Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 19.03.2010

Rote Karte für Herrn Schultze: Die Millionenfalle, Teil 29

Young-Ho Hong ist ein unbedeutender Architekt in Berlin. Dann wendet sich das Blatt. Er knackt den Jackpot, indem er Teil des SMI-Hyundai-Systems wird, das mit sensiblen Antennen öffentliche Investitionsprojekte aufspürt und sich diese mit ausgeklügelten Methoden einverleibt. Im World Conference Center Bonn (WCCB) sind mehr als 155 Millionen Euro angehäuft. Kein kleiner Fisch. WCCB-Architekt Hong wird plötzlich ganz viel Geld verdienen. Allein als Geschäftsführer seiner Baufirma SMI Hyundai Europe streicht er zwischen 20 000 und 29 000 Euro pro Monat ein, dazu ist er noch geschäftsführender Gesellschafter von zwei anderen WCCB-involvierten GmbHs, die gegen Millionen-Honorare mitplanen und angeblich vor allem umplanen, auch im Auftrag der Betreibergesellschaft WCCB GmbH.

Nicht nur Hong hat unter dem Stern des WCCB mehr verdient als die deutsche Bundeskanzlerin. Vielleicht musste der freundliche Herr Hong vom Reichtum auch einige Scheiben abgeben, um jenen Mitspielern zu danken, die die südkoreanische Crew überhaupt an den Start des Millionenspiels gebracht haben. Ob das Schicksal es mit Hong gut oder schlecht meinte, fragt er sich vermutlich selbst in diesen Tagen. Seine Firma SMI Hyundai Europe ist insolvent und ihm droht eine Anklage wegen Bestechung im besonders schweren Fall.

Rund ums WCCB gibt es einige Personen, die zunächst glauben konnten, das große Los gezogen zu haben. Bauherr, Baufirma, alte und neue Betreibergesellschaft: Vier neu gegründete GmbHs, bei denen der eine mal hier, mal dort Geschäftsführer war oder - auch das gab es - bei zwei GmbHs gleichzeitig. Dazu wechselnde Gesellschafter und -anteile. Doch in die anfangs auf einen Masterplan eingeschworene Gemeinschaft nistete sich offenbar irgendwann das Virus der Gier ein. Als alle realisiert hatten, dass laxe städtische Aufsicht und Kontrolle einen Selbstbedienungsladen geschaffen hatten, wollte keiner zu kurz kommen.

In der Schusslinie stehen meist Hongs Baufirma SMI Hyundai Europe (Berlin) sowie Bauherr und "Investor" Man-Ki Kim mit "seiner" UNCC, was in der öffentlichen Wahrnehmung Schatten für die Betreibergesellschaft spendete. Sie hat einen langen Namen: World Conference Center Bonn Management GmbH (WCCB GmbH). Sie lebte nur kurz und überlebte dank öffentlicher Zuschüsse (siehe Grafik): Am 1. September 2008 nahm sie ihren Geschäftsbetrieb auf, bereits am 5. Oktober 2009 stellte Matthias Schultze, der verbliebene von zwei Geschäftsführern, Insolvenzantrag. Pech gehabt: Kim hatte die WCCB GmbH in die Mithaftung für einen 30-Millionen-Kredit genommen, mit dem er sein Eigenkapital "nachwies". Als die Sparkasse KölnBonn alle WCCB-Kredite kündigte, geriet auch die Betreibergesellschaft in die Insolvenzlawine - und damit unter die Lupe von Insolvenzverwalter Christopher Seagon.

Dessen erste Berichte legten manches Baukostenleck bei Hongs Firma und der UNCC offen. Hier (SMI Europe) dokumentierte er mysteriöse Darlehen, dort (UNCC) große Buchungslücken. Zumindest verfügte die WCCB GmbH - im Gegensatz zu der UNCC GmbH - über eine Buchführung, die sich so nennen darf. Ob die dem Buchstaben des Gesetzes folgte, ist eine andere Frage.

Als einige Bonner Ratsvertreter in die WCCB-GmbH-Bücher blicken durften, atmeteten sie den Hauch leichter Dekadenz und blickten auf Belege, die von einem Leben in "Saus und Braus" berichteten. "Die Herren Geschäftsführer", so ein Ratsherr, der nicht der SPD angehört, "speisten regelmäßig in feinen Restaurants, schliefen in Top-Hotels und fuhren dicke Autos und vieles mehr. Kostenbewusstsein null, weil ja immer genug öffentliches Geld da war. Die praktizierten ein Geschäftsgebaren, das keiner wirtschaftlichen Überprüfung standhält." Ein anderer sagt nur ein Wort: "Unmoralisch."

Auffällig: Ein Unternehmen mit unter vier Millionen Euro Umsatz leistet sich zwei geschäftsführende Gesellschafter - Michael Thielbeer und Schultze - plus Hoteldirektor (noch ohne Hotel) mit einer jährlichen Gehaltssumme von rund 500 000 Euro. Dazu 64 Mitarbeiter. Alles überdimensioniert. So drohte die WCCB GmbH trotz üppiger öffentlicher Zuschüsse ins Minus zu rutschen, was stark erklärungsbedürftig gewesen wäre. Pfiffiger Ausweg: Große Kostenblöcke wurden einfach einer anderen GmbH umgehängt. Und die hieß UNCC - dort, wo Seagon teilweise überhaupt keine Kontoauszüge fand.

Offenbar ein eingespieltes Verfahren: Schon die Vorgängerin der WCCB GmbH, die SMI Hyundai Management GmbH, wo Schultze fast zur Hälfte der späteren Bezüge ebenfalls Geschäftsführer war, ließ ihre Energiekosten aus der WCCB-Baukasse der UNCC zahlen. Das bestätigt die Erkenntnis eines GA-Informanten, der bereits im Herbst 2009 berichtete: "Man nahm das Geld dort, wo gerade etwas lag."

Übertragen auf das tägliche Leben von jedermann: Die eigenen Stromkosten zahlt der Nachbar von gegenüber, die Heizkosten der Nachbar zur linken, die Leasingraten - 3 250 Euro im Monat - für die dicken Schlitten der Nachbar zur rechten. Aus Seagons Report zur WCCB GmbH: "So zahlte die UNCC den Hauptteil der Fernwärme und Wasserkosten, die sich im Jahr 2007 auf rund 710 000 Euro und 2008 auf rund 840 000 Euro beliefen." Auch die Auto- und Telekommunikationskosten seien von Dritten bezahlt worden. Im Klartext: So schrumpfte der Inhalt der UNCC-Baukasse, womit der Betriebskostenzuschuss frei wurde für andere Zwecke.

Man hat es fast vergessen: Hauptgesellschafter der WCCB GmbH wurde mit 92 Prozent der Anteile Hong, der Kopf der Baufirma, die nebenan mit ausgeprägtem Minimalismus (siehe Millionenfalle 20) das Bonner Zukunftsprojekt baute. Was hatte Hong da zu suchen? Aber man muss weiter zurückgehen, um alles zu verstehen.

Rückblende: 2004/2005 bewerben sich einige Konsortien und Unternehmen als WCCB-Investor, nicht nur SMI Hyundai Corporation. Der GA interviewt sie vier Jahre später. Übereinstimmend und unabhängig voneinander berichten alle von "250 000 Euro", die der städtische Investorenauswähler Thielbeer verlangt habe, dazu "später eine Festanstellung".

September 2009: Dem GA liegen Kopien von Thielbeer-Beraterrechnungen an verschiedene GmbHs im Kim-Hong-Geflecht vor. Summe: rund 250 000 Euro. Zufall? Schließlich komplettiert der Geschäftsführerposten bei der WCCB GmbH das Dankeschön des ausgewählten "Investors". Die Südkoreaner halten Wort. Hong gibt beim Verhör in U-Haft zu, dass die Leistungen an Thielbeer "ohne Gegenleistungen" erfolgten, eben Schmiergeld waren.

Kaum war Seagon am Ruder, entließ er Thielbeer. Der hatte lange schweigend in U-Haft gesessen. Gegen ihn wird wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr im besonders schweren Fall ermittelt. Schultze durfte erstmal seinen Job behalten. Seagon halbierte sein Gehalt und übergab ihm den neuen Dienstwagen - einen VW Golf. Schultze akzeptierte. Er ist der einzige aus den WCCB-involvierten Führungsetagen, gegen den der Staatsanwalt nicht ermittelt.

Dennoch: Was hat Schultze gewusst? Ist es vorstellbar, dass ein Geschäftsführer nicht weiß, wer die Rechnungen seiner GmbH bezahlt? Oder seinen Dienstwagen? Ein Geschäftsführer führt eigentlich die Geschäfte: Merkte Schultze nicht, dass seine GmbH über ihre Verhältnisse lebt? Der GA wollte mit ihm sprechen. Schultze: "Kein Kommentar."

"Mich nervt", sagt ein Ratsherr, "dass der immer sagt, der andere (Thielbeer/Anm. d. Red.) war's." Hong berichtet im September 2009 gegenüber dem GA: "Der Schultze wollte gleich so viel verdienen wie der Thielbeer, aber den habe ich ausgebremst." Bei Thielbeer gab es offenbar über die erwähnten 250 000 Euro hinaus monetäre Zusagen, die zu erfüllen waren. So startete er mit 198 000 Euro Jahresgehalt, so berichten diejenigen, die Akteneinsicht nehmen durften, und Schultze musste sich mit 28 000 weniger begnügen.

Wie dem auch sei: Als seien die wirtschaftliche Not im Stadthaushalt und das WCCB-Chaos noch nicht groß genug, regieren im Rat weiter Verteidigungsreflexe, Lagerdenken und die chronische Sehnsucht nach Profilierung. Als würde sich an der "Personalie Schultze" die WCCB-Zukunft entscheiden.

Die schwarz-grüne Mehrheit hat dem letzten WCCB-GmbH-Geschäftsführer die Rote Karte gezeigt und plädiert für einen glatten Schnitt. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wilfried Klein spricht von "schwarz-grüner Säuberungspolitik" (als müsste nicht "gesäubert" werden) und Michael Faber von der Linksfraktion von einem "Bauernopfer".

Der Bürger wünscht sich dagegen nur eines: Ein Weltkongresszentrum, das kein Selbstbedienungsladen ist und - vor allem - Aufklärung über verschwundene und veruntreute Millionen. Schließlich sind es seine.

Zur Person

Der Betriebswirt Matthias Schultze (38) war von 2003 bis 2006 bei der Gegenbauer Location Management & Services angestellt und zuständig für das Internationale Kongresszentrum Bundeshaus Bonn (heute: World Conference Center Bonn). Nachdem die Stadt sich Ende 2005 für SMI Hyundai Corporation mit Man-Ki Kim an der Spitze als Investor des zu bauenden WCCB entschieden hatte, wurde die Betreibung der Bestandsbauten (Plenarsaal, Wasserwerk, Beethovenhalle) Anfang 2007 der neu gegründeten SMI Hyundai Management GmbH übertragen. Schultze "wanderte" mit und erhielt den Titel "Vizepräsident". Irrwege Kims bei der Beschaffung seines WCCB-Eigenkapitals verursachten ein Verpfändungsrisiko für die Betreiberfirma. Im August 2008 wurde eine neue Betreiberfirma gegründet: Die WCCB Management Bonn GmbH nahm ihre Geschäfte einen Monat später auf. Geschäftsführer wurden Schultze und Michael Thielbeer.