Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 29.04.2010

Tarnen, Tricksen, Täuschen

Diesmal kam die Aufklärung aus dem Briefkasten: Jedes Stadtratsmitglied erhielt den streng geheimen Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) über den städtischen Umgang mit Steuerzahler-Millionen bei Planung und Bau des World Conference Center Bonn (WCCB) individuell nach Hause geliefert. Der 475-Seiten-Report über Leichtsinn und Verschwendung, formuliert in der nüchternen Sprache eines Prüfers, wirkt sperrig, ist aber spannend und durch die Brille des Steuerzahlers auch eine Quelle des Zorns. Ein Faktenkrimi. Allein die ersten 86 Seiten, eine Chronologie der Geschehnisse im O-Ton aus Mails und Dokumenten, zeigt, wie sehr das Millionenprojekt schon vor dem Startschuss ein Himmelfahrtskommando war.

Der Lesefluss wird jedoch etwas behindert. Jeder Empfänger liest seinen Namen auf jeder Seite. Es gibt keine größeren Buchstaben als den des eigenen Namens - in fettem Grau hinter den schwarzen Text geblendet. Das soll gewählte Volksvertreter auf jeder Seite daran erinnern, auf welcher Seite sie nun wirklich stehen - und abschrecken, Kopien des RPA-Berichts zu verbreiten, damit unbequeme Inhalte nicht Bürger und Leser erreichen.

LIBERTATEM QUAM PEPERERE MAIORES DIGNE STUDEAT SERVARE POSTERITAS. Das steht über dem Hamburger Rathaus und heißt: "Die Freiheit, die die Älteren erwarben, bemühe sich die Nachkommenschaft würdig zu hüten." Es ist nur ein Randaspekt der sich nun in viele Skandälchen aufsplitternden WCCB-Katastrophe, aber der Aufwand der Stadtspitze fällt auf: Sie scheut keinen Euro und Einsatz, um das Volk vor unbequemen WCCB-Wahrheiten zu "schützen".

Wenn heute Abend der Rat der Stadt Bonn zum WCCB tagt, dürften alle 80 Volksvertreter RPA-belesen sein: Sie sind nicht nur am 7. Mai 2009 von der Verwaltungsspitze unter der ehemaligen Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD) hinters Licht geführt worden, sondern nach Ansicht des RPA bereits im Frühjahr 2007.

Rückblende. Händeringend mailt Eva-Maria Zwiebler, städtische WCCB-Projektbeauftragte, am 5. Juli 2005 an den "unabhängigen" städtischen Berater Michael Thielbeer: "Ich brauche ganz dringend Material über SMI und Hyundai von Ihnen. Noch finde ich im Internet nichts, was ich gebrauchen kann! Es wäre gut, wenn ich auch von Ihnen als Berater der Stadt eine schriftliche Empfehlung hätte, dass wir jetzt mit SMI Hyundai weitermachen sollen." Sie fragt: Was hat das Unternehmen in Sachen Bauen und Kongress bisher geleistet? Wo stehen die Hotels, die sie gebaut haben? Am nächsten Abend soll den Fraktionsvorsitzenden der Parteien berichtet werden. Zwiebler klingt etwas verzweifelt. Sie müsse "etwas Material dabei haben, sonst lassen die das Ding vielleicht platzen!!" Man könne jetzt nicht mehr sagen, "wir glauben oder vermuten, sondern jetzt müssen wir Belege vorlegen".

Nicht nur Zwiebler fällt es 2005 schwer, im Internet etwas Aussagekräftiges über SMI Hyundai Corporation herauszufinden. Verstand man hingegen Man-Ki Kims Andeutungen so, wie sie gemeint waren, sind Kim und SMI Teil eines Mischkonzerns, der Hyundai Kia Automotive Group, in der auch der fünftgrößte Automobilkonzern der Welt beheimatet ist. Wahrscheinlich, könnte man annehmen, ist die unbedeutende Tochter eine marginale Notiz auf der Homepage einer so erfolgreichen Company - und deshalb nur schwer auffindbar.

Thielbeer versteht Zwieblers Nöte. Gerne hilft er umgehend und im Sinne seines mutmaßlich zweiten Auftraggebers SMI Hyundai. Fazit der Experten vom Rechnungsprüfungsamt (RPA): Thielbeer stelle dar, "dass die Hyundai-Gruppe zu den 100 umsatzstärksten Industrieunternehmen der Welt gehört". Thielbeer wörtlich: "Im Hinblick auf die finanzielle Absicherung des Projektes ist der Konzernhintergrund Hyundai ein deutliches Plus gegenüber allen anderen denkbaren Konstellationen." Das beruhigt. Der Berater wird indes, nachdem er die SMI Hyundai mit seinen Expertisen als WCCB-Investor inthronisiert hat, bald zu SMI Hyundai wechseln. Vier Jahre später (2009) gerät er ins Fadenkreuz der Staatsanwaltschaft und wird wochenlang in U-Haft sitzen. Gegen ihn wird wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ermittelt.

Aus dem RPA-Bericht, der dem GA vorliegt: Am 10. November 2005 erteilt die Sparkasse KölnBonn ihre grundsätzliche Zusage zur Finanzierung. Nun geht es um Begriffe. Der Bauherr, die UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC), deren 100-prozentiger Gesellschafter bis dato die SMI Hyundai ist, soll einen "Multifunktionskredit" über 104,3 Millionen Euro erhalten. Darin enthalten ist eine "Aufbaufinanzierung" von 30 Millionen. Dahinter verbirgt sich eine Vorfinanzierung des SMI-Eigenkapitals, dass SMI schrittweise bis Ende August 2008 vorzeitig zurückführen muss.

Am 14. Dezember 2005 beschließt der Stadtrat den Projektvertrag. Danach wird in nicht-öffentlicher Sitzung das Finanzielle geregelt. Was dort geregelt wird, teilt die Stadtkämmerei am 27. Dezember 2005 der Bezirksregierung Köln mit, die über die ordnungsgemäße Verwendung des NRW-Zuschusses von 35,7 Millionen wacht: "In einer Nebenabrede zum Projektvertrag sollen zwischen der Sparkasse und der Bundesstadt Bonn vorsorglich Regelungen getroffen werden für den Eintritt des Heimfalls (Rückübertragung auf die Stadt / Anm. d. Red.). In diesem Fall müsste die Stadt den Vertrag für das langfristige Darlehen (74,3 Millionen / Anm. d. Red.) übernehmen. Der Rat hat dieser Verfahrensweise in seiner Sitzung am 14. Dezember 2005 zugestimmt." Beim Heimfall erhalte die Stadt, so die risikomindernde Annahme, mit einem vollendeten WCCB auch einen angemessenen Gegenwert.

Am 8. März 2006 wird der Projektvertrag zwischen SMI Hyundai/UNCC und der Stadt unterschrieben. Darin steht, dass Kim und SMI "spätestens bei Baubeginn nach Abschluss der bodendenkmalpflegerischen Arbeiten" insgesamt 40 Millionen Euro Eigenkapital nachweisen müssen. Davon sind zehn Millionen "mit Baubeginn" einzuzahlen.

Am 3. November 2006 erfolgt der Spatenstich durch Dieckmann. Im Hintergrund wächst die Nervosität. Das Eigenkapital: Gerade das scheint die Achillesferse von Kim und SMI, des vermeintlichen Weltkonzerns zu sein, wenn denn SMI Hyundai dazu gehören würde. Wie der GA berichtete (siehe Millionenfalle 1), ist Kims "Weltfirma" jedoch nur eine Pommes-Kette, die mit globalem Flair und vielen Nullen hantiert.

Am 22. November 2006, 19 Tage nach dem Spatenstich, bittet Dieckmanns Projektchef Arno Hübner SMI-Anwalt Dr. Ha-S. C., "den Nachweis vorzulegen, dass das weitere Eigenkapital in Höhe von 30 Mio. Euro nach Maßgabe der Grundsatzzusage der Sparkasse KölnBonn vom 10.11.2005 vorliegt." Hintergrund: Kim und SMI erfüllen die Maßgaben, vermutlich Sicherheiten und erste Tilgungsraten, nicht.

Die Zeit drängt. Der im RPA-Bericht dokumentierte Mailverkehr läuft auf Hochtouren. Sparkasse an Zwiebler, Hübner an Hong, Zwiebler an Kim/SMI - und alle untereinander.

8.März 2007. Mail von Zwiebler an Professor Ludger Sander, Stadtkämmerer. Sie bittet um Mitzeichnung der Nebenabrede (Bürgschaft der Stadt / Anm. d. Red.) für den Heimfall-Fall. Sie erklärt: "Die Ihnen nunmehr vorliegende Fassung weicht nur in einem Satz von der ursprünglichen Fassung (...) ab." Dieser Einschub diene nur der "besseren Erklärung". Mitnichten. Vereinfacht: Nun soll die Stadt nicht nur für ein langfristiges Darlehen von 74,3 Millionen bürgen, wie vom Stadtrat genehmigt, sondern auch für 30 Millionen Eigenkapital-Vorfinanzierung ("Aufbaufinanzierung"). Josef Kömpel, Leiter der Stadtkämmerei und Sander unterstellt, widerspricht einen Tag später: "Nicht ganz folgen kann ich der Aussage (...), wonach der zusätzlich eingefügte Satz, gelb markierter Halbsatz, nur der besseren Erklärung dient." Hübner assistiert und vertreibt mit der Autorität eines ehemaligen Stadtdirektors Zweifel: "Es bedarf keiner weiteren Zustimmung im Rat oder von der Bezirksregierung."

Am 19. März 2007 wird die neue Nebenabrede von der Stadt und der Sparkasse unterschrieben. Bonns Bürger haften nun nicht nur für 74,3 Millionen nach WCCB-Fertigstellung im Heimfall, sondern im schlechtesten Fall schon während der Bauphase und zusätzlich für Kims fehlendes Eigenkapital. Das RPA hat dazu eine deutliche Meinung, nämlich "dass die getroffene Nebenabrede nicht der Ermächtigung durch den Rat entspricht". Danach wird der Stadtrat im Frühling 2007 das erste Mal getäuscht. Das zweite Mal dann am 7. Mai 2009, als ebenjener "schlechteste Fall" eintritt: Kim tilgt seinen Eigenkapital-Kredit nicht, gleichzeitig verflüchtigen sich in der Baukasse auf wundersame und noch zu klärende Weise einige Millionen.

Problem: Der Stadtrat weiß im Mai 2009 noch gar nicht, dass sein Beschluss von Dezember 2005 kräftig überdehnt ausgelegt wurde, dass Bonn jetzt auch für Kims fehlendes Eigenkapital bürgt. Nun droht trotz aller Bonn-Verbeugungen vor Kim der Baustopp. Um den zu verhindern, müssen letztlich wieder die Volksvertreter ihren Arm heben - für weitere Millionen. Die müssen jedoch erstmal überzeugt werden: Wieso weitere Millionen?

Als Begründungen müssen Hotelzimmerzahl, Umplanungen, Zusatzinvestitionen, gestiegener Baukostenindex und, immer wieder gerne, die Stahlpreise herhalten. Unterm Strich Hokuspokus (siehe Millionenfalle 8), wie das RPA belegt. Doch damals überzeugt das Begründungs-Feuerwerk: Der Rat bewilligt 30 Millionen frisches Baugeld, und weitere 30 Millionen soll der Neu-Investor Honua beisteuern. Doch von den Bonner 30 Millionen landen nur 15,7 Millionen (siehe Millionenfalle XXXII) in der Baukasse an, weil die Sparkasse von der Kredit-Erhöhung erstmal Kims Eigenkapitalloch (14,3 Millionen) stopft. Auch das wird Rat und Bürgern verschwiegen.

Nun liest jeder Volksvertreter im RPA-Report, wie er gleich mehrfach ausgetrickst und getäuscht worden ist. Das Gefühl, "Stimmvieh" für Fatales und Schlimmes zu sein, nagt am Selbstverständnis. Und die erhofften Honua-Millionen kamen auch nicht. Die Hoffnung darauf war durch nichts begründet - eine Fata Morgana, die das Rathaus bis zur Kommunalwahl Ende August 2009 am Leben hielt (siehe Millionenfalle 5). Warum sollte jemand in ein Projekt investieren, das er laut Gerichtsentscheid vom 5. August 2009 gar nicht besitzt?

Der RPA-Bericht treibt Bonn nun dem Highnoon näher, aber die Stadtspitze hält ihre Hand seltsam weit weg vom Bürgerpuls. Es scheint, als würde man am liebsten weiter schweigen. Das Rathaus - eine Art Fort Knox der Wahrheitsverhütung? Und die Tore erst wieder etwas öffnen, wenn der Wahlkalender eine Lücke lässt? So wie Ende August 2009?

Am übernächsten Sonntag ist wieder ein zentraler Tag für jede Partei, die nach vorne schaut. Landtagswahl. Der Steuerzahler soll ohne jede lokale Irritation wählen können. Und so aufgeklärt wie möglich.