Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 12.09.2012

Millionenfalle, Teil 84: 29 Tathandlungen zwischen Untreue und Betrug verteilen sich auf vier Person

Damit sind neben Eva-Maria Zwiebler (Beihilfe zur Untreue) und Arno Hübner (Untreue) von der städtischen Projektgruppe nunmehr fünf ehemalige beziehungsweise aktuelle Angestellte der Stadt Angeklagte. Nur das Verfahren gegen die ehemalige OB Bärbel Dieckmann (SPD) wurde eingestellt.

Dass nun auch Friedhelm Naujoks, der ehemalige SGB-Chef und WCCB-Chefcontroller, wegen Betruges und Untreue und jeweils im besonders schweren Fall angeklagt wird, hat jedoch vorerst keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen, auch nicht auf das politische Hickhack um seine 400.000-Euro-Abfindung. Es gilt die Unschuldsvermutung. Nur ein Urteil könnte alles ändern.

Allein der gestrige Anklagekomplex umfasst 29 Tathandlungen, verteilt auf vier Personen. Das in mehr als 50 Razzien sichergestellte Beweismaterial dürfte in eine Leseorgie für Richter und Anwälte ausarten: Die Akten füllen 115 Kisten. "Wir mussten für die Fahrt zum Gericht extra einen Lkw anmieten", berichtet Oberstaatsanwalt Fred Apostel.

Auch Naujoks' SGB-Kollegen Bernhard Arzdorf (Untreue) und Detmar Kühl (Untreue und Betrug) sind betroffen. "Die Schwellen zum besonders schweren Fall sind bei allen Angeklagten bei weitem überschritten", sagt Apostel. Dies dürfte insbesondere für WCCB-Bauunternehmer Young-Ho Hong von der insolventen SMI Hyundai Europe GmbH gelten. Er ist wegen Betruges und Untreue im besonders schweren Fall angeklagt. Hinzu kommen "Beihilfe zum Beitrug" sowie "Anstiftung zum Parteienverrat". Allein über 16 von 29 "selbständigen Handlungen" steht der Name Hong.

Der Berliner Südkoreaner und Naujoks sind Schlüsselfiguren auf dem WCCB-Schachbrett: Naujoks sollte Hong kontrollieren, vor allem dessen Rechnungen. Folgt man dem Rechnungsprüfungsamt (RPA), ist das nicht nur gründlich misslungen, sondern es wurde meist gar nicht geprüft. Der "so" Geprüfte muss das bald als Gelegenheit empfunden haben. Hong hantierte mit Millionen, die ihm "Investor" und Bauherr Man-Ki Kim überwies, letztlich alles öffentliche Millionen.

Das wäre kraft Amtes ein zusätzliches Motiv für Naujoks gewesen, ganz genau hinzuschauen, zumal die Stadt für dieses genaue Hinschauen sein Jahresgehalt um 25.000 Euro erhöht hatte - auf 175.000 Euro.

Während im aktuellen Prozess gegen Man-Ki Kim & Co. die Investor-Anbahnungsphase durchleuchtet wird, springt die gestrige Anklagewelle mitten in die Planungs- und Bauphase - und überspringt eine Klippe, die Friedel Frechen, bis März 2011 Pressesprecher der Stadt, Ende August 2009 noch für unvorstellbar gehalten haben muss. Jahrelang hatte Frechen über das Problemlos-WCCB "informiert" und versichert, dass SGB-Chef Naujoks alles im Griff habe. Selbst als der General-Anzeiger im August 2009 mit drei Millionenfallen den Blick hinter die Kulissen wagte und auf Verwerfungen und Fahrlässigkeiten aller Art blickte, steuerte die Stimme der obersten Heeresleitung nicht um und lief nach GA-Informationen triumphierend mit den Worten "34 Fehler in drei Folgen" durch das Rathaus.

Dem GA listete Frechen alle "Fehler" auf. Kostproben: "6,1 Mio. Honorar für Umplanungen: Das städtische Controlling hat sich davon überzeugt, dass dieses Honorar angemessen ist." Oder zur WCCB-Baufirma SMI Hyundai Europe von Young-Ho Hong: "Das städtische Controlling hat bestätigt, dass andere Firmen deutlich teurer gewesen wären." Und zur Nebenabrede (Bürgschaft) der Stadt mit der Sparkasse: "Die Stadt haftet nur für die Zinsen." Oder: "Die Stadt kontrolliert, dass die Gelder (öffentliche bzw. aus dem Kredit) nur für den Bau verwendet werden." (Tatsächlich bürgt die Stadt für den Kredit / Anm. d. Red.). Schön wär's, wenn wahr wäre, was der vom Steuerzahler bezahlte Frechen dem Steuerzahler damals alles meldete.

Bereits im Dezember 2009 hatte das SGB in seinem Rechenschaftsbericht zugegeben, dass man nur jede fünfte Rechnung im WCCB-Komplex geprüft hat - mehr sei "vertraglich nicht gefordert" und "mit dem vereinbarten Personaleinsatz" auch nicht zu leisten gewesen. Da waren die ersten Razzien bereits Geschichte und die Rechenschaft schon ein Stück Rechtfertigung.

Im April 2010 gelangte der WCCB-Report des RPA in die Medien. Was dort mit großer Akribie aus städtischen Akten (siehe Millionenfalle 33 bis 35) offengelegt wurde, schockierte Kommunalpolitik und Bürger. Den RPA-Prüfern Helga Kaspari und Christian Gollnick war es gelungen, das Chaos zu entwirren und einen mit Fakten hinterlegten roten Faden zu spinnen. Danach prüfte das SGB nur die Addition von Hongs Kostenaufstellungen - ohne Rechnungen. Die fehlten. Trotzdem stempelte das SGB alles mit "sachlich und rechnerisch richtig" zur Zahlung frei. So wurde auch ein Tetris-Gewinnspiel über 892,50 Euro als "bau- oder projektrelevant" durchgewunken. "Tetris" wurde zweimal eingereicht - und zweimal anerkannt.

Ebenso Baumrodung oder Bauzaun. "Doppelt abrechnen" schien System zu haben, nicht nur bei - im WCCB-Maßstab - Kleckerbeträgen.

Manchmal flog einer der jetzt mitangeklagten SGB-Mitarbeiter auch nach Berlin, um Hongs Rechnungen zu prüfen. Er scheint überhaupt nicht deppert oder naiv gewesen zu sein. Aus seinen handschriftlichen Notizen: "Betrug oder was?". Oder: "Komm, wir machen halbe-halbe."

Das lasche Prüfgebaren förderte die Neigung zur Selbstbedienung, womit die Baukasse sich im Schweinsgalopp leerte. Alles mündet schließlich in eine mysteriöse Baukostenexplosion von rund 60 Millionen. Anfang 2009 braucht es deshalb frisches Geld. Vor dem Rat wird das - von Hong und Naujoks gemeinsam - begründet mit einem höheren Baukostenindex und - ganz kreativ - einer höheren Hotelzimmerzahl (siehe Millionenfalle 7). Da wird es einigen Stadträten im Mai 2009 zu bunt: Die Grünen organisieren mit der CDU eine Ratsmehrheit, die beim RPA eine WCCB-Prüfung beauftragt. Trotzdem bewilligt der Rat im Mai 2009 weitere 30 Millionen Euro und erweitert die städtische Nebenabrede (Bürgschaft) gegenüber der Sparkasse auf dann 104,3 Millionen, um einen drohenden Baustopp zu verhindern. Davon landeten jedoch nur 15,3 Millionen auf der Baustelle. Der Rest ging zur Sparkasse, um das fehlende Eigenkapital von "Investor" Kim auszugleichen. Das wusste der Rat jedoch nicht.

Nun sind Prüfer und Geprüfter gemeinsam angeklagt. Hong hatte bereits im Dezember 2011 mehr oder weniger freiwillig knapp drei Millionen Euro an Insolvenzverwalter Christopher Seagon gezahlt. Eine außergerichtliche Einigung. Seagon hatte zuvor einen Forensiker mit Stabsabteilung, Spürnasen für Korruptionsdelikte, von der Kette gelassen. Dessen Funde müssen erfreulich gewesen sein, sonst hätte Hong kaum mit drei Millionen den Spuk für sich beendet.

Einst führte er vor dem WCCB ein kleines Architektenbüro in Berlin, heute besitzt er nach GA-Informationen Eigentumswohnungen im hochpreisigen Tiergarten, die er alle auf seine Frau überschrieben haben soll. Nach GA-Informationen soll Seagon das Volumen von Hongs Luftnummern auf rund fünf Millionen beziffert haben. Das deckt sich mit der Bonner Schadensersatzforderung an Hong.

Das WCCB bleibt indes schwer verdauliche Kost. Diese Anklageschrift setzt das nahtlos fort. Die dargestellten Sachverhalte spiegeln eine Raffinesse, die kaum mehr lesernah zu beschreiben ist. Sie senden auch eine Botschaft: Hong steuerte seine Baufirma offenbar zielstrebig in den Konkurs. Den Weg dahin beschreibt Apostel:"Er entzog der SMI Europe gezielt Gelder, um sie sich selbst einzuverleiben."

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