Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 27.01.2010

KIM's so genanntes Eigen-Kapital: Die Millionenfalle, Teil 25

Unterschiedliche Perspektiven führen zu unterschiedlichen Wahrnehmungen. Von ganz weit weg - aus Bürgersicht - wirkte das plötzlich taumelnde Zukunftsprojekt wie eine Naturkatastrophe, während von "näher dran" sich das Desaster vermutlich schon früher abzeichnete, etwa aus Sicht der still ermittelnden Staatsanwaltschaft. "Mitten drin" dagegen die kleinen Rathaus- und Parteizirkel, denen stets die öffentliche Meinung am Herzen liegt. Mit einer Mischung aus amtlicher Zuversicht und rheinischem Frohsinn hatte die Stadtspitze lange, zu lange den Bürgern vorgegaukelt, dass das World Conference Center Bonn (WCCB) wachse und gedeihe - auch noch, als die Lawine längst rollte. Auf die etwas anderen öffentlichen Bekanntmachungen, die der Medien, reagierten Betroffene zunächst mit Verteidigungsreflexen - mit Gegendarstellungsbegehren, versteckten Drohungen, vermeintlichen "Korrektur"-Listen oder nassforscher Desinformation. Als könnte man eine Lawine oder die Wahrheit aufhalten.

Viel Staub wurde aufgewirbelt. Er hat die Eigenschaft, dass er die Sicht trübt und Konturen von scharf zu schemenhaft verschiebt. Den Fall WCCB ohne alle Akten und Kontoauszüge aufzuschlüsseln, ähnelt dem Versuch, mit einer Fahrradpumpe den Smog aus einer Stadt zu vertreiben. Inzwischen sorgen Aufklärer für Frischluft: Untreue habe es gegeben, heißt es; Bestechung, Betrug, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Häufig heißt es auch: "im besonders schweren Fall". Die Liste ist lang. Man-Ki Kim (Investor), Michael Thielbeer (Investoren-Auswähler), Young-Ho Hong (Bauunternehmer/ Architekt), Dr. Ha-S. C. (Rechtsanwalt): Während Kim weiter flüchtig ist, mussten alle Genannten - nach "umfänglichen Aussagen" in U-Haft - ihre Pässe abgeben.

Gegen zwei städtische Projektbegleiter und die ehemalige Oberbürgermeisterin wird ebenfalls ermittelt - wegen "Untreue im besonders schweren Fall". Ansonsten schweigt Oberstaatsanwalt Fred Apostel - Auskünfte würden "die Ermittlungen gefährden". Die Behörde berichtete vage, dass die städtischen Bediensteten "in Kenntnis der wahren Umstände die Stadt Bonn in vermögensgefährdender Weise gegenüber Dritten verpflichtet" hätten. Die Sätze aus der Juristenkonserve verdeutlichte der neue Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) nur teilweise, indem er den Medien im Dezember eine Zahl nannte: Es drehe sich um 30 Millionen.

Welche speziellen 30 Millionen das sein könnten, ist unklar. So ein Betrag spielt in der WCCB-Geschichte nämlich gleich zweimal eine Schlüsselrolle. Zuletzt im Mai 2009: Da stimmte der Stadtrat einer Kreditaufstockung für den Bauherrn zu - von 74 Millionen Euro auf 104, nachdem die ehemalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann den Volksvertretern dies als die "risikoärmste Lösung" dargestellt hatte, um einen Baustopp zu verhindern. Wer damals den Arm hob, stimmte dafür, dass die Stadt nun nicht mehr für 74, sondern für 104 Millionen bürgt. Der Fachterminus dazu heißt: Erweiterung der Nebenabrede. Es sollte weitergehen wie bisher: Die Sparkasse KölnBonn gibt Millionen, die UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC) verbaut und verplant sie, die Stadt und die Bürger haften.

"Untreueverdacht" - falls er zuträfe, könnte das bedeuten: Die Stadtführung wusste bei der Ratsentscheidung bereits, dass das WCCB wirtschaftlich dem schiefen Turm von Pisa glich und die neue Geldspritze nur den Beichttermin hinauszögerte. Schließlich rückte die Kommunalwahl näher, und die letzten Tage vor dem Urnengang waren geprägt von einer aus dem Rathaus lancierten Orakelei darüber, ob ein auf Hawaii sitzender Investor weitere Millionen für den Weiterbau spendiert. Natürlich kam das Geld nicht, wie Wochen und Monate zuvor auch nicht.

In jedem Fall berührt die seit langem gestellte Frage "Wer wusste was wann?" den sogenannten heißen Brei. Was gewusst? Dass der "Investor" Kim keiner war, sondern eher eine Art Null-Euro-Mann. Wann gewusst? Schon zum Baubeginn im November 2006? Oder erst im Sommer 2009, als der Baukredit der Sparkasse aufgestockt wurde?

Spannende Fragen. Ein Spaziergang auf der Zeitachse führt etwas mehr als drei Jahre zurück - zum WCCB-Spatenstich am 3. November 2006. Zu diesem Zeitpunkt sollte Kim (so fordert es der Projektvertrag) zehn Millionen eingezahlt, "nach Abschluss der denkmalpflegerischen Arbeiten" insgesamt 40 Millionen Euro Eigenkapital nachgewiesen haben.

Es gab zu dieser Zeit Hinweise, dass die Kehrseite der Lichtgestalt Kim aus chronischer Kapitalschwäche bestand. Er fiel etwa durch profane private Mietrückstände auf. Dennoch verbürgte die Stadt sich für den Bauherrn UNCC (dessen Geschäftsführer Kim bis heute ist). Sie bürgte zunächst für 74 Millionen Euro. Die Stadtspitze zeigte zudem arg viel Laissez-faire und Vertrauen: Sie ließ Kim am Steuer der WCCB-Karosse sitzen, auf dem Beifahrersitz dessen Vertrauten Young-Ho Hong und auf den Rücksitzen den Rest des verschworenen Teams. Sich selbst ließ sie im Kofferraum verstauen. Von dort konnte der eigentliche Finanzier des Projekts die Millionenreise kaum noch beeinflussen.

Folgt man städtischen Darstellungen und einem Landgerichtsurteil, hatte Kim vertragskonform die ersten zehn Millionen Euro zu Baubeginn aufgebracht. Diese hatte er auf das UNCC-Konto dem Vernehmen nach als Stammkapital eingezahlt. Ob es sich um "Geld am Gummiband" handelte, bleibt offen. Insider nennen Zahlungen so, wenn diese später, wenn die Kasse gefüllt ist, wieder zurückgeholt werden. Spekulation: Hat Kim sich Teile der ersten zehn Millionen, möglicherweise geliehenen, über Phantom-Baurechnungen im Zuge der rätselhaften Baukostenexplosion wieder zurückgeholt?

Egal, wo diese ersten zehn Millionen aber herkamen: Als Kim sie aufgebracht hatte, fehlten an seinem "Eigenkapital" immer noch 30 Millionen. Meinte Nimptsch diese 30 Millionen?

Der Bürger versteht unter "Eigen"-Kapital etwas, was ihm gehört. Etwa angelegte Ersparnisse oder Geld unterm Kopfkissen. Dieses Verständnis verschwimmt, je mehr Nullen im Spiel sind. Investoren können Eigenkapital (so etwas ist üblich) auch nachweisen, indem sie einen Kredit aufnehmen. Eine Bank gewährt den jedoch nur, wenn sie dafür ein Pfand, eine Sicherheit erhält. Häuser, Lebensversicherungen, Aktien, Grundstücke, Firmenanteile - vieles taugt. Auf diese Weise kann "Eigenkapital" drauf stehen und "Kredit" drin sein. Dennoch bleibt der Kredit Eigenkapital, weil Vermögen als Sicherheit hinterlegt ist. Der Bürger kennt das, wenn er sagt: "Mein Reihenhaus gehört der Bank." Es ist somit unspektakulär, wenn ein vermögender Investor sein Eigenkapital über einen Kreditvertrag nachweist.

Beim WCCB-Projekt war das im Projektvertrag geforderte Eigenkapital eine nachvollziehbare Bedingung: Damit sollte Kim Ernsthaftigkeit beweisen und jenes Vertrauen rechtfertigen, mit dem die Stadt ihm guten Gewissens mehr als 100 öffentliche Millionen Euro überließ. Fakt ist: Kims Eigenkapital wurde durch einen 30-Millionen-Kredit bei der Sparkasse KölnBonn nachgewiesen. Gesichert ist aber auch, dass der Südkoreaner bei den Banken das war, was der Volksmund "unten durch" nennt. Man darf annehmen, dass die Irrationalitäten in der Finanzwelt noch nicht so weit gingen, solche Summen ohne Sicherheit zu verleihen. Womit hat Kim also die Millionen besichert? Welches Pfand hat die Bank akzeptiert? Hat ein Dritter gebürgt? Wer hinter das Bankgeheimnis schauen könnte, wüsste es.

Der Kreditvertrag enthielt Tilgungstermine, die Kim jedoch nicht einhielt. Längst war er ein Gehetzter seiner fehlenden Kreditwürdigkeit geworden. Sechs Monate tingelte Kim geldsuchend durch Europa. Schließlich landete er in London in den Armen einer Finanzheuschrecke, wo er 60 Prozent Wucherzinsen zahlen musste, um wenigstens ein Drittel seines Kredits zurückzuzahlen.

Wie im Kleinen so im Großen: Einer, der nichts hat, bezahlt alte Schulden mit neuen. So geriet Kim in eine Schuldenfalle, die ihn schließlich um den halben Erdball trieb - von Zypern (Arazim) bis nach Hawaii (Honua). Zum Schluss hatte er rund 18 der 30 Millionen zurückbezahlt. Zwölf fehlten noch. Zudem hatte er 94 Prozent des Projekts gleich doppelt verpfändet (der GA berichtete). So geriet das WCCB-Zukunftsprojekt vollends in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale.

Die Frage bleibt: Womit hat Kim seinen 30-Millionen-Eigenkapital-Kredit besichert? Hierzu lohnt es, einen Blick in den sogenannten Sachstandsbericht der Stadt Bonn zu werfen. Zur Erinnerung: Im August 2009 begann die Öffentlichkeit in Sachen WCCB kritisch nachzufragen. Mitte September gab die Stadtverwaltung erste Antworten. Ein Auszug:

"Die Sparkasse war zur weiteren Kreditgewährung (von 74 auf 104 Mio. Euro/Anm. d. Red.) nur bereit, wenn das von der Sparkasse vorfinanzierte und bislang nicht eingegangene Eigenkapital (ca. 12 Mio. Euro) und angefallene Finanzierungskosten (ca. 2,3 Mio. Euro) in die Sicherheit der neuen Nebenabrede aufgenommen werden."

Wir wissen: Im Mai wurde die Baukredit-Erhöhung vom Rat gewährt. Also ließe sich folgern: Seitdem bürgt die Stadt auch für den Rest von Kims Eigenkapital-Kredit. Das hieße: Stadt und Einwohner bürgen für 104 Millionen Baukosten plus 12,0 Kim-Eigenkapital-Kredit plus 2,3 Zinsen. In der Summe also für rund 118 Millionen Euro.

Die Formulierung suggeriert, dass die Sparkasse bis Mitte 2009 alle Bankervorsicht vergessen habe. Gemäß des "Sachstandsberichts" wollte die Bank für Kims Kredit plötzlich von der Stadt eine Sicherheit. Hatte sie also zuvor keine? Hat die Sparkasse KölnBonn einem Habenichts stolze 30 Millionen einfach so gewährt? Kaum vorstellbar. Und so war es wohl auch nicht: Nach GA-Informationen ist das Geldinstitut nie ein Risiko eingegangen. Falls das stimmt, hätte also irgendjemand schon vorher für Kims 30 Millionen gebürgt. Aber wer?

Eine Ungereimtheit: In der Vereinbarung zwischen Sparkasse und Stadt zur Baukredit-Erhöhung (sie liegt dem GA vor) ist die "Erweiterung der Nebenabrede" (Bürgschaft) auf 104 Millionen enthalten. Von der Haftung der Stadt für Kims restliche zwölf Millionen Eigenkapital aber: kein Wort. Das Dokument belegt nicht, was im "Sachstandsbericht" behauptet wird. Ein neues Rätsel. Ein weiteres: Warum wurde der "Sachstandsbericht" von der städtischen Homepage www.bonn.de bald wieder entfernt?

Folgt man dieser Einladung zur Spekulation, könnte man annehmen: Der zitierte Satz war eine Nebelkerze und sollte vielleicht verschleiern, dass die Stadt von Anfang an für Kims Eigenkapital bürgte. Das würde überraschen, denn eine solche Haftungsverpflichtung wurde vom Rat der Stadt Bonn nie abgesegnet. Zudem hieße das: Die Stadt bürgt insgeheim sogar für den Vertrauensbeweis, den sie eigentlich von Kim hätte verlangen sollen. Damit wäre Kim als "privater Investor" völlig ad absurdum geführt. Auch hier könnte Untreue vorliegen.

Fazit: Um welche 30 Millionen es sich handelt, ist offen. Auch dem Rathaus ist nichts zu entlocken. Fragen des General-Anzeigers hierzu blieben (mit der "Bitte um Verständnis") unbeantwortet. Das überrascht nicht. Einige Fragen kann die Stadt oder möchte sie aus taktischen Gründen (noch) nicht beantworten. Sie fürchtet sonst offenbar Nachteile auf dem unberechenbaren WCCB-Schachbrett. Dort stehen nun Sparkasse, Stadt sowie Insolvenz- und Zwangsverwalter. Jeder hat andere Interessen. Auch mit lauernden Heckenschützen muss jederzeit gerechnet werden. Sie drücken auf den Abzug, sobald einer der Hauptspieler den nächsten, unbedachten Zug macht.