit. Damit ist Heiterborns Infrastruktur-Beflügelungsprojekt nun einem bizarren Tauziehen zwischen Guernsey und Fidschi ausgesetzt.

In den Machtzirkeln der Stadt jagt unterdessen eine große Ernüchterungswelle die nächste: Gerade hat man verdaut, dass DSZ Daimatsu eine intelligente Pommesbude ist und nicht Teil eines Weltkonzerns, da erzählen sich die Fraktionsvorsitzenden beim nicht-öffentlichen Bier ein Grimm-Märchen. Es heißt "Hans im Glück". "Hans erhält als Lohn für sieben Jahre Arbeit einen kopfgroßen Klumpen Gold. Diesen tauscht er gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein, das Schwein gegen eine Gans und die Gans gibt er für einen Schleifstein mitsamt einem einfachen Feldstein her. Er glaubt, jeweils richtig zu handeln, da man ihm vorgaukelt, ein gutes Geschäft zu machen. Von Stück zu Stück hat er auf seinem Heimweg scheinbar weniger Schwierigkeiten. Zuletzt fallen ihm noch, als er trinken will, die beiden schweren Steine in einen Brunnen."

In der Tat: Vor lauter privatwirtschaftlicher Euphorie gehört Heiterborn noch nicht einmal mehr das vom Staat geschenkte Grundstück des Freizeitparks. Alles wegprivatisiert. Guernsey? Fidschi?

Hinter den Kulissen von Freeworld kennt unterdessen die Freizügigkeit keine Grenzen mehr. Song hat sie ohnehin als Selbstbedienungs GmbH verstanden. Er eilt in der Welt umher. Seine Flugtickets rechnet er über Freeworld, und damit über Heiterborns öffentliche Mittel ab. So finanziert der alte Masterplan einen neuen. Auch Rusch & Co. wollen nicht zu kurz kommen. Rusch ist inzwischen mit Chang Besitzer der neu gegründeten Betriebsgesellschaft des Freizeitparks. Viele Rechnungen der Betriebs-GmbH lässt er Freeworld, Empfänger öffentlicher Mittel, zahlen. So entsteht in der Rusch-Chang GmbH ein Plus und ausreichend Luft für eigene Gehaltsfortschritte. Eine bittere, ganz bittere Geschichte.

Als der Freizeitpark samt Hotel auf die Zielgerade biegt, naht der Winter. Viele Gebäude sind nicht fertig. Heiterborns Sparkasse hat noch Mal nachfinanziert, während es einigen Bürgern nun zu bunt wird. Sie sitzen beruflich an den Informationssträngen zwischen Freeworld, Sparkasse, Verwaltung und anderswo - und kleben über ihre Wut eine Briefmarke. Dokumente gehen an die Heiterborner Abendzeitung. Dort sitzen auch Bürger. Sie verwandeln das Info-Staffelholz in Worte und - nach vielen Nächten des Kombinierens - in Zusammenhänge. Dabei helfen wiederum andere Bürger. Jeder mit seiner Kompetenz. Die ersten Veröffentlichungen provozieren die erwarteten Reaktionen und zeigen, wie normal und menschlich Heiterborn ist - so wie der Überbringer der schlechten Nachricht seit Jahrhunderten gegeißelt wird.

Heiterborns Räte stehen unter Schock. In einer Woche ist Kommunalwahl. Wer wollte wem schaden? Die üblichen Reflexe eines Stadtparlaments; vor einer Wahl sind sie besonders heftig. Dazu Verschwörungstheorien. Wer will hier der Stadt schaden? Wo sitzen die Maulwürfe? Mit den Fakten und unvorstellbaren Zusammenhängen befasst sich niemand. Es ist ein heftiger Meteoriteneinschlag, der Heiterborn heimsucht, und auch Tage danach vernebelt der aufgewirbelte Staub noch die Gemüter. Eine Mehrheit fordert den Kopf des Bürgermeisters. Wie gesagt: Schock, Reflexe, und (noch) sieht keiner den Riesenkrater, den der Meteorit in der Stadt gerissen hat.

Alles hilft nichts. "Hans im Glück" ist ein schauerlicher Gruß aus der Wirklichkeit geworden. Der Staatsanwalt schaut schon länger nicht mehr nur zu. Bald Razzien überall. Doch zuvor laufen bei Freeworld die Schredder. Rusch und Chang sitzen bald auf unbequemen Stühlen im Kreuzverhör. Einer schweigt, der andere gesteht, zumindest teilweise. Song wird international gesucht. Vernehmungen. Dann Untersuchungs-Haft. Es geht um Betrug, Untreue, Schmiergeld und vieles mehr.

Der perfekte Masterplan wäre fast aufgegangen. Er hatte eine Lücke: Heiterborns Bürger. Mutig, konsequent und, wenns drauf ankommt, illoyal gegenüber der eigenen Ausplünderung.

Alle Schilderungen in dem veröffentlichten Text sind fiktiv. Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder realen Handlungen sind rein zufällig .