FOCUS, 08.01.2005

Wolfsburger Wohltaten

Davon träumen Millionen Arbeitnehmer: ein gut dotierter Posten mit üppigen Pensionsansprüchen, dazu ein lukrativer Zweitjob ohne großen Zeitaufwand. Diese Privilegien genossen Ingolf Viereck und Hans-Hermann Wendhausen über Jahre. Die niedersächsischen SPD-Landtagsabgeordneten kassierten neben ihren Diäten (5403 Euro) monatlich noch ein paar Tausender von Volkswagen obendrauf. Dort arbeiteten sie vor ihrem Einzug ins Parlament und blieben auch als Abgeordnete auf der Lohnliste.

Die dreisten Doppelverdiener müssen sich künftig ein wenig einschränken. Nach den Enthüllungen von FOCUS und „Bild“ verzichten Viereck und Wendhausen auf weiteres Geld von VW. Die Arbeitsverhältnisse würden ruhen, erklärten sie vorige Woche. „Wir erbringen ab sofort keine Leistungen mehr für VW“, heißt es weiter. „Das haben sie ja vorher auch nicht gemacht“, spöttelt ein Parteifreund.

Auch nach dem reumütigen Lohnverzicht der beiden SPD-Politiker geht die Gehälter-Affäre bei VW mit voller Fahrt weiter. Denn die Bezahlung von politischen Mandatsträgern hat beim Global Player aus Wolfsburg offenbar System. Nach Recherchen dieses Magazins ist in der streng geheimen Konzernrichtlinie Brisantes festgelegt: VW garantiert allen Mitarbeitern, die in die Politik wechseln, nicht nur ein Rückkehrrecht ins Unternehmen. Darüber hinaus sichert Volkswagen den Beschäftigten sogar die Weiterzahlung des Lohnes zu, auch wenn sie in den Parlamenten sitzen und für VW kaum noch tätig sein können. Die Extra-Versorgung könnte allerdings bald kippen. „Gegebenenfalls werden wir unsere Grundsätze im Licht der aktuellen Diskussion um Mandatsträger anpassen“, so ein VW-Sprecher.

Über pünktliche Überweisungen aus Wolfsburg freut sich auch Hans-Jürgen Uhl. Seit 2002 sitzt der SPD-Politiker im Bundestag. Zuvor war der 53-Jährige Geschäftsführer des Konzernbetriebsrats mit einem Jahreseinkommen von rund 120000 Euro. Nach FOCUS-Informationen erhielt Uhl von VW auch als Abgeordneter weiterhin mehrere Tausend Euro im Monat — zuzüglich Dienstwagen. Eine Erklärung, was er dafür genau leistete, blieb der Genosse bisher schuldig. Nur so viel: Er sitze weiter im VW-Betriebsrat.

Die Liste der Politiker, die vom Autobauer ein zweites Gehalt beziehen, dürfte demnächst noch länger werden. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) hat VW-Chef Bernd Pischetsrieder aufgefordert, alle Politiker mit Doppelverdienst bekannt zu geben. Derzeit durchleuchtet VW auch seine Töchter wie die Audi AG in Ingolstadt oder die Volkswagen Bank.

Erst RWE und die CDU, nun VW und die SPD: Als Konsequenz fordert der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber einen in ganz Deutschland gültigen Verhaltenskodex mit drastischen Verschärfungen für Nebentätigkeiten. Wer zusätzlich zu seiner politischen Arbeit bei einem Unternehmen beschäftigt sei, müsse die Höhe seines Gehalts „zwingend offen legen“.

Diesen gläsernen Abgeordneten will FDP-Chef Guido Westerwelle verhindern: „Es wäre ein Fehler, Abgeordnete zu bestrafen, die für ein Unternehmen wirklich auch arbeiten.“ Dann, so Westerwelle, „hätten wir nur noch Vertreter des öffentlichen Dienstes und Gewerkschaftsfunktionäre in den Parlamenten“.

Noch strengere Maßstäbe will Stoiber wegen ihrer größeren Einflussmöglichkeiten an Regierungsmitglieder anlegen. Für Minister und Staatssekretäre müsse jede Nebentätigkeit in privaten Unternehmen „grundsätzlich ausgeschlossen sein“. Stoibers Begründung: „Es darf auf gar keinen Fall durch Gehaltszahlungen von Unternehmen der Eindruck von Käuflichkeit der Politik entstehen.“

Genau dieser Makel haftet Doppelverdiener Viereck an. Ausgerechnet die Kollegen haben ihn auch noch bei der Justiz angeschwärzt. In einer anonymen Strafanzeige, offenbar von VW-Mitarbeitern verfasst, werfen sie dem SPD-Politiker Bestechlichkeit und Untreue vor. Weiter heißt es: „Jeder im VW-Werk weiß, dass Herr Viereck nichts geleistet hat.“

Laut Strafanzeige belaufen sich die weit mehr als zehn Jahre gezahlten VW-Bezüge für den Parlamentarier auf rund 700000 Euro. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig prüft deshalb die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.