Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 30.08.2012

WCCB - Vollgas in der Warteschleife

Auf Facebook steht gerade eine Art Ventil für Bonns Wutbürger in Sachen World Conference Center Bonn (WCCB). Per Klick kann man seinen Frust abbauen und auf die Frage "Soll das WCCB auf Kosten der Steuerzahler fertiggestellt werden?" antworten. Von bisher rund 700 Mitmachern stimmten rund 76 Prozent für Nein, 15 Prozent für Ja, dem Rest ist alles egal.

Das riecht nach Emotion pur - und danach, dass eine solche Klick-Veranstaltung kaum als ernstzunehmende Meinungsumfrage zu werten ist. Zumal den wenigsten "Facebook-Wählern" bewusst sein dürfte, dass der Steuerzahler ohnehin für das bisherige WCCB-Geschehen und -Gebaute bürgt.

Bei der Sparkasse KölnBonn stehen von den ursprünglichen 104,3 Millionen Euro noch rund 72 Millionen (inklusive Zinsen) offen, die von der Stadt eines Tages bezahlt werden müssen. Noch wird dieser Betrag mit den vielen Nullen haushaltstechnisch ausgeblendet - mit Hinweis auf ein EU-Notifizierungsverfahren, das aber nach GA-Informationen vom Bund gar nicht beantragt wurde. Immerhin läuft die Zinsuhr, bedingt durch Griechenland- und Eurokrise, nun für die Stadt langsamer.

Leider lässt sich der WCCB-Weiterbau kaum besser als mit dem Unwort des Jahres 2010 - alternativlos - beschreiben. Bonn ist gegenüber Land, Bund und vor allem den Vereinten Nationen (UN) verpflichtet, ein Kongresszentrum zu bauen. Das Kapitel, was es kosten würde, gelänge dies nicht, schlägt der Steuerzahler besser nicht auf.

Bonn muss den "Bellevue-Vertrag" erfüllen. Doch zweieinhalb Jahre brauchte es allein, bis die Stadt als Eigentümer im Grundbuch stand. Am 11. Mai meldete das Presseamt diese frohe Botschaft, und weil die WCCB-Zuversichts-PR der letzten Jahre zu vielen Rathaus-Ungläubigen geführt hat, stellte die Stadt das Grundbuchblatt 23.396 sozusagen als Beweis gleich mit ins Internet.

Es klang nach Vollgas

Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) sagte: "Jetzt können wir uns um das Wichtigste kümmern: die Fertigstellung." Das klang nach Vollgas, denn Bund und UN drängeln. Schließlich nimmt der Konferenzbedarf der UN eher zu als ab. Nicht zuletzt würde die Bewerbung Deutschlands um den Sitz des internationalen Klimafonds, der von Bonn aus 100 Milliarden Dollar an Entwicklungs- und Schwellenländer verteilen soll, sicher günstig beeinflusst, wenn die Stadt Bonn durch eine zügige Vollendung ihres gestrauchelten WCCBs ihre Leistungsfähigkeit belegen könnte.

Nun sind seit der frohen Botschaft wieder drei Monate vergangen, und im Hauptausschuss der Stadt mussten die Stadtpolitiker am Donnerstagabend zur Kenntnis nehmen, dass man von der Rückkehr der Baukräne ins Bundesviertel noch weit entfernt ist. Selbst beim Planen gelang kein Trippelschritt. So weiß man bis heute nicht, was da am Rhein überhaupt gebaut (Bau-Ist) wurde. In der Ausschreibung für den neuen Generalplaner heißt es: "Belastbare Unterlagen hierzu liegen nicht vor. Zu beachten ist, dass einzelne Bereiche (...) innerhalb eines Bauteils durchaus unterschiedliche Fertigstellungsgrade aufweisen können." Für die restlichen Baukosten der Stadt ist das wesentlich; sie ergeben sich aus Bau-Soll minus Bau-Ist.

Die Verwaltung berichtete gestern Abend einstweilen in ihrem Sachstandsbericht (dem GA vorliegend), dass die Abarbeitung der Ausschreibung für den Generalplaner stocke. Ursache sei "ein Nachprüfverfahren wegen einer angeblichen »Wettbewerbsverzerrung«". Das bearbeite nun die Vergabekammer Köln. Erst Ende September fällt die Entscheidung in der Zeughausstraße 2-10.

Diese Entwicklung war hingegen nicht alternativlos. Experten hatten frühzeitig (siehe Millionenfalle 64) vor kostspieligen Zeitverlusten im Ausschreibungsdschungel gewarnt. So wäre ein Weiterbau durch den Zwangsverwalter der Sparkasse möglich und nicht ausschreibungspflichtig gewesen. Man hätte direkt loslegen können.

Aber die Stadt wollte unbedingt selbst bauen und tappte in die nächste Verzögerungsfalle. Dass sie dazu nach internen Querelen ausgerechnet das Städtische Gebäudemanagement (SGB) auswählte, sorgte für Erstaunen, denn das Rechnungsprüfungsamt hatte das WCCB-Controlling des SGB indirekt mit der Versagernote sechs bewertet.

Marion Duisburg, stellvertretende SGB-Betriebsleiterin, verriet dem WDR kürzlich weitere Risiken. So sei "es die Frage, ob das, was da ist, noch dem heutigen Stand der Technik entspreche". Drei Jahre Baustillstand: Das kann bei Konferenztechnik eine (zu) lange Zeit sein. Möglich, dass bereits Installiertes wieder herausgerissen werden muss. Zudem, so Duisburg, sei das SGB "ein Bauherr ohne Pläne". Um die ranken sich seit Ausbruch des WCCB-Desasters ohnehin Gerüchte aller Art, auch weil der WCCB-Bauexperte und -Architekt Young-Ho Hong, wie berichtet, teilweise während des Bauens plante. In jedem Fall betrachtete Insolvenzverwalter Christopher Seagon diese Baupläne früh als stabiles Pfund, um weiteres Geld für die Insolvenzmasse zu gewinnen. Fünf Millionen hat er den Gläubigern als Verkaufserlös versprochen.

Es droht der nächste Hickhack

Hinter vorgehaltener Hand berichten Insider, dass hier der nächste Hickhack droht. Rechtsanwalt Johannes Gather, der im Auftrag der Stadt mit der Seagon-Fraktion verhandelt, schweigt und "bittet dafür um Verständnis". Seagon sagt: "Die Nutzungsrechte sind im Vertrag mit der Stadt geregelt, es gibt daher keinen Verhandlungsbedarf."

Da die Stadt den Konferenzsaal selbst fertig bauen und das Hotel verkaufen möchte, fällt der städtische Bauplanbedarf geringer aus. Nach GA-Informationen soll die Stadt einen Anteil von einer Million beisteuern, während auf einen möglichen Hotelinvestor vier Millionen Euro Bauplankosten warten. Wer tiefer gräbt, gelangt, wie beim WCCB üblich, jedoch zu anderen Einsichten. So erklärt ein Informant, dass die Stadt die Konferenzsaal-Pläne "eigentlich" umsonst erhalte. Die vertraglich vereinbarte eine Million soll nur eine Kompensationszahlung für Seagon sein, der im Rahmen der Heimfallvereinbarung mit der Stadt für ein lastenfreies Grundbuch zu sorgen hatte.

War da was? Eine komplizierte Geschichte (siehe Millionenfalle 65)? Denn im Grundbuch stand 2011 noch die von allen Beteiligten verteufelte Investmentfirma Arazim B.V., die nur mit drei Millionen Euro zu vertreiben war. Zwei Drittel dieser lange verdrängten und von "Investor" Man-Ki Kim hinterlassenen Altlast stemmte die Sparkasse, ein Drittel sollte Seagon zahlen. Es sei der Stadt, so der Informant, wichtig gewesen, dass in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstehe, "das Rathaus befriedigt aus Steuerzahlergeldern auch noch Heuschrecken". Das ist nachvollziehbar. Folgt man dieser These, dann verschleiern die Bauplankosten nur die städtische Million an Arazim über den Umweg des Insolvenzverwalters.

Nach GA-Informationen soll es aber Unstimmigkeiten zwischen Seagon und Stadt über die Qualität der Pläne geben. Hier und dort sollen Lücken existieren. Denkbar: Etliche Firmen, die im WCCB einzelne Gewerke errichtet, aber kein Geld gesehen haben, rücken ihr Teil im Plan-Puzzle nicht heraus, sondern erst nach einer Überweisung des Insolvenzverwalters.

So fliegt das WCCB weiter in der Warteschleife, was weitere Baustillstandskosten verursacht. Vor allem wartet da noch das anspruchsvolle Kapitel "Haustechnik": Sie wurde als Einheit für Konferenzsaal und Hotel konzipiert - und liegt auf der Seite des Konferenzsaals. Kauft ein Investor das unfertige Hotel, wird er kaum an einer zusätzlichen Investition für eine eigene Heiz- und Klimatechnik interessiert sein, aber daran, schnell fertig zu bauen, um zu eröffnen. Auch der Hotelverkauf mahnt die Stadt also, den Konferenzsaal zügig zu vollenden.

Unrealistische Eröffnungsziele helfen da nicht. Als Nimptsch im Oktober 2009 sein OB-Amt antrat, erklärte er das größte Problem der Stadt sofort zur Chefsache. Das war verständlich. Unverständlich hingegen seine Zuversicht: Das WCCB sei, "wenn es wirklich optimal läuft", im Frühjahr 2010 einsatzbereit. Es hörte sich echt an: Sogar der FDP-Bundesparteitag sollte dort stattfinden. Dass der neue OB damals, ganz frisch, die rechtliche Komplexität unterschätzte, war verständlich.

Unverständlich jedoch, dass Nimptsch später weiter auf Zuversicht setzte, zumal die Bürger nach WCCB-Jahren des Verschweigens nur noch an reinem Wein interessiert waren.

Doch eine nach der anderen Zuversichtsblase platzte, weshalb CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus-Peter Gilles dazu riet, "am besten gar keinen Einweihungstermin mehr zu nennen". Zuversicht, Ernüchterung, Zuversicht, Ernüchterung. Gewiss ist heute nur, dass der vierte Winter naht, in dem die Ruine gegen Väterchen Frost zu verteidigen ist. Und wenn alles, wirklich alles optimal läuft, dann erlebt Nimptsch die WCCB-Eröffnung noch vor der nächsten Kommunalwahl im Frühjahr 2014. Das weiß die Stadt wohl auch selbst. In einer Stellenanzeige Ende März 2012 suchte sie Ingenieure für die "Projektgruppe WCCB". Darin steht der Satz: "Das Arbeitsverhältnis ist für die Dauer von zwei Jahren befristet."

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